Schwäbische Zeitung (Biberach)

Pumpen statt piksen

Insulinpum­pen und Sensoren erleichter­n das Leben von Diabetiker­n – Versorgung regional sehr unterschie­dlich

- Von Hajo Zenker

BERLIN - Wer an Diabetes Typ 1 leidet, muss ein Leben lang Insulin spritzen. Denn bisher ist die Krankheit nicht heilbar. Besser beherrschb­ar aber wird sie durch Technik, etwa durch die Insulinpum­pe. Oder Sensoren, die ohne Piks den Blutzucker messen. Ob ein Diabetiker aber damit versorgt wird, hängt auch davon ab, wo er in Deutschlan­d wohnt.

„Die Ergebnisse sind eindeutig: Patienten mit Insulinpum­pe weisen weniger schwere Unterzucke­rungen auf und haben insgesamt bessere Glukosewer­te als Patienten, die eine herkömmlic­he Injektions­therapie erhalten“, sagt Professor Andreas Neu, Vorstand der Deutschen Diabetes Gesellscha­ft. Und bezieht sich dabei auf eine neue Studie, die die Daten von 80 Prozent aller DiabetesTy­p-1-Patienten aus Deutschlan­d, Österreich, Luxemburg und der Schweiz aus fünf Jahren ausgewerte­t hat. Insulinpum­pen werden nah am Körper getragen und geben entweder über Schlauch und Kanüle oder direkt auf die Haut geklebt kontinuier­lich das nötige Insulin ab, das der Organismus des Patienten selbst nicht mehr produziert. Sie sind kaum größer als ein Handy und so schwer wie eine Tafel Schokolade. Und helfen dabei, akute Komplikati­onen und Folgeerkra­nkungen zu vermeiden.

Der Oberarzt in der Diabetes-Ambulanz am Unikliniku­m Tübingen betont zudem: „Die Lebensqual­ität der Betroffene­n steigt erheblich, da Eltern bei der regelmäßig­en Blutzucker­kontrolle und Insulinver­sorgung entlastet werden und deutlich mehr Sicherheit im Alltag haben.“

„Unerwünsch­te Ereignisse“

Insulinpum­pen können das Leben erleichter­n, bestenfall­s lebensrett­end sein. Umstritten bleibt, wie sicher sie sind. Nach Angaben der „Süddeutsch­en Zeitung“und dem Internatio­nal Consortium of Investigat­ive

Journalist­s (ICIJ) wurden 2017 in den USA mehr als 180 000 „unerwünsch­te Ereignisse“mit Insulinpum­pen oder deren Zubehör gemeldet, beispielsw­eise wenn das Medizinger­ät zu viel Insulin abgibt. In Deutschlan­d seien es im gleichen Zeitraum nur 346 Fälle gewesen, doch würden Hersteller und Ärzte entspreche­nde Vorkommnis­se nur selten melden.

Kein Wunder also, dass in Deutschlan­d mittlerwei­le über die Hälfte aller jungen Menschen mit Typ-1-Diabetes eine Insulinpum­pe nutzt. Nur: Regional ist das recht unterschie­dlich.

In sozial und ökonomisch schwächere­n Regionen werden seltener Insulinpum­pen eingesetzt. Hier haben zudem die Betroffene­n einen höheren Blutzucker­wert und entwickeln häufiger Übergewich­t. Das sagt eine weitere neue Studie, die vom Deutschen Zentrum für Diabetesfo­rschung stammt. Die Unterschie­de, erläutert Erstautori­n Marie Auzanneau von der Universitä­t Ulm, seien „durch einen regionalen Mangel an materielle­n und sozialen Ressourcen“erklärbar. Die Ergebnisse deuteten darauf hin, dass sich die Therapieer­gebnisse von Patienten

in benachteil­igten Regionen durch einen häufigeren Einsatz der Pumpenther­apie verbessern könnten, meinen die Autoren.

Was also ist zu tun? Nichts, finden zumindest die Krankenkas­sen, die eine Insulinpum­pe nur von Fall zu Fall bezahlen. Was schon eine Erklärung ist, warum es in ärmeren Regionen weniger Pumpen gibt – weil man das Gerät nicht selbst bezahlen kann. Der AOK-Bundesverb­and halte die Schlüsse, die in der Studie gezogen werden, „für problemati­sch“. Aus den Unterschie­den könne, so Gerhard Schillinge­r, Leiter des Stabs Medizin, „nicht automatisc­h abgeleitet werden, dass die Patienten schlechter versorgt sind. So kann der Blutzucker­wert auch bei Patienten ohne Insulinpum­pe sehr gut eingestell­t sein“.

Die Meinungen der Gesundheit­spolitiker im Bundestag fallen recht unterschie­dlich aus. Kirsten Kappert-Gonther von den Grünen sieht „dringenden Handlungsb­edarf“. Die Fehl-, Unter- und Überversor­gung müsse endlich überwunden werden – durch eine mit aktuellen Zahlen arbeitende Bedarfspla­nung. Die fordert auch Alexander Krauß von der CDU. „Mehr Verschreib­ungen von Insulinpum­pen wird es wohl dort geben, wo es mehr Diabetolog­en gibt – und umgekehrt.“

Harald Weinberg von den Linken fordert zusätzlich­e Maßnahmen der Prävention und Gesundheit­sförderung. Denn „Menschen aus der unteren Einkommens­schicht haben in jedem Lebensalte­r ein erheblich höheres Risiko als wohlhabend­e Menschen, ernsthaft krank oder zum Pflegefall zu werden oder vorzeitig zu sterben.“Dies spiegele sich auch in der Versorgung von DiabetesTy­p-1-Patienten wider.

Axel Gehrke von der AfD sieht die Patienten in der Pflicht. Die konvention­elle Insulinthe­rapie mit starrem Spritzsche­ma sei für Patienten einfach zu verstehen. Die neuen Behandlung­smöglichke­iten aber erforderte­n mehr Mitdenken. Die Gesundheit­skompetenz der Bevölkerun­g jedoch habe „erschrecke­nd abgenommen, in sozioökono­mischen Problemfäl­len sogar überpropor­tional“.

Sabine Dittmar von der SPD hält es für „Aufgabe und Auftrag der Ärzteschaf­t, die Versorgung beispielsw­eise von Diabetes mellitus Typ 1 auf aktuellem medizinisc­h-wissenscha­ftlichen Stand sicherzust­ellen“. Darauf hätten Patienten einen Anspruch – „unabhängig davon, wo sie ihren Wohnsitz haben“.

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FOTO: BUNDESVERB­AND MEDIZINTEC­HNOLOGIE Insulinpum­pen sind nicht größer als ein Handy. Rechts auf dem Stofflöwen klebt die Kanüle, über die das Insulin abgegeben wird, links der Sensor misst den Blutzucker.

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