Schwäbische Zeitung (Biberach)
So trifft ein harter Brexit die Region
Unternehmen stehen vor Fragen, auf die es keine Antwort gibt.
BIBERACH - Zu welchen Bedingungen wird Großbritannien die Europäischen Union verlassen? Zwei Jahre lang haben die Verantwortlichen darüber verhandelt. Eine Lösung ist aber weiter nicht in Sicht, weil das britische Parlament dem Brexit-Deal von Premierministerin Theresa May eine deutliche Abfuhr erteilte. Ein „harter“Brexit könnte nicht nur die Firmen in der Region empfindlich treffen, sondern auch die Arbeit des Vereins Städte Partner Biberach erschweren.
Für den Biberacher Musikfrühling Anfang Mai organisiert der Verein Städte Partner Biberach immer einen Markt mit internationalen Köstlichkeiten. Dabei kommt auch eine Marmelade der britische Partnerregion Tendring District zum Verkauf, die sich großer Beliebtheit erfreut. „Es ist die Frage, ob wir die Marmelade nach dem Brexit so einfach nach Biberach bringen können“, erläutert der Vorsitzende des Vereins, Hans-Bernd Sick. Dieses vergleichsweise banale Beispiel zeigt, welche weitreichenden Folgen der EU-Austritt Großbritanniens haben kann. Vor allem, wenn es dafür keine Regeln gibt.
Lagerbestände aufgestockt
International tätige Firmen aus dem Kreis Biberach haben erste Maßnahmen für einen unkontrollierten Brexit ergriffen. Bei der Unternehmensgruppe Handtmann beobachtet man die Entwicklungen aufmerksam, weshalb die Führungsetage vom Abstimmungsergebnis über den Brexit-Deal nicht überrascht war. Handtmann verfügt seit 30 Jahren über eine Handelsvertretung für die Maschinenfabrik auf der Insel. „Aufgrund der Brexit-Entwicklung in den vergangenen Monaten haben wir mit unserer Geschäftsleitung in Großbritannien schon sehr früh Vorkehrungen getroffen, um unsere Kunden auch unabhängig vom Ausgang der Brexit-Verhandlungen weiterhin bedienen zu können“, teilt das Unternehmen auf Anfrage der „Schwäbischen Zeitung“mit. Die Verantwortlichen gehen davon aus, dass die Exportabwicklung umfangreicher wird: „Deshalb haben wir das Maschinenund Ersatzteillager dort erhöht. Wir wollen damit unsere bisherige gute Kundenversorgung beibehalten.“
Das ist auch das Ziel der Ochsenhauser Firma Südpack. „Wir sind gerade dabei, mit unserem Hauptspediteur in Northampton detailliert zusammenzustellen, was auf uns zukommen könnte“, erläutert der geschäftsführenden Gesellschafter, Johannes Remmele. Es herrsche eine große Unsicherheit, was beispielsweise Zölle oder Abfertigung angeht. Informationen sind Mangelware: „Alles, was wir bisher gehört und gesehen haben, führt dazu, dass es schwieriger wird und die Abwicklung in Zukunft mehr Geld kosten wird.“Gemeinsam mit den Kunden seien die Lagerbestände erhöht worden. „Wir hoffen weiterhin, dass ein unkontrollierter Brexit doch noch verhindert werden kann und damit die Unübersichtlichkeit, die täglich wächst, einer sachlichen Vernunft weicht“, mahnt Remmele.
Situation ist verfahren
Die Hoffnung hat auch der Verein Städte Partner Biberach nicht aufgegeben – im Gegenteil. „Vielleicht kommt es ja nochmal zu einer Abstimmung, die europafreundlicher ausfällt“, sagt Hans-Bernd Sick. Derzeit sei die Situation in Großbritannien verfahren und die Fronten seien verhärtet. Er verfolge die Entwicklungen genau – und das nicht nur wegen seiner Funktion als Vorsitzender. Ihm liege Europa am Herzen: „Dank der EU leben wir in Mitteleuropa in den vergangenen 70 Jahren in Frieden.“
Die Vereinsarbeit wird sich für die Biberacher komplizierter gestalten. Das betrifft nicht nur die Marmelade auf dem Partnerschaftsmarkt. Auch gegenseitige Besuche berührt der Brexit. Muss künftig vielleicht sogar ein mit Kosten verbundenes Visum beantragt werden? „In der Praxis macht der Brexit bestimmt einiges schwieriger“, vermutet Sick. Jedoch ist er sich sicher, dass ein Austritt Großbritanniens – egal ob geordnet oder unkontrolliert – nicht das Ende der Städtepartnerschaft bedeutet: „Die Grundidee der Städtepartnerschaften, Erzfeinde der Weltkriege zu versöhnen, bleibt davon unberührt“, sagt der Vorsitzende.