Schwäbische Zeitung (Biberach)

Kardinal kontra Heuchelei

Papst-Kritiker Brandner relativier­t Missbrauch­sskandal

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ROM (dpa) - Die Empörung über den Missbrauch­sskandal in der katholisch­en Kirche ist für den deutschen Kardinal Walter Brandmülle­r Heuchelei. „Da benimmt sich die Gesellscha­ft ziemlich heuchleris­ch“, sagte Brandmülle­r, der als Kritiker von Papst Franziskus gilt, kurz vor seinem 90. Geburtstag am Samstag. „Was in der Kirche an Missbrauch passiert ist, ist nichts anderes, als was in der Gesellscha­ft überhaupt geschieht.“Sexueller Missbrauch sei kein rein katholisch­es Phänomen. Der eigentlich­e Skandal sei, dass sich die Kirche hierbei nicht vom Rest der Gesellscha­ft unterschei­de.

Eine Studie hatte ergeben, dass in Deutschlan­d zwischen 1946 und 2014 1670 katholisch­e Kleriker 3677 meist männliche Minderjähr­ige sexuell missbrauch­t haben sollen. Zudem wurden Strukturen in der katholisch­en Kirche benannt, die Missbrauch befördern könnten, etwa die Ehelosigke­it der Priester.

Am Samstag wird er 90 Jahre alt – doch von Altersmild­e ist bei Walter Brandmülle­r keine Spur. Brandmülle­r ist einer der sichtbarst­en Kritiker von Papst Franziskus. Zu seinem Geburtstag spricht der im fränkische­n Ansbach geborene Geistliche über seine Sicht zum Missbrauch­sskandal, der die katholisch­e Kirche erschütter­t – und er sieht einen Zusammenha­ng zwischen Missbrauch und Homosexual­ität.

Brandmülle­r relativier­t den sexuellen Missbrauch in kirchliche­n Institutio­nen. „Was in der Kirche an Missbrauch passiert ist, ist nichts anderes, als was in der Gesellscha­ft überhaupt geschieht“, sagt er. Der eigentlich­e Skandal sei, dass sich die Kirchenver­treter in diesem Punkt nicht von der gesamten Gesellscha­ft unterschie­den. Und überhaupt: die meisten Opfer seien ja keine Kinder gewesen, sondern „männliche Jugendlich­e“. Das zu vergessen oder zu verschweig­en sei „wirklichke­itsfremd“, kritisiert Brandmülle­r. Es sei zudem „statistisc­h erwiesen“, dass es einen Zusammenha­ng zwischen Missbrauch und Homosexual­ität gebe.

Allgemein sieht Brandmülle­r die Kirche in einer „vitalen Krise“. Die Stellungna­hmen der Kirche sieht er zu nah am „gesellscha­ftlichen Mainstream“. Und verantwort­lich dafür sind seiner Meinung nach die höchsten Vertreter der Kirche – der Papst eingeschlo­ssen. Spätestens seit dem sogenannte­n „Dubia-Brief“gehört Brandmülle­r zum Kreis der Kardinäle, die Äußerungen des Papstes auch in der Öffentlich­keit ernsthaft hinterfrag­en. In dem Schreiben forderten Brandmülle­r, der mittlerwei­le verstorben­e Joachim Meisner und zwei weitere Kardinäle den Pontifex im Jahr 2016 auf, Zweifel an dessen Position gegenüber wiederverh­eirateten Geschieden­en auszuräume­n.

Ein Papst-Gegner sei er aber „auf gar keinen Fall“, sagt Brandmülle­r – aber ein Kritiker. „Dass ich einem Papst gegenüber kritisch sein kann, ist doch ganz normal“, sagt er. „Der Papst ist ja nicht der liebe Gott.“(dpa)

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FOTO: DPA Kardinal Walter Brandmülle­r ist einer von acht deutschen Kardinälen. Er wird am Samstag 90 Jahre alt.

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