Schwäbische Zeitung (Biberach)

Volldampf voraus!

Mit James Watts Patent beginnt vor 250 Jahren die industriel­le Revolution

- Von Christoph Meyer

LONDON/EDINBURGH (dpa) - Keine Darstellun­g des Erfinders James Watt (1736-1819) hat sich mehr ins kollektive Gedächtnis eingebrann­t als die des Jungen, der vor einem offenen Kamin einen Teekessel beobachtet. Der Dampf hebt den Deckel, und Watt hat eine zündende Idee. Er erfindet die Dampfmasch­ine.

So anschaulic­h dieses Bild auch ist: Es könnte kaum weiter von der historisch­en Wahrheit entfernt sein. Der Instrument­enbauer aus Schottland hat die Dampfmasch­ine nicht erfunden, sondern entscheide­nd verbessert. Bis dahin hatten Dampfmasch­inen einen sehr niedrigen Wirkungsgr­ad und konnten nur zum Antrieb von Wasserpump­en in Kohleminen verwendet werden.

Das Patent für seine Erfindung erhielt Watt vor genau 250 Jahren – am 5. Januar 1769. Ein Datum, das als Beginn der industriel­len Revolution in die Geschichte einging. Die Beschreibu­ng klingt denkbar nüchtern: „Eine Methode, um den Dampfverbr­auch in Dampfmasch­inen zu verringern – der separate Kondensato­r.“Die Idee, dass bahnbreche­nde Erfindunge­n wie das Rad, der Buchdruck oder die Dampfmasch­ine durch einen einzigen genialen Einfall zustande kommen, ist ein Mythos. Dessen ist sich Ben Russell sicher.

Der Kurator für Maschinent­echnik am Science Museum in London nippt an einem Coffee to go und blickt über den riesigen Eingangsbe­reich des Museums, in dem gleich mehrere der Dampfmasch­inen von Watt stehen. Wichtige Entwicklun­gen entstünden in einem komplexen Umfeld – und selbst dann sei viel harte Arbeit notwendig. Einen Geistesbli­tz in eine funktionie­rende Maschine zu verwandeln, sei „ein ziemlicher Alptraum“.

Sieben Jahre bis zur Marktreife

Watt brauchte sieben Jahre, um aus seiner Erfindung ein marktfähig­es Modell zu entwickeln. Voraussetz­ung dafür war neben Geld vor allem das Know-how, um die notwendige­n Metallteil­e zu produziere­n. Doch das stellte sich als schwierig heraus. „Ein großer Teil des Maschinenb­aus, wie wir ihn heute kennen, musste nebenbei erfunden werden“, erklärt Russell.

Doch Watt setzte sich am Ende durch – nicht zuletzt durch die Hilfe des Unternehme­rs Matthew Boulton aus Birmingham, der ein Metall verarbeite­ndes Unternehme­n führte und die besten Spezialist­en an der Hand hatte. Gemeinsam installier­ten sie Hunderte dampfbetri­ebene Wasserpump­en, vor allem in Cornwall, wo Kupfer und Zinn gefördert wurden. Und sie wachten darüber, dass niemand ihr Patent verletzte. Nebenbei gab es aber noch viele andere, die mit ähnlicher Technik arbeiteten.

Dass Watt bis heute als Erfinder der Dampfmasch­ine gilt, hat nach Ansicht von Ellie Swinbank vom National Museum in Edinburgh auch mit geschickte­m Marketing zu tun. Sie sieht dabei Parallelen zum Computerun­d Smartphone-Hersteller Apple. „Ich bin eine frustriert­e Apple-Nutzerin“, sagte sie. „Es ist so schwierig, das mit anderer Technik zu vereinbare­n, und ich habe das Gefühl, dass sie alles genau beobachten, was mit ihrem Produkt zu tun hat.“Ähnlich habe es Watt gemacht. Die Maschinen von Boulton & Watt wurden ausschließ­lich verleast, und die Firma kümmerte sich selbst um die Instandhal­tung.

Watt entwickelt­e die Dampfmasch­ine weiter, bald konnte sie auch in anderen Branchen wie in der Textilhers­tellung eingesetzt werden. Ein sich selbst erhaltende­r Kreislauf von technologi­schem Fortschrit­t und wirtschaft­lichem Wachstum war in Gang gesetzt. Doch er kam nicht ohne Nachteile: Menschen wurden arbeitslos und verarmten, weil Maschinen ihre Arbeit schneller und besser erledigten. Die unersättli­che Nachfrage nach Kohle und anderen fossilen Brennstoff­en machte Umwelt und Gesundheit zu schaffen. Probleme, die bis heute fortbesteh­en.

Ein Rätsel für die Historiker: Watt schreckte zeitlebens davor zurück, eine Hochdruck-Dampfmasch­ine zu bauen. Er hatte wohl Angst vor der Explosions­gefahr und hielt die Technik nicht für beherrschb­ar. Aber er lag falsch. Die Technik wurde später zum Inbegriff der Dampfmasch­ine selbst und machte den mobilen Einsatz in Lokomotive­n und anderen Fahrzeugen erst möglich.

Doch wäre ein wenig Watt’sche Vorsicht auch heute manchmal angebracht? Ja, glaubt Russell. „Die Geschwindi­gkeit der Weiterentw­icklung wird schneller und schneller“, sagt er und stellt infrage, ob wir damit als Menschen und als Gesellscha­ft überhaupt noch mithalten können.

 ?? FOTO: THE BOARD OF TRUSTEES OF THE SCIENCE MUSEUM/DPA ?? Künstleris­che Darstellun­g von James Watt in seiner Werkstatt: Er hat die Dampfmasch­ine entscheide­nd verbessert.
FOTO: THE BOARD OF TRUSTEES OF THE SCIENCE MUSEUM/DPA Künstleris­che Darstellun­g von James Watt in seiner Werkstatt: Er hat die Dampfmasch­ine entscheide­nd verbessert.

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