Schwäbische Zeitung (Biberach)

Großbauste­lle im Herzen des Münsters

Im Chorraum errichtet das Unternehme­n Peri ein riesiges Gerüst bis unter die Decke

- Von Oliver Helmstädte­r

ULM/WEISSENHOR­N - Im Allerheili­gsten scheppert es dieser Tage gewaltig. Im Chorraum des Ulmer Münsters wird seit Montag ein gewaltiges Gerüst aufgebaut. Wenn es fertig ist, ermögliche­n die Peri-Bauteile, dass Münsterbau­meister Michael Hilbert in jede Ritze der Decke in 26 Metern Höhe blicken kann. Und das ist dringend notwendig: Denn wie berichtet, bröckelt seit September des vergangene­n Jahres immer wieder Putz von der Decke. Grund dafür ist letztlich eine 500-Kilo-Bombe, die im Zweiten Weltkrieg das Münsterdac­h durchschlu­g – glückliche­rweise aber nicht explodiert­e.

Zerstörte „Rippen“, also eine Art Streben zwischen der verputzten Decke, wurden nach dem Krieg nicht aus Sandstein, sondern aus Eisenbeton nachgebaut. Neue Rippen aus gehauenem Stein kommen nicht infrage, so Hilbert – „viel zu aufwendig“. Doch der Putz muss erneuert werden. Der Münsterbau­meister schätzt, dass auf insgesamt etwa 100 Metern entlang der Rippenböge­n mit lockeren Stellen gerechnet werden müsse. Der eigentlich­e Grund für den bröckelnde­n Putz, der am 20. September vergangene­n Jahres mit einem 250Gramm-Stück, das aus 26 Metern auf den Boden stürzte, akut wurde, ist freilich der Weltkriegs­schaden. Doch das Fass zum Überlaufen brachte der extrem heiße Sommer. Über Wochen sei es dort oben, hoch über dem Chorgestüh­l, über 30 Grad warm gewesen, manchmal sogar bis zu 40. Die Hitze sei zwar gut gegen Schimmel, trockne aber den Putz aus.

Zum „Schutz der Besucher“

Wie Hilbert betont, werden die etwa 300 000 Euro teuren Arbeiten nicht aus optischen Gründen gemacht. „Sie dienen dem Schutz der Besucher.“Damit auch künftig der Chorraum ohne Bauhelm betreten werden kann, sollen die neu eingesetzt­en, mit Vlies umhüllten Putzteile mittels dünner Edelstahla­rmierungen in der Decke verankert werden. Außerdem plant Hilbert, zwischen Putz und Rippenböge­n eine von außen nicht sichtbare Trennfuge aus Hanf einzubauen. Denn so könnten sich die unterschie­dlichen Materialie­n bei Temperatur­schwankung­en ausdehnen, ohne dass es zu Abplatzung­en komme. Weißenhorn­er Hilfe für das Ulmer Münster: Bei der Restaurier­ung des Chorgewölb­es des Ulmer Münsters planten Peri-Ingenieure eine Gerüstkons­truktion, die seit Montag aufgebaut wird.

Derzeit stellen Arbeiter der Firma Mack das Gerüst aus dem Hause Peri auf. Und das ist groß: Der Chorraum umfasst 13 000 Kubikmeter umbauten Raum. Das bedeutet, dass 15 bis 17 durchschni­ttliche Einfamilie­nhäuser dort Platz finden würden. Die Weißenhorn­er Firma stellte die Gerüstteil­e kostenlos zur Verfügung – 100 000 Euro, so schätzt Peri-Sprecher Markus Woehl, spart sich so die Münsterbau­hütte.

Es ist nicht das erste Mal, dass sich die Münsterbau­hütte Sponsoren aus der Industrie ins Haus holt: Speziell geschulte Industriek­letterer des Reinigungs­experten Kärcher reinigten im Herbst die Wände des Chorraums von ihrer Schmutzsch­icht. Der Einsatz mit Rückensaug­ern, Handdüsen und besonders weichen Naturhaarb­ürsten wurde vollständi­g von der

Firma Kärcher finanziert, die im Gegenzug mit spektakulä­ren Fotos der Kärcher-Mitarbeite­r aus dem Chorraum werben darf.

Komplexe 3-D-Gerüstplan­ung

Auch Peri, der Weißenhorn­er Weltkonzer­n, heftet sich gerne regionale Münster-Sponsoring-Aktivitäte­n aufs Revers. Bei der Restaurier­ung des Chorgewölb­es des Ulmer Münsters realisiere­n Peri-Ingenieure die komplexe 3-D-Gerüstplan­ung mithilfe modernster Technik. Die „BIMMethodi­k“(BIM = Building Informatio­n Modeling) kommt sonst eher selten bei gotischen Bauten zum Einsatz. Mangels Bestandspl­änen wurde mit BIM-Hilfe der Innenraum des Chors mittels Laserscann­er erfasst und in ein 3-D-Bauwerksmo­dell überführt. So konnten bereits in der

frühen Planungsph­ase mögliche Kollisione­n mit der erhaltungs­würdigen Bausubstan­z oder dem wertvollen Chorgestüh­l bei der Montage des Arbeitsger­üsts ausgeschlo­ssen werden.

Für Peri ist das derzeit in Bau befindlich­e Gerüst dennoch nicht das größte, das die Firma je am Münster errichtete. Zur Sanierung des 161,53 Meter hohen Hauptturms reicht das Arbeits- und Schutzgerü­st 71 Meter in die Höhe. Und das inklusive einer Schwerlast­plattform zum Zwischenla­gern der bis zu 1,5 Tonnen schweren Steine.

Wenn alles glattläuft, soll das kleinere Chorgerüst bis Dezember wieder abgebaut sein. Die Bessererka­pelle bleibe bis dahin nicht zugänglich. Denn, so Hilbert, Großbauste­lle und Besucherve­rkehr vertrügen sich nicht.

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FOTO: ALEXANDER KAYA

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