Schwäbische Zeitung (Biberach)
Ein Blatt Papier, um gezielt zu helfen
Ein neuer Notfallbogen unterstützt Einsatzkräfte beim Umgang mit Demenzerkrankte
BIBERACH - Mit dem Anstieg der Lebenserwartung steigt auch die Zahl von Menschen, die an Demenz erkranken. Dies stellt Einsatzkräfte wie zum Beispiel die Feuerwehr vor ganz neue Herausforderungen, wenn sie es bei Einsätzen mit Demenzpatienten oder aufgrund psychischer Erkrankung verwirrter Menschen zu tun haben. Ein im Landkreis Biberach entwickelter Notfallbogen kann hierbei Abhilfe schaffen und als landesweites Vorbild dienen.
Entwickelt wurde er in den vergangenen Monaten von Michael Wissussek, Vorsitzender des Kreisseniorenrats, Klaus Merz, Vorstandsmitglied des Landesfeuerwehrverbands, Petra Hybner vom Pflegestützpunkt Biberach sowie Gertraud Koch von der Altenhilfefachberatung des Landkreises.
Wofür man den Notfallbogen braucht, lässt sich am besten an einem fiktiven Szenario erläutern: Bei einem Hausbrand stoßen die Feuerwehrleute auf eine ältere Frau, die den Einsatzkräften erzählt, dass sie ihr Kind sucht. „Die Feuerwehr würde in einem solchen Fall sofort das brennende Gebäude nach einer Person absuchen, ehe ihr hinzukommende Angehörige sagen könnten, dass die Frau kinderlos ist, aufgrund einer Demenzerkrankung aber immer wieder in Situationen ihres Erzieherinnenberufs zurückfällt, den sie so liebte“, sagt Merz.
Solche und ähnliche Vorlieben oder Lebensereignisse werden im Notfallbogen abgefragt und sollten dort eingetragen werden. „Das hilft uns im Einsatzfall und bringt unter Umständen wertvolle Zeit“, sagt Merz. Ähnlich sei es auch, wenn ein an Demenz erkrankter Mensch verschwunden ist und die Einsatzkräfte eine Suchaktion starten müssen. „Auch hier hilft es, wenn auf dem Notfallbogen beispielsweise Orte eingetragen sind, an denen sich jemand gerne aufhält“, sagt Wissussek. Ein Passbild, das ebenfalls auf den Bogen gehört, erleichtert eine möglicherweise notwendige Fahndung.
Sicherheit für Einsatzkräfte
Braucht es neben der Notfalldose, die das Rote Kreuz bewirbt und die wichtige Infos über die Bewohner eines Haushalts enthält, noch einen weiteren Bogen speziell für Demenzerkrankte? „Das haben wir uns zunächst auch gefragt“, sagt Gertraud Koch. Der Notfallbogen enthalte aber viele Informationen, die auf anderen Bögen nicht stehen. Dabei gehe es nicht
um die Erleichterung einer Diagnose durch medizinisches Personal in einem Notfall, sondern um Handlungssicherheit für die Einsatzkräfte, so Wissussek. Immer wieder komme es bei Einsätzen vor, dass bei Menschen mit Defiziten in Notfallsituationen Zwangshandlungen angewendet würden, einfach deshalb, weil die Einsatzkräfte keine Informationen über die betreffende Person haben und diese im Notfall auch nicht schnell genug zu bekommen sind. „Diese Menschen werden dann gegen ihren Willen fixiert oder in die Klinik gebracht, obwohl das oft nicht notwendig wäre“, sagt Wissussek. Die Folge seien nicht selten Traumata oder eine Verschlechterung
des Gesundheitszustands.
Der Notfallbogen soll helfen, dem Ziel eines „sanften Einsatzes“der Rettungskräfte näherzukommen – im Idealfall im Zusammenspiel von eigens ausgebildeten Demenzlotsen, die bei den Feuerwehren im Landkreis angesiedelt sein sollen.
Ziel ist es deshalb nun, den Notfallbogen bekannt zu machen und möglichst viele Angehörige von Demenzkranken dazu zu bringen, einen solchen auszufüllen und an einer Stelle in der Wohnung zu hinterlegen, wo ihn Einsatzkräfte sofort finden: in der DRK-Notfalldose (sofern es eine solche im Haushalt gibt), an der Innenseite
der Haustür, neben dem Telefon oder auf dem Schreibtisch.
Der Bogen umfasst nur eine Seite und fragt neben Daten zur Person auch kurze Informationen über wichtige Bezugspersonen, zur Lebensgeschichte oder zum Verhalten der Person ab; alles Punkte, die im Notfall ansonsten erst mühsam erfragt werden müssen und die wertvolle Zeit kosten.
„In Beratungsgesprächen haben wir seit Dezember etwa 20 dieser Bögen an Angehörige ausgehändigt“, sagt Petra Hybner. Sie möchte den Notfallbogen künftig bei den Treffen von Pflegenden Angehörigen oder in Seniorengruppen bekannter machen. Dazu vereinbart sie gerne Termine mit den entsprechenden Gruppen. Auch Pflegekräfte sollen im Umgang mit dem Notfallbogen geschult werden.
Mit dem Notfallbogen haben die Initiatoren aus dem Landkreis Biberach bereits bundesweite Aufmerksamkeit erregt. Gut möglich, dass das Konzept schon bald in anderen Bundesländern übernommen wird.
Weitere Informationen zum Notfallbogen gibt es beim Pflegestützpunkt im Landratsamt Biberach, Telefon 07351/527613, oder bei der Demenzpflege Riedlingen, Telefon 07371/184726. Dort ist der Bogen auch erhältlich. Er kann auch heruntergeladen werden: www.netzwerk-demenz-bc.de oder www.biberach.de