Schwäbische Zeitung (Biberach)
„Ich will Weltmeister werden“
Der 60-jährige Radsportler Jens Wetzstein ist SZ-Sportler des Monats Oktober
BIBERACH - Mit großem Abstand hat der Radsportler Jens Wetzstein die Wahl zum Sportler des Monats der Schwäbischen Zeitung im Oktober gewonnen. Mehr als die Hälfte der Stimmen wurden für den 60-Jährigen vom SV Birkenhard in der Online-Abstimmung abgegeben. Wetzstein gewann in diesem Jahr den German CyclingCup und ist damit inoffizieller deutscher Meister der Jedermann-Radsportler.
Informiert wurde Wetzstein vom Abteilungsleiter in Birkenhard, Roland Weiler. „Ich habe zwar ab und zu mal in die Abstimmung reingeklickt, aber über das Endergebnis war ich nicht sofort auf dem Laufenden“, sagt Wetzstein. „Aber es hat mich sehr gefreut und auch ein wenig überrascht, da die Konkurrenz doch ganz beachtlich war.“Und das nicht ohne Grund, denn der Sport oder besser die Rennen, die Wetzstein bestreitet, werden kaum von den Medien beachtet. Im Vergleich mit großen Jedermann-Marathons, bei denen mehrere Tausend Läufer an den Start gehen, bestreitet Jens Wetzstein eine Rennserie für Radfahrer. „Das ist dann vergleichbar mit der Radbundesliga und wird in Altersklassen ausgefahren.“
Bereits als 13-Jähriger, also vor 47 Jahren kam Jens Wetzstein zum Radfahren. „Ich hatte schon als kleiner Bub das Ziel, Radrennfahrer zu werden. Damals muss ich etwa vier Jahre alt gewesen sein“, erinnert sich Wetzstein an seine Kindheit. Wenig später habe er die großen Radklassiker – vor allem natürlich die Tour de France im Fernsehen verfolgt und war spätestens dann mit dem Radfahrvirus infiziert. „Das hat mich nicht mehr losgelassen und ich habe beim RSC Biberach angefangen, sportlich in die Pedale zu treten.“
Training mit Rolf Gölz
Wegen einiger Ungereimtheiten wechselte der damals 17-Jährige dann zum RMSV Bad Schussenried, wo ein gewisser Rolf Gölz schon für Furore sorgte. Gölz, vier Jahre jünger als Wetzstein, zeichnete sich schon zu dieser Zeit durch enormen Ehrgeiz aus. Vier Jahre trainierten Wetzstein und Rolf Gölz zusammen, irgendwann war aus dem Rennfloh aus Bad
Schussenried ein kräftiger Rennfahrer geworden, der nicht mehr zu halten war. Gölz wurde Profi, Wetzstein musste passen, obwohl der Wunsch schon sehr ausgeprägt war. „Mir fehlte die letzte Physis. Ich war zwar groß, aber hatte nicht die Kraftpotenziale wie eben ein Rolf Gölz“, musste Jens Wetzstein damals schweren Herzens auf eine Profikarriere im Radsport verzichten.
Wetzstein machte sein Abitur und anschließend eine Ausbildung. Er blieb zunächst dem Radsport treu, heute ist er Produktmanager im ITBereich. Wetzstein entdeckte das Mountainbike als neues Renngerät. „Das hat mich ziemlich in den Bann genommen. Ich wurde sozusagen zu einem der Pioniere der Mountainbike-Szene.“Technik und die Anforderungen eines Mountainbikes machten den Reiz aus.
Bis 2005 widmete sich der inzwischen vierfache Vater dem Mountainbike-Fahren. Doch plötzlich streikte sein Körper, die Knie wollten nicht mehr so, wie Wetzstein wollte. Radfahren, geschweige denn Mountainbike war nicht mehr. „Ich begann zu laufen, meistens Halbmarathons“, denkt
Jens Wetzstein zurück. Auch einen Marathon über 42,195 Kilometer ließ er sich nicht entgehen. Der BerlinMarathon musste es dann sein. Doch innerlich hatte der Radsport Wetzstein nie losgelassen. Er wollte wieder in den Sattel und ließ sich an den Knien operieren. Und es ging wieder. Jens Wetzstein bekommt heute noch ein strahlendes Gesicht, wenn er sich an die Zeit erinnert. Ich bin dann bei den Hamburg Cyclings an den Start gegangen – gemeinsam mit 12 000 anderen Fahrer und Fahrerinnen. 3000 bis 4000 Kilometer pro Jahr war damals sein Trainingspensum. „Das habe ich dann in den Folgejahren bis 2010 kontinuierlich gesteigert, wurde in diesem Jahr schon 96. in der Gesamtwertung. Nächstes Ziel war der „German Cycling-Cup“(GCC).
2018: Erfolgreichstes Jahr
Die Serie GCC umfasst acht der größten deutschen Radrennen, von denen die besten sechs in die Gesamtwertung einfließen und gilt als inoffizielle Deutsche Meisterschaft. Unter anderem wird in Köln, Münster Dresden oder Leipzig gefahren. 2018 wurde dann das Jahr von Jens Wetzstein. Er
wurde 60 Jahre alt und gewann die Serie GCC. „Ich wollte bester deutscher Fahrer in meiner Altersklasse sein und das habe ich auch geschafft. Stolz und Ehrgeiz gleichermaßen prägen diese Aussage von Wetzstein, der in diesem Jahr schon rund 13 000 Trainingskilometer runtergespult hat. Und das alles ohne Sponsoren. Wetzstein musste einen hohen vierstelligen Betrag aufbringen, um so weit zu kommen. „Ich habe jetzt einen Sponsor gefunden, der mir meine Rennkleidung finanziert“, sagt Wetzstein, „aber ich würde mich sehr über weitere Unterstützung freuen.“
Zumal Jens Wetzstein sich für das kommende Jahr ein großes Ziel vorgenommen hat. In Polen will er im September Weltmeister in seiner Altersklasse werden. „Das Streckenprofil mit einer flachen Topografie spricht für mich“, sagt er. „Ich bin kein Bergfloh und kein Bergfahrer, aber nächstes Jahr könnte ich es packen.“Die Qualifikation dafür sei kein Problem. Dreimal im Jahr lässt sich Wetzstein medizinisch durchchecken und sich auch sportwissenschaftlich begleiten. „Das ist absolut notwendig auf diesem Niveau.“