Schwäbische Zeitung (Biberach)
Die Gesichter des Bösen
Einer Studie zufolge haben Narzissten, Psychopathen und Sadisten einen gemeinsamen Persönlichkeitsfaktor, den „dark factor“– Theologe Utsch hält dagegen
ULM/BERLIN (epd) - Die Bosheit hat viele Gesichter. Menschen können maßlos egoistisch, gehässig, narzisstisch oder sadistisch sein. Manche haben übertriebene Ansprüche, das Beste ist gerade gut genug. Andere denken, Moral gelte nicht für sie selbst. Es gibt Psychopathen und Machiavellisten. Bei Letzteren heiligt der Zweck die Mittel, und sie manipulieren andere ohne Mitgefühl. So verschieden diese zerstörerischen Neigungen sind – sie beruhten alle auf einem dunklen Persönlichkeitskern, erklären Psychologen in einer Studie.
„Es gibt Dutzende dunkle Eigenschaften, doch alle lassen sich auf das gleiche Prinzip zurückführen: Menschen verfolgen ihre Ziele rücksichtslos, auch wenn sie andere schädigen“, erklärt Morten Moshagen, Professor an der Universität Ulm. Das bezeichnen die Wissenschaftler als den „dunklen Faktor“oder D-Faktor. Darin sehen die Psychologen ein Konzept, um problematische Persönlichkeitszüge zu erkennen. Es müsse nun nicht mehr einzeln ermittelt werden, ob ein Mensch Sadist, Narzisst oder Psychopath sei. Bei Menschen mit einem hohen D-Faktor könne die Niedertracht demnach in die eine oder andere Richtung umschlagen. Moshagen erläutert, dass ein Egoist tendenziell eher auch ein Psychopath sei. „Der D-Faktor erweist sich als eine stabile Verhaltenstendenz, über die Jahre hinweg“, erklärt Moshagen. Sein Ausmaß ermittelten die Forscher unter anderem durch einen Fragebogen.
Die Tendenz ist je nach Lebensalter unterschiedlich ausgeprägt. „Am verträglichsten sind Menschen um die 50“, sagt Moshagen. Dagegen verbergen sich in 20-Jährigen und Menschen ab 70 Jahren mehr böse Neigungen. Insgesamt, schätzt er, gehörten in der Bevölkerung fünf Prozent zu den Personen mit „sozial problematischen Persönlichkeitsmerkmalen“. Diesen Begriff verwendet er als Wissenschaftler bevorzugt.
Aber ist Bosheit wirklich ein unabänderlicher Charakterzug? Der Theologe Michael Utsch von der Evangelischen Zentralstelle für Weltanschauungsfragen in Berlin widerspricht dem Konzept: „Ich habe als Mensch immer die Chance, mich zwischen Gut und Böse zu entscheiden.“Er glaubt nicht an einen unabänderlichen „bösen Kern“.
Damit liegt er auf Linie mit den Philosophen der Aufklärung. Für Gottfried Wilhelm Leibniz (16461716) etwa war eine freie Willensentscheidung wesentlicher Teil des Bösen. Nach Immanuel Kant (17241804) beruht das Böse auf einem Missbrauch der menschlichen Freiheit. Theologieprofessor Utsch erklärt, jeder Mensch habe destruktive Ansätze, daher gelte es, das Positive zu fördern. Ein „dark factor“ist für Utsch kein trennscharfer Wert: „Wo liegt die Grenze zwischen gesundem Narzissmus, bei dem man die eigenen Fähigkeiten zu schätzen weiß, und krankhaftem Verhalten, der Gemeinschaftsunfähigkeit?“
Dem pflichtet Psychologe Moshagen durchaus bei. Auch er wisse nicht, wo das Böse beginne, „das wirklich sozial Problematische“. Doch mit einem verbesserten Fragebogen planen er und seine Mitautoren Ingo Zettler von der Universität Kopenhagen und Benjamin E. Hilbig von der Universität Koblenz-Landau, die Messung des „dunklen Faktors“laufend zu verbessern. „Die Selbstauskünfte sind nicht hypergenau“, gesteht er zu. Dennoch ist Moshagen überzeugt, dass er bei einem hohen Wert des D-Faktors vorhersagen kann, ob jemand in Zukunft durch übles Benehmen auffallen wird. So könnte für seine Forschung auch interessant sein, ob verurteilte Straftäter höhere Werte aufweisen.
Wenn eine Facette des Bösen zutage tritt, ist Moshagen der Ansicht: „Wir neigen zu übertriebener Nachsicht. Fällt jemand durch Größenwahn auf, denken wir, dass derjenige eben große Ziele hat.“Doch man müsse bei diesen Menschen eher damit rechnen, dass sie auch lügen und betrügen. Was bedeute, dass man bei einem Politiker wie Donald Trump mit Schlimmerem rechnen sollte.
Gemeinsam scheint den Menschen mit sozial problematischen Persönlichkeitsmerkmalen paradoxerweise zu sein, dass sie ihr Verhalten vor sich und der Welt rechtfertigen. „Es scheint notwendig zu sein. Etwa um Gewalt zu legitimieren heißt es: Wir müssen uns vor den anderen schützen“, sagtMoshagen.
Dem Theologen Utsch ist wichtig: Man könne den Menschen nicht auf einen einzigen Faktor reduzieren: „Wenn ein Bewerber hochrangige Zeugnisse einreicht, stelle ich ihn trotzdem nicht sofort ein. Erst muss man den Bewerber doch einladen und sich ein Gesamtbild machen.“