Schwäbische Zeitung (Biberach)
Dein Rauch komme…
In der Weihnachtsgeschichte bringen die Heiligen Drei Könige Weihrauch nach Bethlehem – Kamen sie aus dem Oman? Das reiche Sultanat exportiert „Gottes Parfum“bis heute
Zuerst ist da dieser Geruch: Etwas beißend, leicht süßlich startet er sofort das Kopfkino. Vor dem inneren Auge erscheint ein Pfarrer, der ein qualmendes Messinggefäß schwenkt. Rauchschwaden, die durchs Kirchenschiff ziehen, in dem eine ehrfurchtsvoll-feierliche Atmosphäre herrscht. Ein deutscher Gottesdienst flimmert vorbei – dabei stehen wir mitten im Markttreiben der omanischen Hauptstadt Muscat. Widerstand gegen die von der Nase ausgelösten Eindrücke ist zwecklos, signalisiert das Gehirn doch: Dein Rauch komme, sein Wille geschehe!
Doch woher strömt er eigentlich? Die Augen scannen Marktstände des engen, dunklen Souks ab und bleiben zwischen T-Shirts, Silberschmuck und Wasserpfeifen schließlich hängen an einem faustgroßen, zipfelmützenartigen Tongefäß mit kunstvoll geformten Öffnungen. Aus ihnen steigt kaum sichtbar eine Rauchfahne auf. „Wieruch, Wieruch“, ruft der dahinter kauernde Händler in gebrochenem Deutsch, „trrii Rial, only trrii Rial“und zeigt auf kleine Päckchen mit kandiszuckergroßen Weihrauchstücken. Drei Rial sollen sie kosten, umgerechnet etwa sechs Euro. Fahad, unser Führer und Fahrer durch eine Woche Oman schlendert ohne Seitenblick weiter – das untrügliche Zeichen: Weihrauch gibt’s woanders noch billiger und in besserer Qualität.
So gerät Omans Nationalgeruch für eine Weile aus der Nase, beziehungsweise aus dem Blickfeld, auch, weil sich ein Mann ständig hineindrängelt: Sultan Qaboos Al Said. Mal gütig, mal mahnend schaut der absolutistische Herrscher seine Untertanen von Ladentheken, Wimpeln und Geldscheinen an – und das schon seit Jahrzehnten. Im Jahre 1964 von der Militärausbildung in England und Deutschland zurückgekehrt, bekam Qaboos Hausarrest vom Vater, stürzte ihn 1970 und übernahm einen abgeschotteten, verarmten Winkel rechts unten auf der arabischen Halbinsel, etwas größer als Deutschland. Nur elf Kilometer asphaltierte Straße gab es damals im Oman, ein Krankenhaus, drei Koranschulen, 98 Prozent Analphabeten, Sonnenbrillenund Radioverbot. Heute können fast 90 Prozent der omanischen Männer und 70 Prozent der Frauen lesen und schreiben, bestens ausgebaute Straßen führen in jedes noch so entlegene Dorf und dort auch zu einem „Medical Center“.
Steuern? Gibt’s nicht. Noch verdient der Staat genug mit Öl und Gas. Nicht nur Fahad, viele Omanis während der Rundreise erzählen diese Erfolgsgeschichte von 1001 Pracht. Etwa aus Furcht vorm Sultan? „Nein, aus Ehrfurcht“, bestätigt auch Dorien Smit, die niederländische Verkaufsleiterin im Hotel Interconti der Hauptstadt Muscat.
Trotz aller Huldigungen: Qaboos ist ein absolutistischer Monarch, zugleich auch Premier-, und Außenminister. Gewaltenteilung gibt es nicht, Parteien sind verboten, die Pressefreiheit ist eingeschränkt, zwei Parlamente und die vom Sultan ernannten Minister haben nur beratende Funktion. Bauminister ist Qaboos eigentlich auch selbst: Er ließ eine der größten Moscheen Arabiens mit Platz für 25 000 Gläubige bauen, einen neuen Flughafen und breite Ausfallstraßen. Aber welcher Staatschef kann schon von sich sagen, er habe einen besonders betörenden Duft in Auftrag gegeben? „Unser Öl und Gas reichen nicht ewig“, soll Sultan Qaboos schon in den frühen Achtzigerjahren gesagt haben – „lasst uns mit Parfum anfangen!“Aber nicht irgendeinem, sondern dem in der ganzen Welt begehrten omanischen Nationalduft. Guy Robert, einer der besten französischen Parfumeure, üblicherweise in Diensten von Chanel oder Dior erhielt des Sultans ungewöhnlichen Auftrag: „Erschaffe mir das teuerste Parfum der Welt, Geld spielt keine Rolle, aber omanischer Weihrauch muss drin sein!“Guy Robert mixte Weihrauch solange mit Zedernholz, Koriander, Rosen oder Jasmin, bis „Amouage“herauskam. Im Flakon aus Sterling-Silber für 1000 US-Dollar. Der Preis ist inzwischen auf einige Hundert Dollar abgesackt, aber die Marke hat sich gehalten – alle 12 Monate kommt ein neuer „Jahrgang“aus der unscheinbaren, kleinen Fabrik an der Ausfallstraße.
Ein paar Kilometer weiter geht’s ins Landesinnere, von der Küste aufs 2000 Meter hohe Gebirgsmassiv Jebel Akhdar! Draußen vor den Autoscheiben in der Gluthitze wandern Bergketten vorbei, die aussehen wie staubige XXL-Geröllhalden, aufgetürmt von einem Riesen. Lehmfarben erscheinen die zackigen Berge auf den ersten Kilometern, dann plötzlich smaragdgrün, rostbraun oder holzkohleschwarz. „Überall in unseren Bergen kann man genau sehen, wo sich vor Jahrtausenden Kupfer (grün), Eisen (braun) und andere Mineralien abgelagert haben“, sagt Fahad, „dieses Faltengebirge liegt da wie ein offenes Buch der Erdgeschichte.“
Mittendrin die alte Hauptstadt Nizwa mit entwaffnend gastfreundlichen Omanis. „You want dates?“rufen zwei Stoffhändler – das englische Wort für Datteln – und laden zum „Qahwa“, einem eher dünnen Bohnengebräu, serviert in traditionell henkellosen Espressotassen auf einem Teppich. Nach ein paar Minuten Zeichensprache klappt’s besser mit der Verständigung, weil Ibrahim AlRemal Al-Daphia dazukommt. Mit erstaunlich gutem Deutsch hat er First Lady Bettina Wulff schon Weihrauch verkauft – zu sehen auf einem Foto, das um die Ecke im Tante-Emma-Laden des Händlers hinterm Spiegel klemmt. Daheim in Großburgwedel wird Bettina Wulff das Päckchen mit den beigefarbenen Stücken sicherlich anders verwendet haben als die Frauen hierzulande.
Sie raffen ihre langen Gewänder kurz knöchelhoch, schieben ein tönernes Weihrauch-Stövchen drunter und lassen den Rauch aufsteigen, bis er an Kopf und Schultern herausquillt. Oft ist der Weihrauch mit Sandelholz oder Myrrhe versetzt. „Wenn wir Allah begegnen, wollen wir gut riechen“, sagt die 29-jährige Wafaa, eine der wenigen omanischen Frauen, die auf offener Straße mit uns spricht. Sie erzählt, dass viele Familien ihre Häuser von innen mindestens einmal täglich mit Weihrauch bedampfen – um Insekten zu vertreiben und böse Geister.
Doch woher im Oman kommt dieser geheimnisvolle Stoff nun genau? Und woraus besteht er eigentlich? In der Nähe der Stadt Salalah, im äußersten Westen des Omans nahe der jemenitischen Grenze führt Fahad uns auf ein Hochplateau. Geröll und Staub soweit das Auge reicht. Mittendrin ein paar unscheinbare, gedrungene Bäume namens „Boswellia sacra“, kaum drei Meter hoch, knorrig und verzweigt.
Begehrter als Gold
Fahad ritzt den Stamm mit einem Spatel vorsichtig ein. Heraus quellen weiße, milchige Harztropfen und gerinnen. „Der erste, aber nutzlose Weihrauch“, erklärt Fahad, „die Besitzer der Bäume schaben ihn nach ein paar Tagen ab und ritzen den Baum erneut.“Das dann austretende, beigefarbene Harz wird ebenfalls von der „Baumwunde“abgeschnitten und in drei bis zehn Zentimeter langen Stücken zum Trocknen für drei Wochen in die Sonne gelegt. Dann ist dieser Weihrauch soweit gereift, dass er im Souk verkauft werden kann – zum Verbrennen auf Glühkohle im Stövchen. Der dritte Weihrauchschnitt – mal silbrig, mal grün schimmernd – ist der edelste und wird von den Omanis in Wasser eingelegt getrunken. Das soll gegen Halsschmerzen helfen, die Liebeskraft steigern und Kindern bessere Schulnoten bescheren.
Antiken Geschichtsschreibern zufolge lebten rund um Salalah, in Omans südwestlicher Provinz Dhofar, vor gut 2000 Jahren die reichsten Menschen der Welt: Weihrauchhändler. Sie hatten quasi das Monopol auf das Harz, damals begehrter als Gold und heiß ersehnt in griechischen und römischen Tempeln, in Ägypten oder Babylon. Geliefert wurde der begehrte Stoff stets per Kamel über die sogenannte Weihrauchstraße, die wohl älteste Handelsroute der Welt: Drei Monate waren die Karawanen durch die Wüste unterwegs, über Medina bis nach Gaza. Vielleicht kauften hier auch Caspar, Melchior und Balthasar ihren Weihrauch, bevor sie sich aufmachten aus dem Morgenland, um die kostbare Gabe in Bethlehem an das neugeborene Jesuskind zu verschenken ...
Wenn wir Allah begegnen, wollen wir gut riechen.
Die 29-jährige Wafaa über den Brauch der omanischen Frauen, sich mit Weihrauchduft zu umhüllen.