Schwäbische Zeitung (Biberach)
Wieland hinterließ auch materielle Güter
Der Biberacher Professor Dieter Martin spricht über den Nachlass des Dichters
BIBERACH - Als Christoph Martin Wieland vor genau 206 Jahren in der Nacht vom 20. auf den 21. Januar 1813 starb, hinterließ er ein großes poetisches, publizistisches und übersetzerisches Werk, eine weit verzweigte Familie und einen materiellen Nachlass, der seinen Erben zufiel. Darunter seine Bibliothek mit mehr als 3000 Bänden, viele Briefe und Manuskripte sowie Bargeld, Kapitalanlagen, dazu Möbel, Hausrat und Kleidung. Über Wielands Nachlass hat der Biberacher Professor Dieter Martin von der Universität Freiburg im Haus der Archive in Biberach gesprochen.
Wielands Bibliothek war seinerzeit von seinen Erben versteigert worden. Professor Martin und seine Mitarbeiter haben diese virtuell rekonstruiert, auch die damals möglichen Verkaufspreise der Bücher. Die wichtigsten Quellen hierfür waren für die Wissenschaftler die „Acta Regiminis“im Deutschen Literaturarchiv Marbach sowie die „Acta Commissionis“im Thüringischen Hauptstaatsarchiv Weimar.
Nicht alle „gut situiert“
Die Aufteilung des Erbes war eine offizielle Angelegenheit, konnte wegen mancher Schwierigkeiten erst 1818 abgeschlossen werden. Drei Gründe machten eine Erbregelung sehr komplex: Wieland hatte kein Testament geschrieben. Einige seiner Kinder lebten weit entfernt (Zürich und Schlesien), der Nachlass war sehr umfangreich, so etwa die schwer verwertbare Bibliothek.
Dieter Martin gab dann sehr interessante Einblicke in die damaligen Entwicklungen kurz vor und nach dem Tode des Dichters. Er zeigte einen Brieftext, in dem Wieland seiner Tochter Charlotte Geßner in Zürich seine Verpflichtungen und seine Entscheidungen hinsichtlich seines Nachlasses präzise und liebevoll erläuterte. Nicht alle seiner Kinder waren „gut situiert“, sein Sohn Ludwig etwa sei eher der Versager-Typ gewesen. Ludwig hatte beim Tode des Vaters bei diesem 1600 Taler Schulden. Seine Geschwister erließen ihm die Schulden, schlossen ihn aber mit seiner Zustimmung von der Erbfolge aus. Die „Schlussabrechnung“des Erbes aus dem Jahre 1817 (in Talern, nach heutigem Wert entspricht ein Taler etwa 35 bis 40 Euro): Vermögen 8138 (Bargeld, Geldanlagen, Zinsen, Verkauf Bibliothek und Mobilien). Demgegenüber 2520 Ausgaben (zurückgezahlte Schulden und andere Titel). So blieben als Hinterlassenschaft 5618 Taler, etwa 200 000 Euro, und die acht Erben erhielten also jeder 700 Taler, etwa ein damaliges mittleres Jahreseinkommen.
Der Referent erzählte noch weitere Einzelheiten zu Wielands Kapitalbewegungen. Das Gut Oßmannstedt hatte er für 22 000 Taler erworben, darin viel investiert und das Anwesen nach dem Tode seiner Frau 1801 für 30 000 Taler verkauft. Wieland zog dann nach Weimar in eine Mietwohnung, für die er jährlich 100 Taler zahlte, etwa zehn Prozent seines Einkommens vom herzoglichen Hofe. In Geldanlagen war er stets behutsam und risikoscheu. Er erhielt zumeist nur vier Prozent Zinsen für sichere Anlagen.
Nach Wielands Tode wurden gleich am anderen Morgen seine Privaträume behördlicherseits versiegelt, alles auf 40 Seiten dokumentiert und inventarisiert. Seine Kleidung, Möbel, Hausinventar wurde versteigert. Einige Tabatieren brachten gute Erlöse; diejenige aus Malachit ging, ersteigert durch Schillers Witwe, an den herzoglichen Hof.
Bis 1815 waren alle Bücher katalogisiert und versteigert. Die Ersteigerer waren vom Adel, Gelehrte, Buchhändler, Auktionatoren, kaum die einfachen Bürger Weimars.
Im Anschluss an den Vortrag von Prof. Martin gab es für die Geschäftsführerin der Wielandstiftung, Kerstin Bönsch, eine große Überraschung: Viia Ottenbacher von der Wieland-Gesellschaft hatte über das Internet einen Originalbrief von Wieland entdeckt, den der Dichter am 23. September 1767 in Biberach an seinen Verleger Salomon Gessner in Zürich geschrieben hatte, und von dem man wusste, dass er existierte, der aber verschollen war. Die Gesellschaft erwarb diese historische Kostbarkeit von einem Wiener Antiquariat für 11 000 Euro. Das Original kommt natürlich in einen Tresor der Stiftung, die heuer ihr zehnjähriges Bestehen feiert, aber Ferdinand Flechtner, Präsident der WielandGesellschaft, übergab Kerstin Bönsch ein Faksimile für die Wand über ihrem Schreibtisch.