Schwäbische Zeitung (Biberach)
Mächtige Gewerkschaft mit großen Sorgen
IG Metall erwartet schwierige Zeiten wegen Digitalisierung und Elektromobilität – Problem Arbeitszeitverkürzung
FRANKFURT (dpa) - Die IG Metall rüstet sich für komplizierte Zeiten. Dass der längste wirtschaftliche Aufschwung seit der Wiedervereinigung langsam an Fahrt verliert, gehört zu den kleinen Problemen der Führungsmannschaft um den Ersten Vorsitzenden Jörg Hofmann. Sorgen bereiten vielmehr die langfristigen Trends einer zunehmend digitalisierten Arbeitswelt und die von politischen Klimavorgaben erzwungene Antriebswende in der Automobilindustrie.
Noch steht die größte und mächtigste Gewerkschaft Deutschlands stark da. Mitglieder, Einnahmen, Organisation: Auf allen Gebieten konnte die IG Metall am Montag in Frankfurt Rekorde vorweisen. Nach einer Delle im Vorjahr hat das von einer kontroversen Tarifrunde geprägte Jahr 2018 gegen den demografischen Trend wieder ein kleines Mitgliederplus von 8000 Menschen gebracht. 2,27 Millionen Mitglieder zahlten den Rekordbeitrag von 585 Millionen Euro (+4,3 Prozent), wovon nur rund 40 Millionen Euro an streikende Mitglieder zurückgingen. Der Rest floss in die Geschäftsstellen, ins Personal und die Rücklagen ebenso wie in Immobilien.
Und die Mitglieder der Gewerkschaft können es sich zunehmend leisten, statt mehr Gehalt freie Tage zu wählen. Rund 260 000 Schichtarbeiter, Eltern kleiner Kinder oder pflegende Familienangehörige haben die entsprechenden Möglichkeiten zur Arbeitszeitverkürzung genutzt. Sie erhalten nach dem jüngsten Tarifvertrag auf Antrag acht zusätzliche freie Tage, statt eines in diesem Jahr erstmals fälligen tariflichen Zusatzgeldes. Laut IG Metall waren 93 Prozent der Anträge auf mehr Freizeit in den Betrieben erfolgreich.
In vielen Firmen seien die Möglichkeiten über die Vereinbarungen hinaus allen Beschäftigten angeboten worden, berichtet Hofmann. Der Arbeitgeberverband Gesamtmetall hat keine eigenen Zahlen erhoben und widerspricht nicht. Im Südwesten sei es in vielen Betrieben nicht gelungen, das entfallende Arbeitsvolumen auszugleichen, monierte der Südwestmetall-Hauptgeschäftsführer Peer-Michael Dick. „Nur, weil Unternehmen in den sauren Apfel gebissen haben, Anträge auch ohne entsprechenden Ausgleich zu genehmigen, um den Betriebsfrieden zu wahren, konnte das Gros der Anträge bewilligt werden“, erklärte er in Stuttgart.
Dass Hofmann dennoch vorwiegend Moll-Töne anschlägt, liegt an dem Umbruch, vor dem die Automobilbranche steht. Nach Einschätzung der Gewerkschaft muss im Jahr 2030 jedes zweite in Deutschland neu zugelassene Auto einen Elektroantrieb haben, um die in der EU vereinbarten Klimaziele auch nur annähernd einzuhalten.
Für die deutsche Kernindustrie, in der die IG Metall traditionell ihre stärksten Truppen hat, bedeutet das einen gewaltigen Umbau, der mit massiven Arbeitsplatzverlusten einherzugehen droht. Hofmann zufolge stehen mindestens 150 000 der rund 800 000 deutschen Autojobs zur Disposition. Bestenfalls 40 000 neue Stellen könnten entstehen, wenn konsequent in Deutschland investiert würde. Die Gewerkschaft fordert daher kräftige Investitionen in die BatterieTechnologie, in eine flächendeckende Ladeinfrastruktur sowie in neue Mobilitätskonzepte. Gar nichts hält Hofmann von höheren Belastungen für die autofahrenden Pendler. Die hätten gerade in ländlichen Gebieten wenig Alternativen.
Die IG Metall versucht, den auch von der Digitalisierung getriebenen Umbau der Arbeitswelt unter dem Oberbegriff „Transformation“zu greifen. Die Vizevorsitzende Christiane Benner beschreibt, dass ihr früherer Job als ausgebildete Fremdsprachenkorrespondentin absehbar von „Google Translate“oder ähnlichen Programmen erledigt werde. Ebenso könnte es den Tausenden kaufmännischen Angestellten in den Firmenverwaltungen gehen. Die betroffenen Beschäftigten müssten rechtzeitig für andere Tätigkeiten qualifiziert werden. Die Gewerkschaft will den Stand der Zukunftsplanungen der Unternehmen in einem „Transformationsatlas“sammeln.