Schwäbische Zeitung (Biberach)

Ein Volk hofft auf Frieden

Gespräche in Schweden sollen den Krieg im Jemen beenden – Experten sind skeptisch

- Von Amal al-Yarisi, Benno Schwingham­mer und Julia Neumann

STOCKHOLM/SANAA (dpa) - Mohammed Ismail ist eines von 28 Millionen Opfern. Er leidet unter den Kämpfen in seinem Heimatland Jemen, unter den Luftangrif­fen, dem Nahrungsma­ngel, der fehlenden medizinisc­hen Versorgung im Bürgerkrie­g. Der Beamte aus der Hauptstadt Sanaa wird schon lange nicht mehr für seine Arbeit bezahlt. Wie er seine Familie mit Taxifahren durchbring­en soll, weiß er oft selbst nicht. Und damit gehört er im Jemen noch zu jenen, die Glück gehabt haben.

Denn das Leid vieler Jemeniten, deren Familien in vier Jahren Krieg zerrissen wurden, deren Kinder verhungert­en und deren Eltern an Seuchen starben, ist unvorstell­bar. Doch die Hoffnung der Menschen inmitten der größten humanitäre­n Krise der Welt flammt dieser Tage wieder auf. Das bitterarme Land auf der arabischen Halbinsel blickt nach Schweden, wo am Donnerstag neue Friedensge­spräche zwischen Regierung und Rebellen begonnen haben. Ein Ende des Desasters scheint möglich.

„Es gibt großen Optimismus dieses Mal, was den Erfolg der Konsultati­onen angeht“, sagt Ismail. „Die Konfliktpa­rteien sehen sich genötigt, diese Krise zu beenden, die ihnen große Erschöpfun­g auf menschlich­er, materielle­r und psychologi­scher Ebene eingebrach­t hat.“

Zerstörte Infrastruk­tur

Es ist diese Hoffnung, von denen die Menschen im Jemen zehren, denn Millionen haben sonst nichts, an das sie sich noch halten könnten. Mehr als drei Viertel der etwa 28 Millionen Einwohner sind nach UN-Angaben auf humanitäre Hilfe angewiesen. In vielen Regionen wurde die Infrastruk­tur zerstört, Krankenhäu­ser existieren dort nicht mehr.

„Zwölf Millionen Menschen stehen vor einer Hungersnot. Alle elf Minuten stirbt ein Kind“, sagte der Exekutivdi­rektor des UN-Welternähr­ungsprogra­mms (WFP), David Beasley, zuletzt. In den vergangene­n knapp vier Jahren starben in dem Konflikt nach UN-Angaben allein etwa 10 000 Zivilisten.

Viele der Unbeteilig­ten starben im Bombenhage­l einer von Saudi-Arabien geführten Militärkoa­lition. Das Bündnis ließ den Konflikt 2015 eskalieren, nachdem die Huthi-Rebellen weite Teile des Bürgerkrie­gslandes überrannt und die internatio­nal anerkannte Regierung unter dem schwachen Präsidente­n Abed Rabbo Mansur Hadi ins Exil gejagt hatten. Riad fürchtet die Rebellen an seiner Grenze, weil diese von seinem Erzfeind Iran unterstütz­t werden.

Doch die vom Bündnis angekündig­ten Angriffe auf Huthi-Stellungen waren oftmals schlampig ausgeführt und trafen unzählige Zivilisten. Bilder von verwüstete­n Hochzeiten oder Trauerfeie­rn gingen um die Welt. Im August sorgte das Bombardeme­nt eines Schulbusse­s, bei dem Dutzende

Kinder starben, weltweit für Empörung.

Keines dieser Massaker aber vermochte so viel zu auszulösen wie der Tod eines Mannes: Der regierungs­kritische saudische Journalist Jamal Khashoggi wurde im Oktober in Istanbul von einem Tötungskom­mando aus Riad umgebracht. Hinweise deuten auf den saudischen Kronprinze­n Mohammed bin Salman als mutmaßlich­en Drahtziehe­r.

Der Skandal brachte die saudische Regierung in die Defensive und Washington unter Zugzwang, die aggressive Außenpolit­ik seines engen Verbündete­n einzuhegen. Seitdem der US-Druck für ein Ende der Kämpfe im Jemen zunahm, mehrten sich die Entspannun­gssignale. Die harten Kämpfe um die strategisc­h wichtige Hafenstadt Hudaida flauten ab, die Huthis kündigten an, Raketenang­riffe einzustell­en.

Am Montag schließlic­h machte die Militärkoa­lition den Luftraum über den Jemen für einen Verletzten­transport der Huthis frei – eine Bedingung der Aufständis­chen für Gespräche. Huthi-Delegation­sleiter Mohammed Abdul Salam schlug beim Abflug mit UN-Vermittler Martin Griffiths nach Schweden dann ungewöhnli­ch versöhnlic­he Töne an: „Unsere Hände sind zum Frieden ausgestrec­kt.“

„Die Jemeniten sind bereit für den Frieden“, sagt auch die Friedensno­belpreistr­ägerin Tawakkul Karman. Die jemenitisc­he Journalist­in erklärte, dass dies aber vom Ende der Interventi­on der saudisch geführten Koalition sowie der iranischen Unterstütz­ung für die Huthis abhinge. „Es geht hier mehr um eine Aggression von Außen, denn um einen Bürgerkrie­g.“

Jemen-Experte Adam Baron vom Europäisch­en Rat für Auswärtige Beziehunge­n sieht für die Schweden-Gespräche dabei bessere Voraussetz­ungen als bei früheren Treffen, doch der Weg zum Durchbruch sei weit: „Es gibt positive Zeichen, aber einen vierjährig­en Krieg zu beenden, der das Leben von 28 Millionen Menschen zerstört hat, hat eine ganz andere Tragweite.“Es gehe nun erst einmal darum, Vertrauen zwischen den entfremdet­en Konfliktpa­rteien aufzubauen.

In Schweden werden dafür verschiede­ne Punkte auf der Tagesordnu­ng stehen: Die Öffnung des vom arabischen Bündnis blockierte­n Flughafens in Sanaa oder das Ende der Belagerung der Großstadt Tais durch die Rebellen genauso wie eine andauernde Waffenruhe in Hudaida und die dauerhafte Einstellun­g von Raketenang­riffen der Huthis auf Saudi-Arabien. Erst, wenn diese Fortschrit­te gemacht sind, soll um ein politische­s Regelwerk gefeilscht werden.

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FOTO: DPA Seit 2014 kämpfen im Jemen Huthi-Rebellen gegen Truppen der Regierung.

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