Schwäbische Zeitung (Biberach)
Angst vor der Abwärtsspirale
Internationaler Währungsfonds reduziert globale Wachstumsprognose – Risiken können sich gegenseitig verstärken
DAVOS - Neues Gesicht beim Internationalen Währungsfonds (IWF) und auch in Davos: Am Montag präsentierte erstmals Gita Gopinath den Weltwirtschaftsbericht des IWF. Die 47-jährige Ökonomin mit indischem und US-Pass arbeitet nun als Chefvolkswirtin der Weltorganisation – ihr Vorgänger Maurice Obstfeld ging in Pension.
Für Deutschland hatte Gopinath zunächst wenig erfreuliche Nachrichten. Um 0,6 Prozentpunkte nahm der IWF seine Wachstumsprognose für die Bundesrepublik für dieses Jahr zurück. Auch das globale Wachstum lasse 2019 nach, so Gopinath.
Die Umfrage der Unternehmensberatung PwC deutet in dieselbe Richtung: Knapp ein Drittel der Topmanager rechnet mit nachlassender Expansion. Der IWF und PwC veröffentlichten ihre Zahlen in Davos, weil dort das Weltwirtschaftsforum (WEF) am Abend eröffnet wurde.
Das Minus für Deutschland sticht heraus in der Übersicht des IWF. Nur für ein anderes Land hat er die Wachstumsprognose ebenso stark reduziert: Auch Saudi-Arabien büßte 0,6 Prozentpunkte ein. Trotzdem wachse die bundesdeutsche Wirtschaft aber auch 2019 weiter, prognostizierte der Währungsfonds. Das Wachstum der Wirtschaftsleistung werde bei 1,3 Prozent liegen. Diese Annahme bewegt sich im Rahmen anderer Wirtschaftsforscher, die zwischen 1,2 und 1,8 Prozent rangieren.
Als wichtigsten Einzelgrund für das Nachlassen des Expansionstempos in Deutschland nannte der IWF, dass die hiesige Autoindustrie Schwierigkeiten mit den Abgasstandards habe. Viele Fahrzeuge beispielsweise von VW stehen auf Halde, weil sie die Überprüfung nach dem neuen europäischen Testverfahren nicht schnell genug durchlaufen.
Das globale Wachstumstempo lasse insgesamt nach, heißt es im aktualisierten World Economic Outlook. Für 2019 wurde die Prognose um 0,2 Prozentpunkte zurückgenommen, für 2020 um 0,1. Es bleiben aber 3,5 und 3,6 Prozent, um die die Wirtschaftsleistung 2019 und 2020 zulegen sollen. Das Bruttoinlandsprodukt von Euroland werde in diesem Jahr um 1,6 Prozent steigen – 0,3 Prozentpunkte weniger als bei der vergangenen Projektion angenommen. Dramatisieren wollte IWF-Chefin Christine Lagarde die Lage in Davos aber nicht: „Müssen wir bald mit einer globalen Rezession rechnen? Nein.“
Als wichtige Ursache der Abschwächung betrachtet der IWF den Handelsstreit zwischen den USA und China. Beide Länder haben Zölle für Importe der anderen Seite erhöht. Die mögliche Verschärfung des Konflikts stelle eine große Gefahr dar. Als weitere Risiken nennt der Währungsfonds einen Ausstieg Großbritanniens aus der Europäischen Union ohne Abkommen und ein deutlich nachlassendes Wachstum in China.
Wenn solche Entwicklungen sich gegenseitig verstärkten, könne das zu einer Abwärtsspirale führen, die die weltweiten Aktien- und Kapitalmärkte in Mitleidenschaft ziehe. „Die Risiken hängen zunehmend zusammen“, so Lagarde. Außerdem hätten viele Staaten wegen zu hoher Verschuldung in der Folge der Finanzkrise keine finanzielle Kraft zum Gegensteuern, heißt es. „Deutschland und Norwegen könnten sich vielleicht noch höhere Staatsausgaben leisten, aber fast alle anderen Länder sind überschuldet“, sagte Borge Brende, Direktor des Weltwirtschaftsforums.
Der IWF befürchtet zudem, dass die Abschwächung auf die engere Geldpolitik der Zentralbanken in den USA und Europa trifft. Die weniger großzügige Versorgung mit Zentralbankgeld und steigende Zinsen lassen die Kosten der Kreditaufnahme steigen, was auch die Handlungsfähigkeit von Regierungen zusätzlich einschränkt.
In der Konsequenz rief IWF-Chefin Lagarde die Regierungen dazu auf, den grenzüberschreitenden Handel zu erleichtern, anstatt neue Zollbarrieren zu errichten. Es sei mehr multilaterale Zusammenarbeit nötig, nicht weniger. Außerdem müssten das Wachstum und die Digitalisierung der Wirtschaft „inklusiv“erfolgen – alle Menschen sollten daran teilhaben können.
Eine ähnliche Gemütslage zeigt sich in der aktuellen Umfrage, die das Beratungsunternehmen PwC traditionell zum Start des WEF veröffentlicht. Diesmal wurden 1378 Topmanager, meist Vorstandsvorsitzende, aus 91 Staaten befragt. Im Vergleich zum vergangenen Jahr lässt der Optimismus der Chefs demnach deutlich nach. Während aktuell knapp ein Drittel mit einem geringeren globalen Wachstumstempo rechnet, waren es 2018 nur fünf Prozent. Allerdings meinen immer noch 42 Prozent der Topmanager, dass die globale Ökonomie dieses Jahr stärker zulegt als 2018. Auch im Vergleich zu den Umfragen der Vorjahre bewegt sich der Optimismus auf ganz gutem Niveau.
In Deutschland sind die Vorstandsvorsitzenden laut PwC etwas zuversichtlicher als ihre Kollegen und Kolleginnen weltweit. 29 Prozent rechnen mit weniger Wachstum als 2018, 38 Prozent jedoch mit mehr.