Schwäbische Zeitung (Biberach)
Alternativlose Abhängigkeit
Chinas Wachstumsschwäche und aggressive Industriepolitik schadet auch Deutschland
BERLIN - Die chinesische Wirtschaft wächst merklich langsamer – eine Entwicklung, die in der deutschen Wirtschaft auf breiter Front Sorge auslöst. Die Wirtschaft des Landes hat sich im vergangenen Jahr nur noch um 6,6 Prozent ausgedehnt, teilte das Statistikamt in Peking am Montag mit. Das ist der schwächste Wert seit 1990.
Auch andere Indikatoren zeigen derzeit deutlich nach unten. „Neben der Autobranche, die schon länger schwächelt, bremsen nun auch andere Zugpferde wie IT ab“, schreibt Analystin Julia Wang von dem Bankhaus HSBC. Das Wachstum sei zwar absolut gesehen immer noch hoch, werde sich jedoch voraussichtlich weiter verlangsamen.
China war im vergangenen Jahr (bis November) das drittgrößte Exportziel für deutsche Waren hinter USA und Frankreich. Doch die Statistik erzählt nur einen Teil der Wahrheit. Denn deutsche Firmen stellen die Mehrheit von Markenartikeln für den dortigen Markt vor Ort her. Paradebeispiel ist Volkswagen. Der Konzern hat dort im vergangenen Jahr 4,2 Millionen Autos verkauft, die fast alle in chinesischen Fabriken zusammengeschraubt wurden. Das sind 38 Prozent des weltweiten VW-Absatzes. Solche Auslieferungen tauchen nicht in der Handelsstatistik auf, tragen aber enorm zu Wachstum und Gewinn deutscher Unternehmen bei. Im vergangenen Jahr ist der Autoabsatz jedoch erstmals seit zwei Jahrzehnten gefallen.
Derzeit mehren sich daher die Zweifel, ob Deutschland sich nicht zu abhängig gemacht hat von dem großen Markt am anderen Ende der eurasischen Landmasse. Es ist nicht allein die nachlassende Konjunktur, sondern auch das Gebaren Chinas, das Ängste weckt. Während das Land auch in Zeiten eines Handelskriegs mit den USA viel exportiert, riegelt es viele Sektoren der eigenen Wirtschaft gegen internationale Konkurrenz ab. Mit Subventionen sichert die Regierung in Peking zudem die eigene Wettbewerbsfähigkeit. Ziel ist eine technische Führungsrolle in Branchen wie Maschinen oder Robotern, die der deutschen Industrie einmal übel zu schaffen machen wird.
Vordenker der deutschen Wirtschaft sorgen sich also nicht nur um die reinen Zahlen, sondern auch um einen heraufziehenden Konflikt der Systeme. „Die deutsche Wirtschaft hat sich in China sehr stark engagiert in der Annahme, das Land sei auf dem Weg zu mehr Offenheit, Marktwirtschaft und Rechtsstaatlichkeit“, sagt Bernhard Bartsch, Regionalexperte bei der Bertelsmannstiftung. „Heute müssen wir feststellen: China ist nicht mehr auf diesem Weg.“Mit dem Wissen von heute hätten viele Unternehmen in den vergangenen Jahrzehnten sicherlich vorsichtiger investiert.
Das Export-Dilemma
Das spiegelt sich auch in einer plötzlichen Kehrtwende des Industrieverbands BDI, der Mitte Januar gleich mit „54 Forderungen zum Wettbewerb mit China“an die Öffentlichkeit getreten ist. Nachdem der Verband
das Engagement in Fernost in den Jahren des Turbo-Wachstums gegen Kritik durch Medien und Menschenrechtsgruppen verteidigt hatte, beklagen die Wirtschaftsvertreter plötzlich das egoistische Vorgehen einer „staatlich geprägten Volkswirtschaft“, die drohe, Deutschland mit Mitteln der Industriepolitik den Rang abzulaufen. Doch auch der BDI sieht hier ein Dilemma: Ein Exportland wie Deutschland muss auf dem größten Markt der Welt dabei sein. „Natürlich verkaufen wir da Autos, wo und wann sie nachgefragt werden“, sagt ein VW-Manager in China.
Die Denkfabriken, Verbände und Unternehmen wissen eben keine klare Antwort auf die Frage nach den Alternativen außerhalb der EU. Die USA mögen weiterhin auf grundsätzlicher Ebene die passenderen Werte haben – in der täglichen Politik zeigen sie sich eher unzuverlässiger als die auf Beständigkeit erpichten
Chinesen. Auch in Zeiten schwächeren Wachstums wird China zudem wichtig bleiben.
Chinesischer Stolz
Die Unternehmen im Chinageschäft setzen daher trotz aller Zweifel eher auf eine Vorwärtsstrategie: statt weniger China eine stärkere Integration. Anfang Januar stellte VW-Chef Herbert Diess in Peking eine entsprechende Strategie vor. Das Unternehmen soll vor Ort noch einmal deutlich „chinesischer werden“: Eigene Produkte für den dortigen Markt entstehen künftig in engerer Zusammenarbeit mit lokalen Partnern. VW reagiert damit auch auf einen Trend: Die chinesischen Konsumenten besinnen sich mehr und mehr auf eigene Marken, zumal diese in den vergangenen Jahren deutlich besser geworden sind. Statt nur ausländische Marken gut zu finden, greifen sie stolz zu „made in China“.