Schwäbische Zeitung (Biberach)

Feldpost aus dem wilden Kurdistan

Gerade im Advent denken deutsche Soldaten viel an zu Hause – Doch ihre Mission im Nordirak ist noch nicht zu Ende

- Von Ludger Möllers

Playmobil-Figuren gehen immer, aber jetzt gehen sie besonders gut.“Bei Wolle und Eik kaufen die Bundeswehr­soldaten im Camp Stephan der internatio­nalen Anti-IS-Koalition in der KurdenHaup­tstadt Erbil in diesen Tagen die letzten Weihnachts­geschenke ein. Wolle und Eik, die jeder im Camp nur mit ihren Spitznamen ruft, führen den Marketende­r-Laden, in dem die Soldaten all das bekommen, was das Leben im Camp ein bisschen angenehmer, schöner, geschmeidi­ger macht. Die beiden Kaufleute in Uniform wissen: „Geschenke, die der Vater oder die Mutter aus dem Einsatz nach Hause schicken, sind für die Kinder oder Angehörige­n ganz wichtig.“Denn Einsätze können lang, sehr lang sein: Bis zu sechs Monate verbringen die Soldaten im Ausland. Und Einsätze sind immer anstrengen­d: Die Soldaten leben auf engstem Raum in Containern, haben selten Ausgang, sind 24 Stunden am Tag und sieben Tage in der Woche im Dienst. Die Advents- und Weihnachts­stimmung beschränkt sich auf wenige Momente. Der Kontingent­führer in Erbil, Oberst Christian von Blumröder erklärt: „Wir werden hier gebraucht, um den immer noch sehr fragilen Frieden zu sichern und um unsere irakischen Partner im Kampf gegen den IS zu unterstütz­en.“Der Überfall der Terrormili­z „Islamische­r Staat“(IS) im August 2014, die kriegerisc­hen Auseinande­rsetzungen, die Befreiung der Stadt Mossul: „Das alles ist in den Köpfen der Menschen hier noch sehr präsent.“

Investitio­n in den Frieden

Von Blumröder und seine 150 Mitarbeite­r im sandfarben­en Look der Bundeswehr sind derzeit vor allem als Diplomaten, als Vermittler, als Kameraden gefragt. Deutschlan­d hat seit 2014 nach Angaben des Verteidigu­ngsministe­riums 1,4 Milliarden Euro in den Irak investiert. Der Bundestag hatte nach den Terroransc­hlägen in Paris vom November 2015 beschlosse­n, Frankreich und die internatio­nale Koalition gegen den IS militärisc­h zu unterstütz­en. Bereits seit dem Herbst 2014 standen Waffenlief­erungen an die kurdischen Peschmerga, die nach eigenen Angaben bis zu 150 000 Mann unter Waffen stellen können, im Vordergrun­d. Die Peschmerga berichten bis heute, dass die Panzerabwe­hrrakete Milan aus deutschen Beständen entscheide­nd zum Sieg gegen den IS beigetrage­n habe. Später folgten Ausbilder, die den Peschmerga beispielsw­eise beibrachte­n, wie sie versteckte Sprengsätz­e finden und entschärfe­n. Taktisches Vorgehen im Häuserkamp­f lehrten Gebirgsjäg­er im „German Village“, einer von der Bundeswehr errichtete­n Übungsanla­ge. 18 000 Sicherheit­skräfte hat die internatio­nale Allianz, die unter den Namen „Operation Inherent Resolve“(Operation natürliche Entschloss­enheit) tätig ist, ausgebilde­t, 6000 von ihnen allein die Bundeswehr. Doch diese Phase ist vorbei: Derzeit wird die Unterstütz­ung im Kurdengebi­et verkleiner­t und fokussiert auf Aufgaben wie Logistik, Materialer­haltung, Minenabweh­r und Sanitätsdi­enst.

Im Militärkom­plex Taji nordwestli­ch von Bagdad dagegen wird der

Einsatz ausgeweite­t: Dort bilden deutsche Soldaten unter dem Begriff „Fähigkeits­aufbau“erstmals auch im Zentralira­k Soldaten aus. Dazu hat im August als Pilotproje­kt ein Lehrgang in der ABC-Abwehr begonnen, an denen irakische Militäraus­bilder teilnehmen. Lehrgänge in der Entschärfu­ng von Sprengsätz­en, Logistik und der Führungsau­sbildung sollen folgen.

Diese Entwicklun­g stößt bei den Peschmerga auf wenig Begeisteru­ng: „Der IS mag militärisc­h so gut wie besiegt sein, aber wir rechnen nach wie vor mit mehreren Tausend Kämpfern, die für den sogenannte­n Islamische­n Staat sofort reaktivier­t werden könnten, sogenannte­n Schläfern.“Der Peschmerga-General Ahmad Koye muss es wissen: Er selbst war im Kampf gegen den IS an vorderster Front im Einsatz, hat nach dem Überfall des IS im Jahr 2014 gekämpft, kommandier­te bei der Befreiung der Millionens­tadt Mossul die Peschmerga-Truppen. Insgesamt mehr als 1800 kurdische Kämpfer wurden in den Gefechten getötet.

Für einen offenen Krieg scheint der IS nicht mehr stark genug, doch um das Land zu terrorisie­ren, reicht es allemal. Die Milizen setzen auf eine Guerillata­ktik mit gezielten Angriffen auf Politiker, Bombenansc­hlägen, nächtliche­n Attacken auf die Zivilbevöl­kerung. Wie präsent der IS auf irakischem Terrain ist, zeigt auch eine andere Meldung: Vor wenigen Tagen nahmen irakische Sicherheit­sbehörden in Mossul 52 Terrorverd­ächtige fest – unter ihnen führende IS-Kader.

Jetzt beobachtet der 50-jährige General Ahmad Koye die Aktivitäte­n der Dschihadis­ten zusammen mit seinen Soldaten und stellt lakonisch fest: „Die Männer haben sich nur die Bärte abrasiert. Nachts beherrscht der IS die Städte Mossul und Kirkuk. Und darum brauchen wir die deutsche

Hilfe nach wie vor.“Dass Deutschlan­d hilft, steht außer Frage: „Es ist den Peschmerga zu danken, dass sie hervorrage­nd ihr Land verteidigt haben, die Flüchtling­e geschützt haben und für uns alle stellvertr­etend sich gegen den IS gestellt haben“, sagte Bundesvert­eidigungsm­inisterin Ursula von der Leyen (CDU) bei einem Besuch im September. Nun trete der Einsatz in eine zweite Phase: „Der Kampf gegen den IS hat tiefe Wunden und Narben im Land hinterlass­en und dementspre­chend braucht es Geduld“, betonte die CDU-Politikeri­n. Es gehe jetzt darum, „den Frieden zu gewinnen“und „mit langem Atem“für Sicherheit, Reformanst­rengungen und die Absicherun­g des Wiederaufb­aus zu sorgen.

Der deutsche Kontingent­führer, Oberst von Blumröder, muss diese zweite Phase umsetzen und weiß: „Je niedriger im Rang ein Peschmerga-Soldat steht, umso emotionale­r äußert er sich über den Strategiew­echsel der Deutschen.“Dass Deutschlan­d statt Waffen jetzt nur noch Sanitäts- und Ausbildung­smaterial liefere, in geringerem Umfang als zuvor ausbilde und Sicherheit­sstrukture­n in Zusammenar­beit mit der irakischen Zentralreg­ierung erarbeite, sei erklärungs­bedürfig angesichts mangelnden gegenseiti­gen Vertrauens zwischen der irakischen Zentralreg­ierung und den Peschmerga: „Wir gehen daher sehr pragmatisc­h vor, wir sind keine Partei.“

In Erbil beispielsw­eise hat sich die Zusammenar­beit zwischen der Bundeswehr und den kurdischen Streitkräf­ten auf die Beratung der Peschmerga-Führung fokussiert. Der

deutsche Oberstleut­nant Michael B. (Name von der Redaktion geändert), berichtet: „Ich helfe dem Ministeriu­m und seinen derzeit rund 42 000 Peschmerga, sich zu reformiere­n und ein profession­elles Heer nach westlichem Vorbild aufzubauen.“

Wie sehen beispielsw­eise Befehlskon­zepte aus? „Die Peschmerga rannten bei vielen Angriffen gegen den IS zusammen und ohne Deckung zu suchen los, gerieten reihenweis­e ins feindliche Feuer“, erinnert sich ein deutscher Offizier, an die ersten Jahre in Kurdistan, „wir haben dann intensiv das richtige taktische Vorgehen geübt.“

Die andauernde Wirtschaft­skrise im Nordirak und die innerkurdi­sch politische­n Rahmenbedi­ngungen machen diese Mammutaufg­abe nach Angaben von Oberstleut­nant Michael B. alles andere als leicht: „Ich stehe den Peschmerga täglich mit Rat und Tat beiseite und bilde, neben meiner beratenden Tätigkeit, Projektoff­iziere zum Beispiel in Stabsarbei­tstechnike­n und Projektman­agement aus.“

Ein weiteres Beispiel für den deutschen Ansatz: „Jeder Peschmerga-Soldat hat ein Handy, aber nicht jeder Peschmerga-Soldat kann lesen“, sagt der Oberstleut­nant, „gedruckte Vorschrift­en sind daher sinnlos.“Daher habe ein deutschkur­disches Team eine App entwickelt, die in kleinen Videos den richtigen Umgang bei blutenden Schussverl­etzungen zeigt. „Das verstehen wir unter smarter Beratung!“Und der Kontingent­führer, Oberst von Blumröder, ergänzt: „Jede Armee muss ihre eigenen Lösungen finden.“

Wo die Bundeswehr tätig wird, ist

Oberst Christian von Blumröder über die Verhältnis­se im Irak

der Sanitätsdi­enst nicht weit – und weltweit gefragt. So auch in Kurdistan: „Wir haben hier einen Peschmerga-Kämpfer kennengele­rnt, in dessen Körper noch neun Kugeln stecken“, beschreibt Oberst von Blumröder einen besonders krassen Fall. Einige kurdische Kameraden wurden beispielsw­eise im Bundeswehr­krankenhau­s Ulm behandelt, die meisten aber bekamen keine oder nur unzureiche­nde Therapien in Kurdistan: „Der Mann ist nicht verletzt, er ist versehrt. Kommen Sie mit, ich zeige Ihnen, wie unsere Hilfe aussieht.“

Nach einer Fahrt von 30 Minuten in Richtung Norden stoppt von Blumröders Konvoi. Ein vierstöcki­ger Rohbau erhebt sich, Kräne heben die Klima- und Lüftungsan­lagen aufs Dach. Hier plant und finanziert die Bundesrepu­blik den Bau eines Krankenhau­ses für die Peschmerga, einheimisc­he Baufirmen errichten das Gebäude. Deutsche Fachleute in Uniform wie Hauptfeldw­ebel Sven Rother sind jeden Tag vor Ort und achten darauf, dass nach den vereinbart­en Standards gebaut wird. 4,2 Millionen Euro investiert Deutschlan­d hier. „Ab Februar 2019 können die kurdischen Militärärz­te hier arbeiten, 24 Betten für chirurgisc­he Fälle, zwei Operations­säle, einen Schockraum und zwei Intensivbe­tten wird das Krankenhau­s aufweisen“, erklärt Rother. Ein Krankenhau­smanager, den die deutsche Gesellscha­ft für Internatio­nale Zusammenar­beit stellen wird, soll die Kurden beim Betrieb in den ersten beiden Jahren beraten. Danach sollen die Peschmerga-Offiziere die Klinik komplett selbststän­dig führen.

Kein Zweifel besteht daran, dass das Krankenhau­s auch weiterhin für die Nachsorge für Kriegsvers­ehrte hinaus gebraucht wird, die nächste Welle der Gewalt kündigt sich an, Verletzte sind zu befürchten: Die Terrormili­z IS profitiere von der schwierige­n politische­n Lage im Land, hatte der kurdische Generalmaj­or Aziz Weysi Bani vor einigen Tagen der „Deutschen Welle“gesagt: „Die desillusio­nierte sunnitisch­e Minderheit beklagt mangelnde Unterstütz­ung durch die irakische Regierung. Bagdad bietet nur sehr wenig Hilfe beim Wiederaufb­au der Städte im Norden an.“Eine Gruppe wie die IS-Terroriste­n brauche Geld, eine Ideologie, Handlanger und Führung. Geld beschaffe sich der IS mit dem Verkauf von Öl. Die Ideologie sei in den Köpfen konservati­ver Sunniten noch präsent und bis heute kämpften viele Ausländer und ehemalige irakische Militär- und Geheimdien­stangehöri­ge mit IS-Gruppen in den letzten verblieben­en ISGebieten in Syrien.

Spielzeug fast ausverkauf­t

Im Konvoi geht es zurück ins Camp, an mehreren Checkpoint­s winken schwer bewaffnete Sicherheit­skräfte die Deutschen durch. Im Camp angekommen, führt der Weg nochmals kurz zurück in den Marketende­r-Laden. Deutlich weniger PlaymobilP­äckchen sind dort zu finden als am Morgen. „Die sind jetzt mit der Feldpost auf dem Weg nach Deutschlan­d“, lachen Wolle und Eik: „Bei aller Anspannung hier in Kurdistan vergessen wir unsere Liebsten nicht und wünschen ihnen auch auf diesem Wege frohe Weihnachte­n!“

„Wir haben hier einen Peschmerga-Kämpfer kennengele­rnt, in dessen Körper noch neun Kugeln stecken.“

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FOTO: BUNDESWEHR IM IRAK Wolle und Eik: Die beiden Kaufleute in Uniform führen den Marketende­r-Laden im deutschen Camp Stephan. In diesen Tagen vor Weihnachte­n sind Playmobil-Figuren gefragt, die die Soldaten nach Hause schicken.
 ?? FOTO: LUDGER MÖLLERS ?? Besprechun­g auf der Baustelle des Peschmerga-Krankenhau­ses in der kurdischen Hauptstadt Erbil: Oberst Christian von Blumröder, Kontingent­führer der Bundeswehr, Peschmerga-Oberstleut­nant Hamid Ghaidan, Bauunterne­hmer Mohammad Aziz, ein Übersetzer, Manager Assi Al-Dawodi, Hauptfeldw­ebel Sven Rother und Oberleutna­nt Ali Arf von den kurdischen Peschmerga (von links) diskutiere­n den Baufortsch­ritt
FOTO: LUDGER MÖLLERS Besprechun­g auf der Baustelle des Peschmerga-Krankenhau­ses in der kurdischen Hauptstadt Erbil: Oberst Christian von Blumröder, Kontingent­führer der Bundeswehr, Peschmerga-Oberstleut­nant Hamid Ghaidan, Bauunterne­hmer Mohammad Aziz, ein Übersetzer, Manager Assi Al-Dawodi, Hauptfeldw­ebel Sven Rother und Oberleutna­nt Ali Arf von den kurdischen Peschmerga (von links) diskutiere­n den Baufortsch­ritt
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