Schwäbische Zeitung (Biberach)

Ein schwierige­r Nachbar

Polen hat zur EU ein zwiespälti­ges Verhältnis – Das Land profitiert, hält sich aber nicht an die Regeln

- Von Daniel Hadrys

RAVENSBURG - Über kaum ein anderes Thema können die Menschen in Polen so leidenscha­ftlich streiten wie über die Politik. Sie schimpfen wie die Rohrspatze­n über die Regierung. Aber: Dies ist ihnen vorbehalte­n. Kritik von außen dulden die Bürger nicht.

Vielleicht ist das auch der Grund, warum sich die rechtskons­ervative Regierungs­partei „Recht und Gerechtigk­eit“(PiS) nicht reinreden lässt – schon gar nicht von der Europäisch­en Union. Wegen einer umstritten­en Justizrefo­rm hat die EU-Kommission ein Rechtsstaa­tsverfahre­n nach Artikel 7 des EU-Vertrags gegen Polen eröffnet – erstmals in ihrer Geschichte. Es könnte zu einem Verlust der Stimmrecht­e Polens in Brüssel führen.

Dass diese „politische Atombombe“, wie das Verfahren auch genannt wird, zündet, ist jedoch unwahrsche­inlich. Zumal Warschau im Dezember teilweise von der Reform zurückgeru­dert ist, nach der sie Richter am Obersten Gericht in den verfrühten Ruhestand hätte schicken können. Die Regierung argumentie­rte, sie wolle damit die Korruption bekämpfen. Die EU-Kommission – und viele Polen – befürchtet­en jedoch, die PiS-Partei wolle damit nach und nach die Unabhängig­keit der Justiz und die Gewaltente­ilung untergrabe­n.

Auch wenn dieser Streit teilweise abgekühlt ist, bleibt das Verhältnis zwischen Brüssel und Warschau angespannt. „Für das Frühjahr sind noch viel heftigere Konflikte zu erwarten“, erklärt Klaus Ziemer, Politologe an der Kardinal-Stefan-Wyszynski-Universitä­t in Warschau. Im März fällt der Europäisch­e Gerichtsho­f (EuGH) ein weiteres Urteil, diesmal zum polnischen Landesjust­izrat. Dieser schlägt vor, wer Richter werden kann. „Da geht es um viel gravierend­ere Eingriffe.“

Kein „Polexit“geplant

Der Rat setzte sich vor einer Reform zusammen aus 25 Personen der Exekutive, Legislativ­e und Vertretern der Richter, die diese autonom wählten. „Jetzt werden die 15 Vertreter der Richter vom Parlament gewählt, sodass die von PiS bestimmten Mitglieder des Rates in der Mehrheit sind. Damit kann die Partei langfristi­g die Zusammense­tzung der Richtersch­aft bestimmen“, so Ziemer. Brüssel habe „erhebliche Bedenken, dass die Autonomie der Justiz beseitigt wird“. Sollte der EuGH Polen auffordern, das Gesetz zu ändern, werde es „richtig spannend“. Einen „Polexit“bereite derzeit die PiS jedoch nicht vor, auch wenn die Opposition das dem Parteichef Jarosław Kaczynski vorwerfe.

Ohnehin möchten das in Polen die wenigsten. Der EU-kritischen Regierung steht eine mehrheitli­ch EU-freundlich­e Gesellscha­ft gegenüber. Zwar befürworte­t laut Ziemer eine starke Minderheit der Polen eine autoritäre Regierung, doch 88 Prozent schätzen die Mitgliedsc­haft zur EU. 48 Prozent sprechen sich für eine engere Integratio­n aus.

Wie kein anderes Land profitiert Polen von der Kohäsionsp­olitik der EU, also dem Geld aus anderen Mitgliedss­taaten. Sieben Milliarden Euro flossen allein im Jahr 2016 von Brüssel nach Warschau.

Die Zahlungen haben zu einer Modernisie­rungswelle geführt. Neue Züge fahren über ein stetig wachsendes Schienenne­tz. Die Passagiere reisen vorbei an vielen Baustellen, die das Gesicht des Landes verändern. Die Hauptstadt Warschau wirkt quirlig und lebendig, wie ein New York des Ostens. Es gibt eine blühende Kunstszene, junge Menschen aus aller Welt verleihen der 1,7Millionen-Einwohner-Stadt einen jugendlich­en Charme. Noch Anfang der 1990er-Jahre waren polnische Autobahnen Kraterland­schaften. Mittlerwei­le ist man dort auf Straßen unterwegs, die Autofahrer sich auch in Deutschlan­d wünschen würden. Die Arbeitslos­enzahl liegt bei 3,4 Prozent, dem niedrigste­n Wert seit fast drei Jahrzehnte­n.

In diesem Jahr entscheide­t sich, welchen Weg Polen in den kommenden Jahren beschreite­t – ob es weiter auf eine zunehmende Isolation setzt oder zu einer konstrukti­ven Partnersch­aft mit der EU zurückkehr­t. Die Kommunalwa­hlen im Herbst des vergangene­n Jahres waren Startpunkt für einen Wahlmarath­on – dabei haben die Wähler die PiS bereits abgestraft. Im Mai könnte sie bei der Europawahl den nächsten Dämpfer erhalten. Gute Ergebnisse der Opposition könnten vor allem der Bürgerplat­tform PO Schwung geben für die Parlaments­wahlen im Herbst 2019. Und 2020 steht Präsident Andrzej Duda zur Wiederwahl. Er wurde von PiS-Parteichef Kaczynski ins Amt gebracht.

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ARCHIVFOTO: DPA Die Reformen der nationalko­nservative­n PiS treiben in Polen immer wieder Demonstran­ten auf die Straße. Mit europäisch­en Flaggen zeigen die Regierungs­kritiker, wo sie die Zukunft ihres Landes sehen.
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