Schwäbische Zeitung (Biberach)
May setzt weiter auf den ausgehandelten Deal
Parlamentarier wollen bei der Suche nach Lösung stärker mitreden, um Chaos-Brexit zu vermeiden
LONDON - Der Ton war konzilianter als zuletzt, in der Sache aber blieb Theresa May hart: Die britische Premierministerin setzt weiterhin auf das Brexit-Verhandlungspaket. Sie wolle wie schon in den vergangenen Tagen mit anderen Parteien, Sozialpartnern und Regionalregierungen sprechen und dann in Brüssel Zugeständnisse erreichen, sagte die konservative Regierungschefin am Montag im Unterhaus. Der Chaos-Brexit („No Deal“) lasse sich nur auf zweierlei Weise vermeiden: „Entweder das Hohe Haus stimmt einem Deal zu oder wir bleiben in der EU.“Letztere Möglichkeit komme nicht infrage, schließlich habe das Volk den Brexit beschlossen.
Die Opposition zeigte sich wenig beeindruckt. Die Premierministerin verweigere sich der Realität, sagte Labour-Oppositionsführer Jeremy Corbyn, der Gespräche in der Downing Street abgelehnt hatte. Die vermeintlichen Konsultationen, bei denen May dem Vernehmen nach ein vorbereitetes Statement vom Blatt ablas, hätten sich als Augenwischerei entpuppt. Das Urteil bestätigte Labour-Veteran Hilary Benn nach persönlichem Eindruck: „Mag die Tür der Premierministerin auch offen sein, ihre Ansichten sind unveränderlich.“
Benn gehört zu einer Gruppe führender Parlamentarier, die über Parteigrenzen hinweg eine begrenzte Machtübernahme durch das Unterhaus planen. Der Koalition aus früheren Ministern und Staatssekretären, angeführt von Yvette Cooper (Labour) sowie Nick Boles und Oliver Letwin (Torys) geht es um die Vermeidung des Chaos-Brexit. Ein neues Gesetz könnte jene Regelung zeitweilig außer Kraft setzen, die besagt, dass die Finanzhoheit bei der Regierung liegt. Solange dies so ist, sind der Initiative der Abgeordneten enge Grenzen gesetzt.
Allerdings bleibt unklar, wie nach der Niederlage der Regierung in der vergangenen Woche eine Vereinbarung mit der EU zustandekommen soll. Deutlich wird aber: Das Parlament will zu einer Lösung mindestens beitragen, sie notfalls selbst erarbeiten.
Verbleib in Zollunion gefordert
Immer wieder wurde May mit der Forderung nach dem Verbleib in einer Zollunion mit der EU konfrontiert. Dies würde die Regierung an ihrem Ziel hindern, eigene Freihandelsverträge abzuschließen; bisher ist von 36 geplanten Vereinbarungen erst eine (mit Australien) unterschrieben, eine zweite (mit der Schweiz) ausgehandelt.
Eine Reihe von Abgeordneten beschuldigten die Regierungschefin, es gehe ihr lediglich um Zeitverschwendung; am Ende werde es, gewollt oder ungewollt, zum ChaosBrexit kommen. Tatsächlich ist angesichts der knappen Mehrheitsverhältnisse im Unterhaus schwer vorstellbar, dass May die Verabschiedung des Vertrags lediglich mit Stimmen loyaler Torys, einiger Unabhängiger sowie der nordirischen Unionisten-Partei DUP gelingt.
Die konservativen Brexiteers geraten ihrerseits durch eine neugegründete Brexit-Partei unter Druck, für die unter anderem der EuropaAbgeordnete Nigel Farage kandidieren will. Der Austrittsvorkämpfer hatte im Dezember die nach Rechtsaußen gerutschte Ukip-Partei verlassen.
Um die Brexit-Hardliner in der Tory-Fraktion unter ihrem Anführer Jacob Rees-Mogg zu befriedigen, brachten Regierungsmitglieder am Wochenende eine zeitliche Begrenzung der sogenannten Auffanglösung für Nordirland ins Spiel. Dazu könne es einen bilateralen Vertrag mit Irland geben, notfalls auch Korrekturen am Karfreitagsabkommen, mit dem 1998 der Bürgerkrieg im britischen Teil der grünen Insel endete. Beide Ideen wurden umgehend in Brüssel und Dublin abgelehnt.