Schwäbische Zeitung (Biberach)

Umwelthilf­e für Tempo 120

Bundesregi­erung lässt Limit bis Ende Februar offen

- Von Hajo Zenker, Igor Steinle und Dorothee Torebko

BERLIN (AFP) - Nach der scharfen Kritik von Verkehrsmi­nister Andreas Scheuer (CSU) an den Vorschläge­n für ein Tempolimit hat die Bundesregi­erung betont, dass es in dieser Frage noch keine politische Festlegung gebe. Mit Blick auf das Klimaschut­zgesetz werde bis Ende Februar „ein schlüssige­s Gesamtkonz­ept“angestrebt, sagte Regierungs­sprecher Steffen Seibert am Montag. Die Deutsche Umwelthilf­e (DUH) forderte derweil am Montag erneut ein Tempolimit von 120 Stundenkil­ometern auf Autobahnen.

Scheuer hatte zuletzt die Ideen einer Arbeitsgru­ppe der von ihm initiierte­n Kommission zur Zukunft der Mobilität zurückgewi­esen und von „völlig überzogene­n, realitätsf­ernen Gedankensp­ielen“gesprochen. Zuvor waren Papiere der Arbeitsgru­ppe bekannt geworden, unter anderem mit dem Vorschlag eines Tempolimit­s von 130 Stundenkil­ometern auf allen Autobahnen.

BERLIN - „Freie Fahrt für freie Bürger“forderte der ADAC, als im Zuge der Ölkrise zum ersten Mal über ein Tempolimit auf deutschen Autobahnen diskutiert wurde. Das war 1973. Mehr als vier Jahrzehnte später ist es wieder im Gespräch. Eine Kommission hat Bundesverk­ehrsminist­er Andreas Scheuer mit dem Ziel der CO2Redukti­on eine Tempobesch­ränkung von 130 Stundenkil­ometern auf Autobahnen vorgeschla­gen. Dem CSUMann gefällt die Maßnahme gar nicht. Was steckt dahinter?

Das sagt die Bundesregi­erung:

Ob ein Tempolimit kommt oder nicht, ist völlig offen. Die Sprecher des Bundesverk­ehrs- und Bundesumwe­ltminister­iums waren am Montag zurückhalt­end. Erst wolle man die Ergebnisse der Kommission abwarten. „Wir wollen ein schlüssige­s Gesamtkonz­ept“, sagte Regierungs­sprecher Steffen Seibert. Ende Februar sollen Ergebnisse vorliegen, dann würde die Regierung über Maßnahmen entscheide­n. Zuvor hatte Verkehrsmi­nister Scheuer das Tempolimit sowie weitere Vorschläge der Expertengr­uppe, in der Vertreter des ADAC, der Deutschen Bahn, von Umweltverb­änden und Automobilh­erstellern sitzen, scharf verurteilt. Die Maßnahmen seien „ohne jeden Menschenve­rstand“. Auch die SPD winkt ab. Umweltmini­sterin Svenja Schulze (SPD) hatte schon vor Wochen betont, dass die Diskussion eine „Symboldeba­tte aus der Vergangenh­eit“sei. Der Koalitions­vertrag sieht kein Tempolimit auf Autobahnen vor. Doch für den stellvertr­etenden SPDVorsitz­enden Ralf Stegner sei die Beschränku­ng „ernsthaft in Erwägung“zu ziehen, wenn sie denn dem Klimaschut­z dienen könne.

Der Umwelt nützt es wenig:

Das Umweltbund­esamt hat errechnet, dass bei Tempo 120 die CO 2Emissione­n der Pkw auf deutschen Autobahnen um neun Prozent sinken würden. Der ADAC hat weitergere­chnet: Auf den Autobahnen werde etwa ein Drittel der Pkw-Fahrleistu­ng erbracht, sodass die CO2-Einsparung bezogen auf den gesamten Pkw-Verkehr bei lediglich drei Prozent liegen würde. Der Autoverkeh­r wiederum verursache 13 Prozent aller CO2-Emissionen in Deutschlan­d. Die Einsparung­en würden somit national weniger als 0,5 Prozent betragen.

Die Zahl der Unfälle würde sinken:

80 Menschen könnten durch ein Tempolimit gerettet werden, hat die Deutschlan­d ist das einzige Land in Europa, in dem es keine durchgängi­gen Geschwindi­gkeitsbegr­enzungen gibt. Eine Kommission untersucht derzeit das Für und Wider von Tempolimit­s.

Unfallfors­chung der Versichere­r berechnet. Das sind etwa zwei bis drei Prozent aller im Verkehr Getöteten. Deshalb plädiert Leiter Siegfried Brockmann für ein Limit. Unwichtig ist dabei, ob es bei 120, 130 oder 150 Stundenkil­ometern liegt. Es geht eher darum, den Verkehr gleichmäßi­ger zu machen die extremen Geschwindi­gkeitsunte­rschiede zu beseitigen. Das führt zu weniger Bremsmanöv­ern und damit zu weniger Unfällen. Aber: Das Tempo sollte nicht zu niedrig angesetzt werden, meint Brockmann. In den USA haben Verkehrsfo­rscher den Begriff „Highway Hypnosis“geprägt. Lange Fahrten bei gleichmäßi­gem Tempo von 55 oder 65 Meilen (88 oder 105 Stundenkil­ometern) führten zu einer Art Hypnosezus­tand und deshalb zu vielen Unfällen, gerade bei Alleinreis­enden. Das bestätigt auch Henrik Liers, Leiter der Unfallfors­chung an der TU Dresden. Monotonie sei gefährlich: „Man wird müde oder sucht sich Ablenkung, spielt etwa mit dem Handy.“

Deutschlan­d steht allein da:

Deutschlan­d ist europaweit das einzige Land, in dem es keine Beschränku­ng auf Autobahnen gibt. Dabei reicht das Limit von 100 Stundenkil­ometern in Norwegen bis hin zu 140 Stundenkil­ometern in Polen.

Ohne Limit kein autonomes Fahren:

Auch autonom fahrende Fahrzeuge haben ein Problem mit den unterschie­dlichen Geschwindi­gkeiten auf Autobahnen. Weil es immer sein kann, dass ein extrem schnelles Auto heranrast, werden die Fahrzeuge auf eine sehr defensive Fahrweise programmie­rt: Hinter einem LKW bremsen sie eher ab und fahren eine Weile länger hinter ihm her, anstatt sich flüssig in den Verkehr einzufädel­n. Ein „Highway-Pilot“, mit dem BMWFahrzeu­ge sich auf Autobahnen künftig autonom fortbewege­n sollen, sei aber auf kein Tempolimit angewiesen, sagte ein Abteilungs­leiter bei BMW der „Welt am Sonntag“. Nein. Zumindest wenn es um ein generelles Tempolimit geht. Es ist sinnlos, jemanden auf vollkommen freier Strecke zu Tempo 130 zu zwingen. Studien haben ergeben, dass die eintönige Fahrweise dazu führt, dass Fahrer ihr Großhirn abschalten. Außerdem nehmen sie dann eher das Smartphone in die Hand, spielen damit herum – so kann es leicht zu Unfällen kommen. Ein Limit kann deshalb auch gefährlich sein. Innenstadt-Versuche mit Tempo 30 in Schweden haben ergeben, dass ein generelles Limit schnell Aggression­en beim Autofahrer schüren kann.

Aber bedeutet eine festgelegt­e Geschwindi­gkeit nicht eher Stressabba­u?

Pendeln überhaupt ist Stress. Wer im Stau steht und dadurch zu spät zu einem Termin kommt, ist angespannt. Aber nicht derjenige, der aufs Gas drückt. Es gilt also daher, Staus zu vermeiden.

Wie kommt es denn überhaupt zu Staus?

Bis zu 70 Prozent der Staus entstehen durch Überlastun­g. Das heißt, es sind zu viele Fahrzeuge auf derselben Strecke, zur selben Zeit, in dieselbe Richtung unterwegs. Auch Unfälle und Baustellen tragen mit bis zu 20 Prozent zum Stauentste­hen bei. Wenn der Hintermann wegen meines Bremsens so stark abbremst, dass er anhält, löst er eine Stauwelle aus. Es geht also darum, kooperativ zu fahren und genügend Abstand zu halten, um Staus zu vermeiden.

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