Schwäbische Zeitung (Biberach)
Verkauf der Erwin-Hymer-Gruppe wackelt
Finanzskandal um US-Tochter des Waldseer Wohnmobilbauers – Unternehmen Thor zögert
RAVENSBURG - Nach einem Finanzskandal bei der Nordamerika-Tochter der Erwin-Hymer-Gruppe (EHG) könnte der Verkauf des größten europäischen Wohnmobilbauers an das US-Unternehmen Thor vor dem Aus stehen. Zurzeit laufen Gespräche, das Nordamerika-Geschäft des Unternehmens mit Sitz in Bad Waldsee (Kreis Ravensburg) aus der Übernahme auszuschließen, wie der USMarktführer am Montag mitteilte. In dem Zusammenhang kündigte Thor Änderungen am Kaufvertrag sowie Anpassungen des Kaufpreises und der zu übernehmenden Schulden an.
EHG-Chef Martin Brandt bestätigte der „Schwäbischen Zeitung“die Unregelmäßigkeiten. „Nachdem eine interne Prüfung ergeben hat, dass die Unregelmäßigkeiten einen größeren Umfang haben, haben wir externe Prüfer hinzugezogen“, erklärte Brandt. Die Untersuchung der Vorgänge, die alle aus den vergangenen Wochen stammten, übernehme die Prüfgesellschaft EY. Brandt geht davon aus, dass der Deal in jedem Fall zustande kommt. „Sollten wir die Prüfung im ersten Quartal nicht abschließen, bleibt die NordamerikaTochter erstmal außen vor.“
Hintergrund soll ein Finanzskandal sein, in den nach Angaben des US-Online-Magazins „RV Daily Report“die gesamte Führung der EHGTochter verwickelt ist. Das Unternehmen habe sowohl Vorstandschef Jim Hammill als auch Finanzchef Mark Weigel und Produktionsvorstand Howard Stratton beurlaubt. Die drei Manager sollen rund 1700 Rechnungen im Gesamtwert von mehr als 100 Millionen Dollar gefälscht, und so den Umsatz des Tochterunternehmens in die Höhe getrieben haben.
Im September hatten die Witwe und die Kinder von Unternehmensgründer Erwin Hymer bekannt gegeben, die EHG an Thor zu verkaufen. Der US-Konzern wollte 2,1 Milliarden Euro in bar und in eigenen Aktien zahlen. EHG-Chef Brandt ging damals davon aus, dass das Geschäft bis Ende 2018 vollzogen werde. Im Januar informierte Brandt aber über Verzögerungen. Die Eigentümer hatten seit Ende 2017 nach einem Investor gesucht und auch einen Börsengang ins Auge gefasst, um die Wachstumsambitionen des Konzerns finanzieren zu können.
RAVENSBURG - Gefälschte Rechnungen, manipulierte Fahrgestellnummern und ein Chef, den der Sicherheitsdienst vom Werksgelände leitet – so beschreiben Journalisten die Vorgänge bei der nordamerikanischen Tochter der Erwin-Hymer-Gruppe (EHG). Millionen von Dollar sollen auf private Konten umgeleitet worden sein, während Mitarbeiter noch in der Probezeit entlassen werden.
EHG-Chef Martin Brandt bestätigt die finanziellen Unstimmigkeiten. „Generell stellen wir fest, dass in unserer nordamerikanischen Organisation im Reporting Unregelmäßigkeiten aufgetaucht sind“, sagte der Manager der „Schwäbischen Zeitun“. Was genau die dramatischen Ereignisse im kanadischen Kitchener ausgelöst hat und wer die Verantwortung trägt, das untersucht der Wohnmobilbauer aus dem oberschwäbischen Bad Waldsee zurzeit. Klar ist eines: Das Problem ist so groß, dass die EHG externe Unterstützung angefordert hat. Die Ermittlung übernimmt die Wirtschaftsprüfungsgesellschaft EY.
Und noch eines ist klar: Für den Traditionskonzern, den der Oberschwabe Erwin Hymer vor mehr als 60 Jahren gegründet hat, kommt die Finanzaffäre zur absoluten Unzeit, denn eigentlich wollte das Traditionsunternehmen in diesen Tagen feiern: Vorstandschef Martin Brandt und seine Kollegen hatten geplant, auf den Abschluss des Übernahmevertrages der EHG durch Thor Industries anzustoßen.
Thor, der an der New York Stock Exchange gelistete US-Marktführer beim Bau von Reisemobilen, der auf einen Jahresumsatz von mehr als sieben Milliarden Euro kommt, findet die Entwicklung jedenfalls nicht lustig. In einer Ad-hoc-Mitteilung gab der Konzern am Montag bekannt, dass Thor und die EHG gerade „Gespräche finalisieren, um die Nordamerika-Tochter der EHG aus dem Verkauf der EHG an Thor herauszunehmen“. In dem Zusammenhang würden sowohl der Kaufpreis als auch die übernommenen Schulden nachverhandelt, heißt es weiter.
Größere Sorgen macht sich Martin Brandt über diesen Schritt nicht. Der EHG-Chef geht weiter fest davon aus, dass die Übernahme zustande kommt. „Beide Seiten wollen den Deal machen“, erläuterte Brandt. „Nach wie vor ist das Closing des Vertrags im ersten Quartal 2019 geplant – jetzt ist die Frage, ob wir die Untersuchungen bis dahin abgeschlossen bekommen.“Wenn das nicht der Fall wäre, „müssen wir das Geschäft ohne Nordamerika machen – und dann schauen, wie wir mit der Einheit Nordamerika umgehen und diese separat bewerten.“Wie viel Thor für die EHG ohne die Nordamerika-Tochter zahlen will, wollte Brandt nicht sagen. „Über diese Fragen laufen gerade Gespräche zwischen Thor und der Familie Hymer.“Thor selbst wollte sich auf Anfrage der „Schwäbischen Zeitung“nicht dazu äußern, um welchen Betrag der Konzern den Kaufpreis reduzieren will.
Hintergrund der Finanzaffäre sind nach Informationen des US-OnlineMagazins „RV Daily Report“mehr als 1700 gefälschte Rechnungen im Gesamtwert von mehr als 100 Millionen Dollar. Mit denen sollen Manager um den Vorstandschef Jim Hammill der Nordamerika-Tochter den Umsatz des Tochterunternehmens in die Höhe getrieben und zum Teil Gelder auf Privatkonten umgeleitet haben.
„RV Daily Report“berichtet, dass etliche Händler von EHG-Nordamerika (vormals Roadtrek Motorhomes) die offiziell kommunizierten Absatzzahlen infrage gestellt haben. Die Nordamerika-Tochter hätte deutlich mehr Wohnmobile der Marke Roadtrek verkauft als die Händler in den vergangenen Monaten beim Hersteller geordert hatten. EHG-Chef Brandt ging auf die Vorwürfe im Detail mit Verweis auf die laufenden Untersuchungen nicht ein, bestätigte aber Unregelmäßigkeiten bei der Tochter. Diese seien erst in den vergangenen Wochen herausgekommen. Bei der Prüfung im Zuge der Übernahme von Roadtrek im Februar 2016, so erläuterte Brandt weiter, hätten sich noch keine Verdachtsmomente ergeben.
EHG suspendiert Vorstände
Inzwischen hat die EHG durchgegriffen und sowohl Vorstandschef Hammill als auch Finanzchef Mark Weigel und Produktionsvorstand Howard Stratton suspendiert. „Die Mitarbeiter mussten mit ansehen, wie ihr Chef abgeführt wurde“, zitierte die lokale Nachrichtenseite „Kitchener Today“den Mitarbeiter William Singleton. „Unser Unternehmen wird durchleuchtet, die Konten sind eingefroren und Leute werden entlassen. Doch es gibt keine Antworten, keine Kommentare, kein Nichts.“
Über Entlassungen in der Belegschaft berichtete auch der kanadische Fernsehsender CTV Canada. Wenigstens 90 Mitarbeiter hätten in Kitchener und in Cambridge aufgrund eines „unvorhergesehenen Abschwungs und einbrechender Umsätze“gehen müssen, wie es in der Begründung seitens der EHGNordamerika-Tochter hieß.
EHG-Chef Brandt bestätigte die Entlassungen und verwies auf Überkapazitäten und das schwierige Marktumfeld für Reisemobile in Nordamerika. Mit den laufenden Untersuchungen habe die Entscheidung nichts zu tun. Tatsächlich sind die Auslieferungen von Reisemobilen der Branchenorganisation RV Industry Association zufolge in den Monaten seit August 2018 mit jeweils zweistelligen Prozentsätzen eingebrochen. Im Segment der Campervans, in dem Roadtrek tätig ist, haben die Auslieferungen im gleichen Zeitraum allerdings zweistellig zugelegt.
Die EHG hatte Roadtrek Anfang 2016 vom US-Finanzinvestor Industrial Opportunities Partners übernommen. Angaben zum Kaufpreis des 1974 gegründeten Unternehmens machte die EHG damals nicht; an Zahlen gemeldet wurden jährlich rund 1000 verkaufte Fahrzeuge, ein Umsatz von 86 Millionen Euro und 300 Mitarbeiter. Für das Jahr 2017 – aktuellere Zahlen liegen nicht vor – reklamierte die EHG-Tochter Platz 1 im Segment der Camper-Vans für sich, mit einem Marktanteil von 23,5 Prozent in Nordamerika und 56 Prozent in Kanada.
Thor Industries wurde 1980 von Wade Thompson und Peter Orthwein gegründet. Die beiden Unternehmer übernahmen damals Airstream, einen Hersteller, der auch in Deutschland für seine aus Alu gefertigten Wohnanhänger bekannt ist. In den folgenden Jahren wuchs das Unternehmen durch eine Reihe von Übernahmen zum größten Hersteller von Reisemobilen und Wohnanhängern in Nordamerika heran.
Thor wollte eigentlich 2,1 Milliarden Euro für die EHG zahlen. Den Großteil, knapp 1,9 Milliarden Euro, sollte die Familie Hymer in bar bekommen – neben 2,3 Millionen Aktien von Thor Industries. Die hätten, basierend auf dem Schlusskurs vom Freitag, einen Wert von rund 134 Millionen Euro gehabt.
Dieser Kaufpreis wird sich nun aber aller Voraussicht nach ändern.