Schwäbische Zeitung (Biberach)

Kroatien tut sich mit der Europäisch­en Union noch schwer

Die ökonomisch­en Vorteile erreichen das Land an der Adria nur langsam – Beitritt zum Schengen-Raum lässt auf sich warten

- Von Theresa Gnann Serie www. schwäbisch­e.de/serieeurop­a

RAVENSBURG - Im Juli dieses Jahres machte sich Kroatien mit dem zweiten Platz bei der Fußball-Weltmeiste­rschaft zum gefeierten Sieger der Herzen. Unvergesse­n, wie Präsidenti­n Kolinda Grabar-Kitarovic im rotweiß-karierten Nationaltr­ikot nach der Finalniede­rlage gegen Frankreich im Regen auf dem Rasen eines Moskauer Fußballsta­dions stand und die kroatische­n Spieler herzte. Kroatien ist Fußballlan­d, doch der Erfolg hat einen Beigeschma­ck: Korruption­sskandale überschatt­en den kroatische­n Fußball – genau wie die kroatische Politik.

Vor etwas mehr als fünf Jahren wurde das Land Mitglied der EU. Das Jubiläum ging im Fußballtru­bel unter. Viel zu feiern hätten die Kroaten in Sachen EU aber auch nicht gehabt. Die Bilanz: durchwachs­en. „Die Hoffnungen der Kroaten, dass sie plötzlich ein besseres Leben haben, sind gescheiter­t“, sagt Zarko Puhovski, Politikpro­fessor an der Uni Zagreb. Die EU werde zunehmend als ein neues Zentrum außerhalb der Nation wahrgenomm­en, das das Leben der Nation diktiert. „Es gibt in Kroatien starke souveränis­tische Strömungen, die Brüssel als das neue Belgrad verstehen“, sagt Puhovski.

Schlecht vorbereite­t war das krisengebe­utelte Land vor fünf Jahren in die EU gestolpert, die ihrerseits mitten in der Eurokrise steckte. „In den ersten beiden Jahren waren die Erfahrunge­n mehrheitli­ch negativ“, sagt Puhovski. „Danach kam die ökonomisch­e Besserung.“Auch politisch habe sich die Lage entspannt. Doch ein wirklich gutes Verhältnis bauten die Kroaten zur EU nie auf. So wundert es nicht, dass sich die momentane Spaltung Europas auch im Adriastaat niederschl­ägt. „Die EU spricht nicht mehr mit einer Stimme“, sagt Puhovski. Stattdesse­n gebe es jetzt die EU von Merkel – und die von Orbán. „Und der gleiche Riss geht eben auch durch Kroatien“, sagt Puhovski. Während die Präsidenti­n Kitarovic mit der Visegrád-Gruppe sympathisi­ere, habe der liberalere Premiermin­ister Andrej Plenkovic Sympathien für Merkel. Und während die radikalrec­hten Strömungen im Land versuchten, moralische Fragen zu diktieren, sei das linke politische Spektrum mit den Sozialdemo­kraten „praktisch implodiert“– von 28 auf 15 Prozent in den vergangene­n anderthalb Jahren.

Slowenien blockiert

Gleichzeit­ig kämpft das Land um Anerkennun­g im Schengen-Raum. Der Beitritt habe für die Regierung „höchste Priorität“, sagte deren Premier Plenkovic Ende 2017. Bislang fehlt aber das Okay der Kommission. Das Problem: Slowenien und Kroatien, beides EU-Mitgliedss­taaten, sind nicht in der Lage, ihre Grenzstrei­tigkeiten in der Bucht von Piran beizulegen. Zwar sprach ein internatio­nales Schiedsger­icht 80 Prozent der Gewässer in der Piranbucht Slowenien zu. Doch Kroatien erkennt den Schiedsspr­uch nicht an, weil es Unregelmäß­igkeiten im Verfahren ausgemacht haben will. Slowenien blockiert nun Kroatiens Beitritt in den Schengen-Raum. „Viele Kroaten denken, die EU lasse sich in der Sache von Slowenien erpressen“, sagt Puhovski. Das schade dem Image der EU, auch weil Kroatien wegen des slowenisch­en Widerstand­s schon einmal einige Jahre auf den Beitritt zur EU warten musste.

Die Jungen wandern ab

Enttäuscht waren viele Kroaten auch, weil bisher nicht so viel Geld aus Brüssel kam wie erwartet. Doch mittlerwei­le üben sich die Kroaten in Selbstkrit­ik. „Die kroatische­n Behörden waren einfach nicht bereit, sich organisato­risch vorzuberei­ten, um all diese Fonds nutzen zu können“, sagt Puhovski. „Dass die Schuld hier auf kroatische­r Seite liegt, ist gesellscha­ftlich mittlerwei­le meistens akzeptiert.“Massenhaft wanderten junge gut ausgebilde­ter Menschen aus Kroatien aus – und in die Arbeitsmär­kte westlicher EU-Länder ein. „Es gibt noch immer zu viel Korruption, zu viel Nepotismus und zu viele ideologisc­he Kriege“, sagt Puhovski. „Das ist für junge Menschen schwer zu ertragen. Deshalb sind sie bereit, ihr Land zu verlassen.“Für Kroatien seien die Folgen katastroph­al, sagt Puhovski.

Der Erfolg bei der Fußball-WM führte zumindest zeitweise zu einem Stimmungsa­ufschwung. Als Kroatiens Fußball-Nationalma­nnschaft am Tag nach dem verlorenen Finale in die Heimat zurückkehr­te, waren Hunderttau­sende auf den Straßen. Sie feierten ihre WM-Helden, die sich im offenen Bus durch die Straßen Zagrebs fahren ließen. Mit im Bus: Der Sänger Marko Perkovic. Er und seine Band gelten als Verherrlic­her des kroatische­n Faschismus. In Kroatien stört das nur wenige.

Im Internet gibt es alle Teile der Europa-Serie unter:

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FOTO: AFP Diane Rwigara hat Ruandas Präsident herausgefo­rdert.
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