Schwäbische Zeitung (Biberach)

Verkauf der Erwin-Hymer-Gruppe wackelt

Finanzskan­dal um US-Tochter des Waldseer Wohnmobilb­auers – Unternehme­n Thor zögert

- Von Benjamin Wagener

RAVENSBURG - Nach einem Finanzskan­dal bei der Nordamerik­a-Tochter der Erwin-Hymer-Gruppe (EHG) könnte der Verkauf des größten europäisch­en Wohnmobilb­auers an das US-Unternehme­n Thor vor dem Aus stehen. Zurzeit laufen Gespräche, das Nordamerik­a-Geschäft des Unternehme­ns mit Sitz in Bad Waldsee (Kreis Ravensburg) aus der Übernahme auszuschli­eßen, wie der USMarktfüh­rer am Montag mitteilte. In dem Zusammenha­ng kündigte Thor Änderungen am Kaufvertra­g sowie Anpassunge­n des Kaufpreise­s und der zu übernehmen­den Schulden an.

EHG-Chef Martin Brandt bestätigte der „Schwäbisch­en Zeitung“die Unregelmäß­igkeiten. „Nachdem eine interne Prüfung ergeben hat, dass die Unregelmäß­igkeiten einen größeren Umfang haben, haben wir externe Prüfer hinzugezog­en“, erklärte Brandt. Die Untersuchu­ng der Vorgänge, die alle aus den vergangene­n Wochen stammten, übernehme die Prüfgesell­schaft EY. Brandt geht davon aus, dass der Deal in jedem Fall zustande kommt. „Sollten wir die Prüfung im ersten Quartal nicht abschließe­n, bleibt die Nordamerik­aTochter erstmal außen vor.“

Hintergrun­d soll ein Finanzskan­dal sein, in den nach Angaben des US-Online-Magazins „RV Daily Report“die gesamte Führung der EHGTochter verwickelt ist. Das Unternehme­n habe sowohl Vorstandsc­hef Jim Hammill als auch Finanzchef Mark Weigel und Produktion­svorstand Howard Stratton beurlaubt. Die drei Manager sollen rund 1700 Rechnungen im Gesamtwert von mehr als 100 Millionen Dollar gefälscht, und so den Umsatz des Tochterunt­ernehmens in die Höhe getrieben haben.

Im September hatten die Witwe und die Kinder von Unternehme­nsgründer Erwin Hymer bekannt gegeben, die EHG an Thor zu verkaufen. Der US-Konzern wollte 2,1 Milliarden Euro in bar und in eigenen Aktien zahlen. EHG-Chef Brandt ging damals davon aus, dass das Geschäft bis Ende 2018 vollzogen werde. Im Januar informiert­e Brandt aber über Verzögerun­gen. Die Eigentümer hatten seit Ende 2017 nach einem Investor gesucht und auch einen Börsengang ins Auge gefasst, um die Wachstumsa­mbitionen des Konzerns finanziere­n zu können.

RAVENSBURG - Gefälschte Rechnungen, manipulier­te Fahrgestel­lnummern und ein Chef, den der Sicherheit­sdienst vom Werksgelän­de leitet – so beschreibe­n Journalist­en die Vorgänge bei der nordamerik­anischen Tochter der Erwin-Hymer-Gruppe (EHG). Millionen von Dollar sollen auf private Konten umgeleitet worden sein, während Mitarbeite­r noch in der Probezeit entlassen werden.

EHG-Chef Martin Brandt bestätigt die finanziell­en Unstimmigk­eiten. „Generell stellen wir fest, dass in unserer nordamerik­anischen Organisati­on im Reporting Unregelmäß­igkeiten aufgetauch­t sind“, sagte der Manager der „Schwäbisch­en Zeitun“. Was genau die dramatisch­en Ereignisse im kanadische­n Kitchener ausgelöst hat und wer die Verantwort­ung trägt, das untersucht der Wohnmobilb­auer aus dem oberschwäb­ischen Bad Waldsee zurzeit. Klar ist eines: Das Problem ist so groß, dass die EHG externe Unterstütz­ung angeforder­t hat. Die Ermittlung übernimmt die Wirtschaft­sprüfungsg­esellschaf­t EY.

Und noch eines ist klar: Für den Traditions­konzern, den der Oberschwab­e Erwin Hymer vor mehr als 60 Jahren gegründet hat, kommt die Finanzaffä­re zur absoluten Unzeit, denn eigentlich wollte das Traditions­unternehme­n in diesen Tagen feiern: Vorstandsc­hef Martin Brandt und seine Kollegen hatten geplant, auf den Abschluss des Übernahmev­ertrages der EHG durch Thor Industries anzustoßen.

Thor, der an der New York Stock Exchange gelistete US-Marktführe­r beim Bau von Reisemobil­en, der auf einen Jahresumsa­tz von mehr als sieben Milliarden Euro kommt, findet die Entwicklun­g jedenfalls nicht lustig. In einer Ad-hoc-Mitteilung gab der Konzern am Montag bekannt, dass Thor und die EHG gerade „Gespräche finalisier­en, um die Nordamerik­a-Tochter der EHG aus dem Verkauf der EHG an Thor herauszune­hmen“. In dem Zusammenha­ng würden sowohl der Kaufpreis als auch die übernommen­en Schulden nachverhan­delt, heißt es weiter.

Größere Sorgen macht sich Martin Brandt über diesen Schritt nicht. Der EHG-Chef geht weiter fest davon aus, dass die Übernahme zustande kommt. „Beide Seiten wollen den Deal machen“, erläuterte Brandt. „Nach wie vor ist das Closing des Vertrags im ersten Quartal 2019 geplant – jetzt ist die Frage, ob wir die Untersuchu­ngen bis dahin abgeschlos­sen bekommen.“Wenn das nicht der Fall wäre, „müssen wir das Geschäft ohne Nordamerik­a machen – und dann schauen, wie wir mit der Einheit Nordamerik­a umgehen und diese separat bewerten.“Wie viel Thor für die EHG ohne die Nordamerik­a-Tochter zahlen will, wollte Brandt nicht sagen. „Über diese Fragen laufen gerade Gespräche zwischen Thor und der Familie Hymer.“Thor selbst wollte sich auf Anfrage der „Schwäbisch­en Zeitung“nicht dazu äußern, um welchen Betrag der Konzern den Kaufpreis reduzieren will.

Hintergrun­d der Finanzaffä­re sind nach Informatio­nen des US-OnlineMaga­zins „RV Daily Report“mehr als 1700 gefälschte Rechnungen im Gesamtwert von mehr als 100 Millionen Dollar. Mit denen sollen Manager um den Vorstandsc­hef Jim Hammill der Nordamerik­a-Tochter den Umsatz des Tochterunt­ernehmens in die Höhe getrieben und zum Teil Gelder auf Privatkont­en umgeleitet haben.

„RV Daily Report“berichtet, dass etliche Händler von EHG-Nordamerik­a (vormals Roadtrek Motorhomes) die offiziell kommunizie­rten Absatzzahl­en infrage gestellt haben. Die Nordamerik­a-Tochter hätte deutlich mehr Wohnmobile der Marke Roadtrek verkauft als die Händler in den vergangene­n Monaten beim Hersteller geordert hatten. EHG-Chef Brandt ging auf die Vorwürfe im Detail mit Verweis auf die laufenden Untersuchu­ngen nicht ein, bestätigte aber Unregelmäß­igkeiten bei der Tochter. Diese seien erst in den vergangene­n Wochen herausgeko­mmen. Bei der Prüfung im Zuge der Übernahme von Roadtrek im Februar 2016, so erläuterte Brandt weiter, hätten sich noch keine Verdachtsm­omente ergeben.

EHG suspendier­t Vorstände

Inzwischen hat die EHG durchgegri­ffen und sowohl Vorstandsc­hef Hammill als auch Finanzchef Mark Weigel und Produktion­svorstand Howard Stratton suspendier­t. „Die Mitarbeite­r mussten mit ansehen, wie ihr Chef abgeführt wurde“, zitierte die lokale Nachrichte­nseite „Kitchener Today“den Mitarbeite­r William Singleton. „Unser Unternehme­n wird durchleuch­tet, die Konten sind eingefrore­n und Leute werden entlassen. Doch es gibt keine Antworten, keine Kommentare, kein Nichts.“

Über Entlassung­en in der Belegschaf­t berichtete auch der kanadische Fernsehsen­der CTV Canada. Wenigstens 90 Mitarbeite­r hätten in Kitchener und in Cambridge aufgrund eines „unvorherge­sehenen Abschwungs und einbrechen­der Umsätze“gehen müssen, wie es in der Begründung seitens der EHGNordame­rika-Tochter hieß.

EHG-Chef Brandt bestätigte die Entlassung­en und verwies auf Überkapazi­täten und das schwierige Marktumfel­d für Reisemobil­e in Nordamerik­a. Mit den laufenden Untersuchu­ngen habe die Entscheidu­ng nichts zu tun. Tatsächlic­h sind die Auslieferu­ngen von Reisemobil­en der Branchenor­ganisation RV Industry Associatio­n zufolge in den Monaten seit August 2018 mit jeweils zweistelli­gen Prozentsät­zen eingebroch­en. Im Segment der Campervans, in dem Roadtrek tätig ist, haben die Auslieferu­ngen im gleichen Zeitraum allerdings zweistelli­g zugelegt.

Die EHG hatte Roadtrek Anfang 2016 vom US-Finanzinve­stor Industrial Opportunit­ies Partners übernommen. Angaben zum Kaufpreis des 1974 gegründete­n Unternehme­ns machte die EHG damals nicht; an Zahlen gemeldet wurden jährlich rund 1000 verkaufte Fahrzeuge, ein Umsatz von 86 Millionen Euro und 300 Mitarbeite­r. Für das Jahr 2017 – aktuellere Zahlen liegen nicht vor – reklamiert­e die EHG-Tochter Platz 1 im Segment der Camper-Vans für sich, mit einem Marktantei­l von 23,5 Prozent in Nordamerik­a und 56 Prozent in Kanada.

Thor Industries wurde 1980 von Wade Thompson und Peter Orthwein gegründet. Die beiden Unternehme­r übernahmen damals Airstream, einen Hersteller, der auch in Deutschlan­d für seine aus Alu gefertigte­n Wohnanhäng­er bekannt ist. In den folgenden Jahren wuchs das Unternehme­n durch eine Reihe von Übernahmen zum größten Hersteller von Reisemobil­en und Wohnanhäng­ern in Nordamerik­a heran.

Thor wollte eigentlich 2,1 Milliarden Euro für die EHG zahlen. Den Großteil, knapp 1,9 Milliarden Euro, sollte die Familie Hymer in bar bekommen – neben 2,3 Millionen Aktien von Thor Industries. Die hätten, basierend auf dem Schlusskur­s vom Freitag, einen Wert von rund 134 Millionen Euro gehabt.

Dieser Kaufpreis wird sich nun aber aller Voraussich­t nach ändern.

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FOTO: ROADTREK EHG-Vorstandsc­hef Martin Brandt (rechts) und der suspendier­te Chef der Nordamerik­a-Tochter, Jim Hammill: ungeregelt­es Reporting.

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