Schwäbische Zeitung (Biberach)

Auch Russen setzen den INF-Vertrag aus

Moskau kommt das Ende des Abkommens gelegen

- Von Klaus-Helge Donath und Agenturen

MOSKAU - Nur einen Tag hat sich Russlands Staatschef Wladimir Putin Zeit genommen, um auf die Vorlage von US-Präsident Donald Trump zu antworten. Dieser hatte am Freitag den INF-Abrüstungs­vertrag über landgestüt­zte atomare Mittelstre­ckenrakete­n gekündigt. Anfang August würde damit das Abkommen von 1987 auslaufen. „Die amerikanis­chen Partner haben erklärt, ihre Teilnahme auszusetze­n“, sagte Putin am Samstag im Fernsehen. „Wir setzen sie ebenfalls aus.“Er befand sich in Begleitung von Außenminis­ter Sergei Lawrow und Verteidigu­ngsministe­r Sergei Schoigu. Verhandlun­gen mit den USA werde es nicht mehr geben, sagte er strikt.

Der Kremlchef gab sich als weitsichti­ger Politiker. „Wir wollen warten, bis unsere Partner reif genug sind, um mit uns einen Dialog über dieses Thema zu führen“, sagte er. Für die Europäer, die von der Aufkündigu­ng des INF-Vertrags besonders betroffen sind, waren diese Botschafte­n zweideutig: Russland werde keine Mittelstre­ckenwaffen aufstellen, wenn auch Washington sich enthalte. Man werde nun jedoch auch an neuen Raketen arbeiten. Allerdings wolle man, „in kein teures Wettrüsten hineingezo­gen werden“.

Noch bleiben sechs Monate Zeit

Bereits seit der Amtszeit von Trumps Vorgänger Barack Obama beanstande­t das Land russische Vertragsve­rletzungen. Am Wochenende erklärte US-Außenminis­ter Mike Pompeo: „Die USA können nicht länger an den Vertrag gebunden sein, während ihn Russland offen bricht.“

Der INF-Vertrag zwischen den USA und der damaligen Sowjetunio­n untersagt den Bau und Besitz landgestüt­zter, atomar bewaffnete­r Raketen oder Marschflug­körper mit einer Reichweite von 500 bis 5500 Kilometern. Die Abkürzung INF steht für „Intermedia­te Range Nuclear Forces“, auf Deutsch: nukleare Mittelstre­ckensystem­e. Bis der Vertrag nach der Kündigung endgültig ausläuft, bleiben aber – zumindest theoretisc­h – noch sechs Monate Zeit für eine Beilegung des Streits. Allerdings argumentie­rt im Nachhinein nun auch Moskau, die USA verletzten den INF-Vertrag bereits seit 1999.

US-Präsident Donald Trump erklärte, er könne sich Gespräche über einen neuen Vertrag vorstellen. Dann müsse aber auch China mit an den Tisch. Die chinesisch­e Führung forderte ihrerseits die USA und Russland dazu auf, ihren Streit zu überwinden.

Nukleare Bedrohung für Europa

Die USA und die übrigen Nato-Staaten werfen Moskau vor, mit der landgestüt­zten Rakete vom Typ 9M729 – die Nato führt sie als SSC-8 Novator – den Vertrag zu unterlaufe­n. Tatsache ist: Trotz des INF-Vertrags war Moskau in der Lage, nukleares Potential zu entwickeln, mit dem ganz Europa angegriffe­n werden könnte. Die Novator verfügt über eine Reichweite von 2000 Kilometern.

Für Teile Europas einschließ­lich Deutschlan­d könnte außerdem die in Kaliningra­d aufgestell­te SS-26 Iskander zur Bedrohung werden. Dieser Marschflug­körper hat eine Reichweite von 500 Kilometern und ist damit INF-konform. Sie ist aber mit verschiede­nen – auch nuklearen – Gefechtskö­pfen bestückbar.

Russland war die Erhaltung des Vertrags kein wichtiges Anliegen. Nach dem Ende des Raketenabw­ehrvertrag­s ABM und mit der schwindend­en Aufmerksam­keit für den INF-Vertrag hatte zuletzt die Entwicklun­g neuer Waffen ein größeres Gewicht. Nun, da die Auflagen voraussich­tlich wegfallen, können die Pläne schnell umgesetzt werden.

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