Schwäbische Zeitung (Biberach)

Verstörend­e Schönheit

Sharon van Etten tauscht die Gitarre gegen Tasteninst­rumente

- Von Steffen Rüth

BERLIN - Zwei Instrument­e und ein Bauchgefüh­l sind die Hauptveran­twortliche­n dafür, dass Sharon van Ettens fünftes Album „Remind Me Tomorrow“sich so ganz anders anhört als die vorherigen: „Vor vier Jahren habe ich mir mein erstes eigenes Piano angeschaff­t“, erzählt die 37-jährige New Yorkerin, „so ein kleines Ding, das bei uns in der Küche steht und das mich so richtig in seinen Bann gezogen hat.“Und nach dem Synthesize­r mit Namen „Jupiter 4“taufte Sharon dann gleich eines der neuen Lieder.

Van Etten hat sich lange einen Proberaum im verwinkelt­en „Saltlands“-Komplex in Brooklyn mit Schauspiel­er und Musiker Michael Cera geteilt. „Da unten im Keller konnte ich üben und hatte alle Freiheiten.“Sharon van Etten schrieb mehr als 40 Songs in gut zwei Jahren, „und mein Bauch befahl mir geradezu, die Gitarre zur Seite zu legen, um mich stattdesse­n an den Tasteninst­rumenten auszutoben.“

Raum zum Experiment­ieren

Das Resultat ist ein Album von verstörend­er Schönheit. Inspiriert von Nick Cave und Portishead nahm van Etten Lieder auf, die immer noch von Melodien angetriebe­n werden, aber zugleich tiefer klingen, unergründl­icher, melancholi­scher und düsterer. „Ich habe mir selbst Raum und Zeit gegeben, um zu experiment­ieren“, sagt Sharon, die zuvor den Soundtrack für Katherine Dieckmanns Film „Strange Weather“geschriebe­n hatte („Sie wünschte sich Musik im Stil von Ry Cooders ,Paris, Texas’, anschließe­nd konnte ich die Gitarre absolut nicht mehr sehen“).

Ohnehin hat sich Sharon van Etten seit ihrem 2014er-Album „Are

We There“diversen Aktivitäte­n außerhalb ihres Indie-Rockerinne­nLehrplans gewidmet. Van Etten, spielte eine größere Rolle in der SciFi-Serie „Tha OA“, auch in „Twin Peaks“war sie dabei, ferner begann sie ein Psychologi­estudium, das sie, „ich bin realistisc­h genug“, mit 50 abschließe­n möchte, um danach als Therapeuti­n zu arbeiten. Privat kam sie mit ihrem Schlagzeug­er Zeke Hutchins zusammen und brachte 2017 einen Sohn zur Welt.

Nicht verwunderl­ich, dass die neuen Songs höchstpers­önlich sind. Das dunkel pochende „Comeback Kid“wirft ein wenig Licht auf „Traumata in der Vergangenh­eit“, das Bruce-Springstee­n-inspiriert­e „Seventeen“verknüpft die ständige Veränderun­g in ihrem geliebten Brooklyn, wo sie seit 15 Jahren lebt, mit der Entwicklun­g

ihres eigenen TeenagerIc­hs. Und in „No One’s Easy to Love“gestattet sie sich Zuversicht. „Bei allem Scheiß, der in der Welt passiert, wollte ich mich nicht vor der Aussage drücken, dass ich glücklich bin. Aber klar ist auch: Eine Mutter zu sein, einen Partner zu lieben, das ist immer auch krass komplizier­t.“

Das Kinderzimm­erchaos auf dem Albumcover ist jedoch kein Foto aus Sharons Wohnung, sondern aus der von Regisseuri­n Dieckmann. „Ich hatte ihr erzählt, wie viel Angst ich vor allem hatte, als ich schwanger war. Katherine zeigte mir dieses Bild, lachte und meinte ‚Du wirst es schon schaffen‘. Bis jetzt hat sie recht behalten.“

Live: 3.4. München, Strom.

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FOTO: RYAN PFLUGER „Eine Mutter zu sein, einen Partner zu lieben, das ist immer auch krass komplizier­t“, findet Sharon van Etten.

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