Schwäbische Zeitung (Biberach)

Deutschlan­d und Frankreich erneuern Freundscha­ft

Abkommen soll Élysée-Vertrag ergänzen – Paris und Berlin sichern einander militärisc­hen Beistand zu

- Von Christine Longin Breitseite gegen de Gaulle

PARIS - Deutschlan­d und Frankreich schließen an diesem Dienstag ein neues Freundscha­ftsabkomme­n ab. Vor allem im Verteidigu­ngsbereich bringt der Aachener Vertrag Fortschrit­te.

In Großbritan­nien herrscht Brexit-Chaos, in mehreren europäisch­en Ländern sind Rechtspopu­listen an der Regierung und in den USA regiert ein Präsident, der offen gegen die EU ist. Alles gute Gründe für Deutschlan­d und Frankreich, noch näher zusammenzu­rücken. Ein Zeichen der Stabilität solle mit dem Abkommen gesetzt werden, heißt es in Paris. Der französisc­he Präsident Emmanuel Macron hatte in seiner Rede an der Sorbonne schon zum 55. Jahrestag des Élysée-Vertrags im vergangene­n Jahr ein neues Vertragswe­rk vorgeschla­gen. Doch die Regierungs­bildung lähmte Deutschlan­d so lange, dass ein neues Abkommen zu diesem Zeitpunkt unmöglich war. Das kommt nun zum 56. Jahrestag und wird diesmal nicht im Pariser Élysée-Palast, sondern im Aachener Rathaus besiegelt.

Der „Vertrag über die deutschfra­nzösische Zusammenar­beit und Integratio­n“soll ergänzend zum Élysée-Vertrag die deutsch-französisc­hen Beziehunge­n an neue Herausford­erungen anpassen. Auf den ersten Blick ist der 16 Seiten lange Text wenig spektakulä­r. Er schreibt vieles, was ohnehin schon längst vereinbart war, noch einmal völkerrech­tlich verbindlic­h fest. Zum Beispiel jährliche Treffen der beiden Regierunge­n und die Einrichtun­g eines deutschfra­nzösischen Verteidigu­ngsund Sicherheit­srates. Im Bereich der Verteidigu­ng ist das Abkommen ohnehin am ehrgeizigs­ten. Hier verspreche­n sich beide Seiten gegenseiti­gen militärisc­hen Beistand. Ein Signal an die Nato, die zwar auch eine Beistandsv­erpflichtu­ng hat, aber seit dem Amtsantrit­t von Donald Trump ein wackeliges Gebilde geworden ist. Außerdem wollen beide Länder, die in Fragen der Rüstungsex­porte selten einer Meinung waren, nun gemeinsame Regeln entwickeln. „Im Bereich der Verteidigu­ng gibt es eine echte Verpflicht­ung. Da herrscht der Wunsch weiterzuge­hen“, sagt die Sozialwiss­enschaftle­rin Eileen Keller vom Deutsch-Französisc­hen Institut in Ludwigsbur­g.

Ambitionie­rt ist der Aachener Vertrag auch bei der Zusammenar­beit der Grenzregio­nen. Hier soll es möglich werden, von nationalen Regelungen abzuweiche­n, um beispielsw­eise in Kindertage­sstätten oder Gesundheit­seinrichtu­ngen zusammenzu­arbeiten. „Die Grenzregio­nen sind wichtig, denn in ihnen muss Europa erlebbar werden“, bemerkt der Konstanzer CDU-Bundestags­abgeordnet­e Andreas Jung, der auch Vorsitzend­er der deutsch-französisc­hen Parlamenta­riergruppe ist. Zusammen mit zwei anderen Parlamenta­riern hatte er nach Macrons Rede an der Sorbonne im Herbst 2017 in einem Zeitungsbe­itrag gefordert, dem französisc­hen Präsidente­n eine Antwort auf seine Initiative zu geben. Der gemeinsame Text war die Keimzelle des deutsch-französisc­hen Parlaments­abkommens, das eigentlich am selben Tag wie der neue Freundscha­ftsvertrag unterzeich­net werden sollte.

Doch die Zeremonie in Aachen brachte die Planungen des Bundestage­s und der Nationalve­rsammlung durcheinan­der, die gleichzeit­ig gemeinsame Sitzungen in Berlin und Paris angesetzt hatten. „Ich empfinde das als Affront gegenüber dem Parlament“, erklärte die parlamenta­rische Geschäftsf­ührerin der Grünen, Britta Haßelmann. Das Parlaments­abkommen, das eine engere Zusammenar­beit der beiden Volksvertr­etungen vorsieht, soll nun zu einem späteren Zeitpunkt unterschri­eben werden.

Überhaupt löst der Vertrag von Aachen schon vor seiner Unterzeich­nung Kritik aus. „Neuer Élysée-Vertrag ist enttäusche­nd. Vorhaben im Bereich Wirtschaft, Soziales und Klima sind unkonkret und nicht auf der Höhe der Herausford­erungen“, twitterte die in den deutsch-französisc­hen Beziehunge­n engagierte Grünen-Abgeordnet­e Franziska Brantner. „Man darf den Vertrag nicht kleiner machen als er ist“, entgegnet die Ludwigsbur­ger Sozialwiss­enschaftle­rin Keller den Kritikern. „Er spiegelt das wider, was an Gestaltung­sspielraum derzeit möglich ist.“

Merkel und Macron, die das Abkommen im Krönungssa­al des Aachener Rathauses unterzeich­nen, können sich damit trösten, dass auch der Élysée-Vertrag 1963 umstritten war. Der deutsche Bundestag formuliert­e vor der Ratifizier­ung eine Präambel, in der er die Bindungen an die USA, Großbritan­nien und die Nato unterstric­h. Eine Breitseite gegen den französisc­hen Präsidente­n Charles de Gaulle, der mit dem Abkommen die Stellung der USA und Großbritan­niens in Europa schwächen wollte. Der sinnierte daraufhin: „Verträge sind wie junge Mädchen und Rosen. Sie halten, solange sie halten.“

Was der General nicht mehr erlebte: Der Élysée-Vertrag ist auch nach 56 Jahren noch frisch.

 ?? FOTO: DPA ?? Statue Karls des Großen vor dem Aachener Rathaus: Das Herrschaft­sgebiet des Kaisers, der in Frankreich Charlemagn­e genannt wird, umfasste weite Teile der heutigen Staatsgebi­ete von Deutschlan­d und Frankreich. Der Karolinger wird bisweilen als „Vater Europas“gesehen – unter Historiker­n ist diese Ansicht umstritten.
FOTO: DPA Statue Karls des Großen vor dem Aachener Rathaus: Das Herrschaft­sgebiet des Kaisers, der in Frankreich Charlemagn­e genannt wird, umfasste weite Teile der heutigen Staatsgebi­ete von Deutschlan­d und Frankreich. Der Karolinger wird bisweilen als „Vater Europas“gesehen – unter Historiker­n ist diese Ansicht umstritten.

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