Schwäbische Zeitung (Biberach)
Der Ruf nach der Quote für die Politik
Vortrag und Diskussion zum 100-jährigen Bestehen des Frauenwahlrechts
LAUPHEIM - Aus Anlass des einhundertjährigen Bestehens des Frauenwahlrechts in Baden-Württemberg referierte Sylvia Schraut von der Universität der Bundeswehr in München bei einer Veranstaltung der Volkshochschule Laupheim. „Frauen im Parlament. Frauen an die Macht? Ein Weg mit Stolpersteinen“, wählte die Historikerin als Thema. In einer anschließenden Diskussion mit Laupheimer Stadträtinnen und Besuchern wurden die Probleme um das politische Engagement mit aktuellen, vor allem regionalen Aspekten vertieft.
Sylvia Schraut, die auch Vorsitzende des Vereins „Frauen & Geschichte Baden-Württemberg“ist, bilanzierte zunächst die politische Frauenbewegung im 19. Jahrhundert. Ihr Vortrag fand viel Beifall beim fast ausschließlich weiblichen Publikum. „Selbstverständlichkeiten werden heute wieder infrage gestellt“, sagte Schraut, dazu zähle die Gleichstellung von Mann und Frau. Sie bezog sich dabei auf eine Äußerung des baden-württembergischen AfD-Abgeordneten Heiner Merz. Er sprach davon, dass Quoten nur „dummen, unqualifizierten, faulen, hässlichen und widerwärtigen Frauen“nützten.
Schraut brachte in Erinnerung, dass mit der Französischen Revolution, auf deren Ideen Demokratie und Rechtsstaat basieren, eine Gleichstellung der Frauen noch lange nicht erreicht war. Die SPD habe 1891 das Frauenwahlrecht in ihr Programm aufgenommen und es nach dem Ersten Weltkrieg eingeführt. Doch trotz des Wahlrechts seien Frauen in den Parlamenten der Weimarer Republik „total unterrepräsentiert“gewesen. Im Bundestag sei der Frauenanteil von 36 auf 31 Prozent zurückgefallen. Dies sei auch auf die schwache Repräsentanz von Frauen in der AfDFraktion zurückzuführen.
Zentrale Frage für die Professorin: „Warum wählen Frauen keine Frauen?“Dies erkläre sich durch das Familienrecht, sagte sie. Dieses habe der Frau bis in unsere Tage eine bestimmte Rolle in der Familie zugewiesen. Anhand eines Schaubilds wies sie nach, dass die Frauen auch heute viel mehr Zeit als Männer mit „Care-Arbeit“verbringen. Die Frauen stünden infolgedessen häufig auf der Schattenseite des Lebens, etwa bei der Rentenhöhe, weil dies Männer so bestimmten. Sylvia Schraut stellt die Frage in den Raum: „Ist der Verlust von politischen Privilegien für Männer tatsächlich ein Verlust oder nicht etwa ein Gewinn?“
Praktisch veranschaulicht wurde der Vortrag in einer Diskussion unter Kommunalpolitikerinnen aus Laupheim: Karin Meyer-Barthold (Freie Wähler), Anja Reinalter (Offene Liste), Martina Miller (SPD) und Rita Stetter (CDU). Fragen stellt Sabine Zolper (Leiterin der VHS Laupheim). Dabei wurde deutlich, dass die Gemeinde- und Kreisrätinnen auf verschiedenen Wegen Zugang zur Politik fanden. Bei Anja Reinalter war es etwa die Elternarbeit, Martina Miller saß schon in jungen Jahren im Gemeinderat, der Weg wurde durch Gewerkschaftsarbeit geebnet. Rita Stetter musste erleben, dass es von männlicher Seite als ziemlich ungeheuerlich empfunden wurde, dass Frauen in die Politik einsteigen. Sabine Zolper brachte ins Gespräch, dass Frauen im Laupheimer Rat sich eines hohen Stimmenanteils erfreuen könnten.
Einig sind sich die Kommunalpolitikerinnen, dass so manche Hürde zu nehmen sei, um ein Mandat übernehmen zu können. Man traue es einfach Frauen mit Kindern nicht zu, von den Ehemännern käme zu wenig Unterstützung, ist Meyer-Barthold überzeugt. Anja Reinalter fordert: „Wir brauchen Betreuungsgeld, wenn wir im Gemeinderat sind.“
Weitgehend Einigung gab es bei der Frage der Herstellung von Parität zwischen Männern und Frauen in den Parlamenten. Rita Stetter möchte da am liebsten „einen Pflock einschlagen“, um Gleichstellung zu erreichen. In diese Kerbe schlägt Martina Miller und verweist auf das Beispiel Frankreich. Karin MeyerBarthold ist nicht Angst vor einer Einführung der Parität: „Die kompetenten Frauen sind ja da.“