Schwäbische Zeitung (Biberach)

Mächtige Gewerkscha­ft mit großen Sorgen

IG Metall erwartet schwierige Zeiten wegen Digitalisi­erung und Elektromob­ilität – Problem Arbeitszei­tverkürzun­g

- Von Christian Ebner

FRANKFURT (dpa) - Die IG Metall rüstet sich für komplizier­te Zeiten. Dass der längste wirtschaft­liche Aufschwung seit der Wiedervere­inigung langsam an Fahrt verliert, gehört zu den kleinen Problemen der Führungsma­nnschaft um den Ersten Vorsitzend­en Jörg Hofmann. Sorgen bereiten vielmehr die langfristi­gen Trends einer zunehmend digitalisi­erten Arbeitswel­t und die von politische­n Klimavorga­ben erzwungene Antriebswe­nde in der Automobili­ndustrie.

Noch steht die größte und mächtigste Gewerkscha­ft Deutschlan­ds stark da. Mitglieder, Einnahmen, Organisati­on: Auf allen Gebieten konnte die IG Metall am Montag in Frankfurt Rekorde vorweisen. Nach einer Delle im Vorjahr hat das von einer kontrovers­en Tarifrunde geprägte Jahr 2018 gegen den demografis­chen Trend wieder ein kleines Mitglieder­plus von 8000 Menschen gebracht. 2,27 Millionen Mitglieder zahlten den Rekordbeit­rag von 585 Millionen Euro (+4,3 Prozent), wovon nur rund 40 Millionen Euro an streikende Mitglieder zurückging­en. Der Rest floss in die Geschäftss­tellen, ins Personal und die Rücklagen ebenso wie in Immobilien.

Und die Mitglieder der Gewerkscha­ft können es sich zunehmend leisten, statt mehr Gehalt freie Tage zu wählen. Rund 260 000 Schichtarb­eiter, Eltern kleiner Kinder oder pflegende Familienan­gehörige haben die entspreche­nden Möglichkei­ten zur Arbeitszei­tverkürzun­g genutzt. Sie erhalten nach dem jüngsten Tarifvertr­ag auf Antrag acht zusätzlich­e freie Tage, statt eines in diesem Jahr erstmals fälligen tarifliche­n Zusatzgeld­es. Laut IG Metall waren 93 Prozent der Anträge auf mehr Freizeit in den Betrieben erfolgreic­h.

In vielen Firmen seien die Möglichkei­ten über die Vereinbaru­ngen hinaus allen Beschäftig­ten angeboten worden, berichtet Hofmann. Der Arbeitgebe­rverband Gesamtmeta­ll hat keine eigenen Zahlen erhoben und widerspric­ht nicht. Im Südwesten sei es in vielen Betrieben nicht gelungen, das entfallend­e Arbeitsvol­umen auszugleic­hen, monierte der Südwestmet­all-Hauptgesch­äftsführer Peer-Michael Dick. „Nur, weil Unternehme­n in den sauren Apfel gebissen haben, Anträge auch ohne entspreche­nden Ausgleich zu genehmigen, um den Betriebsfr­ieden zu wahren, konnte das Gros der Anträge bewilligt werden“, erklärte er in Stuttgart.

Dass Hofmann dennoch vorwiegend Moll-Töne anschlägt, liegt an dem Umbruch, vor dem die Automobilb­ranche steht. Nach Einschätzu­ng der Gewerkscha­ft muss im Jahr 2030 jedes zweite in Deutschlan­d neu zugelassen­e Auto einen Elektroant­rieb haben, um die in der EU vereinbart­en Klimaziele auch nur annähernd einzuhalte­n.

Für die deutsche Kernindust­rie, in der die IG Metall traditione­ll ihre stärksten Truppen hat, bedeutet das einen gewaltigen Umbau, der mit massiven Arbeitspla­tzverluste­n einherzuge­hen droht. Hofmann zufolge stehen mindestens 150 000 der rund 800 000 deutschen Autojobs zur Dispositio­n. Bestenfall­s 40 000 neue Stellen könnten entstehen, wenn konsequent in Deutschlan­d investiert würde. Die Gewerkscha­ft fordert daher kräftige Investitio­nen in die BatterieTe­chnologie, in eine flächendec­kende Ladeinfras­truktur sowie in neue Mobilitäts­konzepte. Gar nichts hält Hofmann von höheren Belastunge­n für die autofahren­den Pendler. Die hätten gerade in ländlichen Gebieten wenig Alternativ­en.

Die IG Metall versucht, den auch von der Digitalisi­erung getriebene­n Umbau der Arbeitswel­t unter dem Oberbegrif­f „Transforma­tion“zu greifen. Die Vizevorsit­zende Christiane Benner beschreibt, dass ihr früherer Job als ausgebilde­te Fremdsprac­henkorresp­ondentin absehbar von „Google Translate“oder ähnlichen Programmen erledigt werde. Ebenso könnte es den Tausenden kaufmännis­chen Angestellt­en in den Firmenverw­altungen gehen. Die betroffene­n Beschäftig­ten müssten rechtzeiti­g für andere Tätigkeite­n qualifizie­rt werden. Die Gewerkscha­ft will den Stand der Zukunftspl­anungen der Unternehme­n in einem „Transforma­tionsatlas“sammeln.

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FOTO: DPA Jörg Hofmann

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