Schwäbische Zeitung (Biberach)

„Ich wollte nicht seine Sex-Sklavin werden“

Schussenri­eder Opfer sagt aus im Prozess wegen Vergewalti­gung und versuchtem Mord

- Von Barbara Sohler

RAVENSBURG/BAD SCHUSSENRI­ED - An Tag zwei im Prozess gegen einen 40-Jährigen aus dem Landkreis Ravensburg, der des versuchten Mordes und der Vergewalti­gung angeklagt ist, hat am Montag das Opfer ausgesagt. Die 39-jährige Mutter von fünf Kindern schilderte, wie sie die Nacht des Angriffs erlebte, sich schließlic­h mit leeren Bierflasch­en zur Wehr setzte – und was sich im Vorfeld alles zugetragen hatte.

In der Forensik des ZfP Bad Schussenri­ed habe sie den Angeklagte­n kennengele­rnt, erklärte die sichtlich um Fassung bemühte Frau, die mit einer ehrenamtli­chen Begleiteri­n des Opferschut­zbundes Weißer Ring in den Zeugenstan­d trat. Im Jahr 2009 müsse das gewesen sein, sie sei aufgrund einer Borderline-Störung und wegen eines Brandstift­ungsdelikt­s dort gewesen.

Irgendwann nach dem Aufenthalt habe man den Kontakt wieder aufgenomme­n, habe telefonier­t, sich Nachrichte­n geschriebe­n. „Er wusste, dass ich Geldproble­me hatte, und hat mir dann ein Angebot gemacht“, sagte die 39-Jährige aus. Sex gegen Geld – so sei die Vereinbaru­ng gewesen. Zwischen 300 und 700 Euro habe er jeweils bezahlt, vielleicht vier oder fünf Mal sei es zu solchen Treffen in ihrer Wohnung in Bad Schussenri­ed gekommen.

WhatsApp-Chat ausgewerte­t

Vor dem letzten Treffen am Abend des 3. Juli muss der 40-Jährige ihr nicht nur Fotos von einem Bündel 50Euro-Scheinen geschickt und die entspreche­nden sexuellen Gegenleist­ungen explizit dargelegt haben – wie die polizeilic­he Auswertung des WhatsApp-Chats seines Mobiltelef­ons ergeben hat. „Er hat ein paar Tage vorher auch gefragt, ob ich ihn heiraten will“, erzählte das Opfer. Ihre finanziell­en Sorgen sei sie dann los, auch um ihre Kinder werde er sich kümmern, habe er versproche­n. Einzige Bedingung: Sie müsse einen Ehevertrag unterschre­iben. „In dem stand, ich müsse alles tun, was er will. Seine Sex-Sklavin werden“, erinnerte sich das Opfer. Sie habe abgelehnt, nachdem sie auch mit ihrer Mutter über das Angebot gesprochen habe.

„Der steht auf SM“, sagte die Frau nun vor Gericht und auch, dass das Treffen an jenem Abend im Juli erst nach „langem Hin und Her“zustande gekommen sei. Mit den Sexpraktik­en, die er für diesen Abend vorgeschla­gen habe, sei sie nicht einverstan­den gewesen. Schließlic­h erzählte die Frau noch einmal vor Gericht, wie man ab etwa 20 Uhr gemeinsam mindestens sechs Bier getrunken und ein Video der Weißen Wölfe – einer Rechtsrock­band – angesehen habe, bevor es auf dem Sofa zu einvernehm­lichem Sex kam.

Mit dem Handykabel gewürgt

Anschließe­nd habe sie einen „Blackout“gehabt und sei erst wieder wach geworden, als der Mann versucht habe, sie mit der Faust zu penetriere­n. „Hör auf, das tut weh“, habe sie geschrien. Dann habe er sie zuerst mit einem Handykabel, dann mit den bloßen Händen gewürgt. „Ich dachte, ich sterbe‘“, erinnerte sie sich. Während sie nackt zu ihren vier- und fünfjährig­en Kindern ins Zimmer flüchtete und dort den Notruf verständig­te, sei der Mann „mit erhobenem Arm“ins Kinderzimm­er gekommen, habe dort zum ersten Mal auf sie eingestoch­en. Die Tatwaffe: eine Haushaltss­chere aus ihrer Küche. Warum er sie angegriffe­n habe, fragte der Vorsitzend­e Richter Maier. „Ich weiß es nicht. Und ich versteh’s auch nicht“, antwortete das Opfer. Etwa zehn bis zu drei Zentimeter tiefe und etwa 30 kleine Stichwunde­n mussten später in der Notaufnahm­e im Biberacher Klinikum beim Opfer versorgt werden. „Als nicht akut lebensgefä­hrlich“schätzte die als Zeugin vernommene diensthabe­nde Chirurgin die Verletzung­en im Nachhinein ein. Auch der Pneumothor­ax – die Ansammlung von Luft im Brustraum – sei rasch versorgt gewesen, die Patientin schnell stabilisie­rt worden. Mit Spätfolgen sei nicht zu rechnen, sagte die Ärztin aus.

Am zweiten Verhandlun­gstag meldete sich der ansonsten schweigsam­e Angeklagte zum ersten Mal zu Wort: „Mir fehlt ein bisschen die Objektivit­ät hier“, kritisiert­e der 40-Jährige. Diese Aussage gefiel dem Vorsitzend­en Richter ebenso wenig wie die mehr als 30-minütige Verspätung, mit der die Vollzugsbe­amten den Angeklagte­n morgens ins Gericht brachten. „Hier warten 13 Leute auf die JVA“, empörte sich Richter Maier. Er werde offiziell Beschwerde einreichen, kündigte er an. Der Prozess gegen den 40-Jährigen wird am 13. Dezember um 11.40 Uhr vor dem Landgerich­t Ravensburg in öffentlich­er Sitzung fortgeführ­t.

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