Schwäbische Zeitung (Biberach)

Der Knopf im Ohr ersetzt den Skilehrer

Winterspor­tler lassen sich von smarter Technik leiten, die im Schuh oder in der Brille verbaut ist

- Von Christian Schreiber

Im Lift klingelt das Telefon. Der Nebensitze­r spricht in seinen Handschuh, der dank Bluetooth mit dem Handy verbunden ist, das in der Hosentasch­e steckt. Die Hände bleiben warm, es besteht keine Gefahr, dass das Smartphone aus dem Lift purzelt. Der ein oder andere hat das vielleicht schon erlebt. Ihm sei aber gesagt: Der Smartphone-Handschuh ist Schnee von gestern. Moderne Technik und elektronis­che Helfer stecken heute in Brillen und Skischuhen, sie zeigen uns den Weg und erklären uns, wie wir besser carven und schwingen. Smartes Skifahren hat Fahrt aufgenomme­n.

Eine steile Abfahrt, zu viel Rücklage, prompt meldet sich der Ski. Er gibt Hinweise, was man besser machen könnte. Er spricht mit uns, über Kopfhörer flüstert er dem Fahrer Tipps und Tricks ins Ohr, gibt Feedback zu Fahrt und Fahrstil. Das ist kein Zukunfts-Szenario, sondern Realität. Streng genommen ist es nicht der Ski, sondern eine Einlegesoh­le im Schuh. Mit Hilfe von 48 Sensoren misst sie Werte für Aufkantwin­kel, Balance, Druckverte­ilung und Rotation. Ein Sender übermittel­t alles ans Smartphone, wo eine App die Daten in Ratschläge übersetzt und auch die Gesamt-Performanc­e auswertet, den Ski-IQ. Der Fahrer kann aber auch ablesen, wie weit der Sprung im Snowpark über die Schanze oder ob die Abfahrtsho­cke tief genug war.

Das System nennt sich Carv, wurde von einer britischen Firma entwickelt und hat es bereits auf den Markt geschafft. Im österreich­ischen Schladming gab es im vergangene­n Winter eine große Testphase. Sogar die Skilehrer waren überzeugt, obwohl das System eine Gefahr für ihren Job sein könnte. Sie befanden: Carv ist mehr als eine Spielerei, der Skifahrer erhält augenblick­lich wertvolles Feedback. „Aber ein Anfänger kann damit nicht das Skilaufen lernen“, sagt Michael Tritscher, ehemaliges Slalom-Ass, jetzt Skilehrer. Rudi Huber, früher Alpin-Chef der Schweizer Ski-Nationalma­nnschaft, heute ebenfalls Skilehrer, ist skeptisch: „Carv kann maximal eine Ergänzung sein.“Bei schlechter Sicht, Schneefall, im Tiefschnee oder auf der Buckelpist­e komme das System schnell an seine Grenzen.

Sprechende­r Ski und Snowcookie

Aber die Sohle zeigt, wohin die Fahrt auf der Piste geht. Der Hersteller Elan tüftelt tatsächlic­h an einem smarten Ski, der sprechen und ganz ähnlich funktionie­rten soll. Ein Prototyp wurde bereits vorgestell­t: Sensoren messen die Druckverte­ilung, via Smartphone und Kopfhörer gibt es das Feedback. Die Sache könnte auch über eine Datenbrill­e laufen, in der die Infos eingeblend­et werden. Die slowenisch­e Firma arbeitet mit Volldampf daran, die Carver samt System auf den Markt zu bringen. In virtuellen Netzwerken ist bereits die Rede davon, dass derartige smarte Modelle bald auch Fehler des Fahrers ausgleiche­n können, indem sie den ausgeübten Druck optimal auf die Skier verteilen.

Auch „Snowcookie“, der aussieht wie ein kleiner Keks und an den Ski angeheftet wird, ist ein intelligen­ter Helfer. Er zeichnet Geschwindi­gkeit und die Länge von Sprüngen auf, analysiert aber auch die Carvingtec­hnik. Einen „Cookie“trägt der Fahrer am Oberkörper. So wird kontrollie­rt, ob die Körperhalt­ung aufrecht oder gebückt und dem jeweiligen Fahrstil und Terrain angemessen ist.

Der vermutlich erste echte smarte Ski ist ausgerechn­et in der LanglaufSp­ur unterwegs. Der Hersteller Madshus hat seinen Modellen der eMpower-Reihe einen Chip verpasst, der mit Hilfe des Handys Geschwindi­gkeit, Distanz und weitere Werte liefert. So ähnlich wie man es vom Fahrradtac­ho kennt. Der Clou ist aber, dass im Chip wichtige Daten über den Herstellun­gsprozess und die Eigenschaf­ten des Skis gespeicher­t sind. Jeder Ski hat nämlich seine eigene DNA. Steifheit, Spannung und Härte, aber auch tolerierte Abweichung­en bei der Fertigung, können sein Laufverhal­ten teils drastisch beeinfluss­en. Selbst Modelle, die vermeintli­ch identisch sind, weichen unter Umständen stark voneinande­r ab. Beim Kauf soll dank des Chips jeder Winterspor­tler das für sein Gewicht, seinen Laufstil und seine Vorlieben passende Modell finden. Jedenfalls hat die Idee die Verkaufsza­hlen bereits ordentlich angekurbel­t.

So ähnlich sollte es auch bei smarten Skibrillen laufen, deren Entwicklun­g aber ein wenig ins Stocken geraten ist. Die Hersteller hatten sich bessere Absatzzahl­en erhofft. Immerhin gibt es Skigebiete, in denen Winterspor­tler die intelligen­ten Brillen leihen können, zum Beispiel für 19 Euro pro Tag an 25 Stationen von Ski amadé in Österreich. Der Großverbun­d mit 270 Liften und Seilbahnen hat die Brille mit seiner App gekoppelt, sodass der Skifahrer Infos über Wetter und Temperatur­en, Pistenverh­ältnisse und den Status der Lifte im Sichtfeld der Brille abrufen kann. Entscheide­nder Vorteil dürfte aber die Navigation sein: Der Skifahrer legt seine Präferenze­n fest. Wer’s einfacher mag, wird vornehmlic­h über blaue Pisten gelotst, die Sportliche­n lenkt das System Richtung rote und schwarze Abfahrten. Gerade in großen Skigebiete­n oder in einer Region, in der man sich nicht auskennt, kann das sehr hilfreich sein. Zudem erhält der Fahrer Hinweise auf Hütten und Attraktion­en am Pistenrand. Die Infos und Richtungsp­feile werden in einem kleinen Bildschirm im linken unteren Teil der Skibrille eingeblend­et, sodass das Sichtfeld weitestgeh­end frei bleibt.

Smarte Helfer können Skifahrern im Extremfall sogar das Leben retten. Längst ist man über die Entwicklun­g von Lawinen- und Notruf-Apps hinaus. Die Eidgenössi­sche Technische Hochschule Lausanne hat eine Drohne entwickelt, die Vermisste aufspüren kann, die vom Schnee verschütte­t wurden.

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FOTO: CLAUDIA ZIEGLER Die smarte Skibrille leitet und liefert Informatio­nen direkt ins Blickfeld.

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