Schwäbische Zeitung (Biberach)
Stadt zahlt Senioren Prämie für Umzug
Ältere sollen große Wohnungen räumen, um Platz für Familien zu schaffen
MARBACH (lsw) - Auf der Suche nach Lösungen in der Wohnungsnot ist Kreativität gefragt. Immerhin fehlen laut einer Prognos-Studie 88 000 Wohnungen im Südwesten. Längst trifft das Problem nicht nur Ballungsräume, sondern auch ländliche Regionen. Die Stadt Marbach (Kreis Ludwigsburg) begibt sich auf Neuland.
Vor vier Jahren sorgte der Vorschlag des Bundesvorsitzenden der IG Bau noch für Wellen der Kritik. 5000 Euro, schlug Robert Feiger vor, sollten Senioren bekommen, wenn sie in Ballungsräumen in eine kleinere Wohnung ziehen. „Absurd“und „nicht geeignet“hieß es in den Reaktionen damals. Nun will die Stadt Marbach genau so eine Prämie einführen.
Wie im ganzen Land ist die Wohnungsnot auch in der kleinen Stadt am Neckar hoch: 7600 Wohnungen gibt es laut Statistischem Landesamt (Stand 2017) in Marbach. Gut 600 würden Schätzungen zufolge fehlen, so Bürgermeister Jan Trost. Landesweit schätzt die Landesregierung den Bedarf an Wohnungen in den nächsten Jahren auf rund eine halbe Million.
Die Stadt Marbach will deshalb versuchen, Senioren zum Umzug zu bewegen. 2500 Euro sollen Menschen im Alter von mehr als 60 Jahren bekommen, wenn sie in eine mindestens 30 Prozent kleinere Wohnung ziehen und eine Marbacher Familie ein neues Zuhause findet. Im vergangenen Jahr stimmte der Gemeinderat dem Plan einstimmig zu, am kommenden Donnerstag muss in dem Kommunalparlament noch die notwendige Richtlinie abgesegnet werden.
„Das ist alles freiwillig“, sagt Bürgermeister Jan Trost, der anfangs kein Anhänger der Idee war. „Wir wollen niemanden vergraulen.“Die Stadt betrete damit Neuland.
Doch ganz neu ist die Idee nicht: Die Städtische Wohnungsbaugesellschaft in Lörrach beispielsweise bietet unabhängig vom Alter eine Umzugsprämie für den Wechsel in eine kleinere Wohnung an. Die Höhe der Hilfe ist nach Größe der Wohnung gestaffelt. In Stuttgart wurde schon seit Ende der 1970er-Jahre der Umzug aus einer größeren Sozialwohnung in eine kleinere bezuschusst – zuletzt mit 4000 Euro. Doch 2007 schaffte man die Prämie ab. Denn waren in den 1990er-Jahren noch mehr als 750 Umzugswillige gelockt worden, waren es zwischen den Jahren 2000 und 2007 nur noch knapp 100. Der Versuch der freien Wähler, die Idee 2015 zu reaktivieren, scheiterte.
Der Landesvorsitzende des Mieterbundes, Rolf Gaßmann, hat Zweifel, dass ein solcher Anreiz heute funktioniert. Das Problem, so Gaßmann seien die niedrigen Bestandsmieten im Vergleich zu den hohen Mieten, die in einer neuen Wohnung fällig wären. „Man zahlt auch in einer kleineren Wohnung in der Regel mehr als vorher“, sagt er.
Der Mieterverein Stuttgart hat deshalb von der Stuttgarter Wohnungsund Städtebaugesellschaft (SWSG) gefordert, älteren Mietern kleinere Wohnungen zu Bestandsmieten zur Verfügung zu stellen. Die landeseigenen Wohnungsbaugesellschaften
„Das ist alles freiwillig. Wir wollen niemanden vergraulen.“Marbachs Bürgermeister Jan Trost
„Aber ich muss noch meine Frau überzeugen.“Gemeinderat Hendrik Lüdke
in Berlin haben genau das gestartet und lassen ihre Mieter inzwischen Wohnungen zu Bestandsmieten tauschen. Auch die SAGA in Hamburg will Senioren mit dem Versprechen, bei den niedrigeren Bestandsmieten zu bleiben, zum Umzug bewegen.
Hendrik Lüdke, der die Initiative im Marbacher Gemeinderat gestartet hat, kann nicht abschätzen, welche Wirkung das Programm haben wird. Er gäbe sich mit wenig zufrieden. „Auch wenn nur zwei bis drei Wohnungen frei werden, ist das gut“, sagt er. Er lebt mit seiner Frau in einem Reihenmittelhaus. Nur noch eines der vier Kinder lebt bei dem Ehepaar. Lüdke kann sich selbst vorstellen, irgendwann in eine kleinere Wohnung zu ziehen. „Aber ich muss noch meine Frau überzeugen.“