Schwäbische Zeitung (Biberach)
Viele Gespräche helfen beim Verarbeiten
Wie ein Polizist Todesnachrichten überbringt und mit dem Erlebten zurechtkommt
LAUPHEIM - Medizinische Notfälle, Verkehrsunfälle, Selbstmorde, Tötungsdelikte – wenn Menschen sterben, gehört es zu den Aufgaben der Polizei, die Angehörigen zu informieren. Dirk Menhard ist Polizeihauptmeister und arbeitet beim Polizeirevier in Laupheim. Vieles, was er in seinen bisherigen Dienstjahren erlebt hat, wird ihm immer im Gedächtnis bleiben.
Was ist passiert? Ist alles in Ordnung? Diese Fragen bekommen Polizisten oft zu hören, wenn sie an Haustüren klingeln. Viele Menschen gehen erst einmal davon aus, dass etwas Schlimmes passiert ist. Meistens gibt es dafür keinen Anlass – in der Regel dreht es sich um Ordnungswidrigkeiten. Routinegeschichten, die schnell erledigt sind. Aber manchmal können die Polizisten die Befürchtungen nicht entkräften. Manchmal müssen sie tatsächlich eine Hiobsbotschaft überbringen.
Dirk Menhard kennt diese Situation. Erlebt hat er sie zuletzt während einer Nachtschicht im vergangenen Jahr. Heute, an einem Freitagmittag, sitzt er in dem Verhörzimmer mit den kahlen Wänden, ein Ort auf dem Revier, wo er sich ungestört mit dem Fragesteller von der Zeitung unterhalten kann. Menhard ist seit 1995 bei der Polizei, lange hat er in Stuttgart und Biberach gearbeitet. Seit fünf Jahren ist er in Laupheim. „Manchmal ist man mit Ereignissen konfrontiert, deren Auswirkungen sich erst nach und nach erschließen“, erzählt der 39-Jährige. So war es auch in der besagten Nachtschicht.
Traurige Gewissheit
Jemand hatte die Polizei alarmiert, weil ein Angehöriger nicht zu erreichen war. Menhard nahm sich der Sache an und informierte Kollegen, die am Wohnsitz nach dem Rechten schauen sollten. „Ich hatte von Anfang an ein komisches Bauchgefühl“, erinnert er sich. Bald meldeten sich die Kollegen zurück und aus dem Bauchgefühl wurde traurige Gewissheit: Sie hatten den Vermissten tot aufgefunden. Im Vorraum des Polizeireviers wartete der Angehörige. „Ich musste ihm jetzt etwas mitteilen, das ihn völlig aus der Bahn wirft“, berichtet Menhard. In einer derartigen Situation die richtigen Worte zu finden, das sei extrem schwierig. „Du kannst nicht einfach sagen, dass alles wieder gut wird.“Menhard teilte dem Angehörigen mit, was die Kollegen zuvor ihm mitgeteilt hatten. „Es bringt nichts, lange zu warten und um den heißen Brei herumzureden.“Sein Gegenüber hat sofort einen Weinkrampf bekommen.
Menhard musste noch weitere Angehörige informieren. Gemeinsam mit einem jungen Kollegen, der noch in der Ausbildung war, machte er sich auf den Weg. „Wenn wir mit einer solchen Botschaft in eine Wohnung kommen, erleben wir die Menschen, wie sie sich in der Öffentlichkeit nie zeigen würden“, sagt der Polizist, der seine Worte sehr bewusst wählt. Helfen könne er, indem er einen Notfallseelsorger anfordert. Oder einen Rettungswagen, wenn jemand unter Schock steht.
Bilder brennen sich ein
Doch nicht nur die Angehörigen müssen die Erlebnisse verarbeiten – auch die Beamten. Viele Bilder brennen sich ins Gedächtnis. „Ich weiß noch genau, welche Leichen am schlimmsten ausgesehen haben“, sagt Menhard. Einen Amoklauf, zu dem er während seiner Zeit in Stuttgart ausrücken musste, hat er noch vor Augen. Damals hatte ein Mann mit einem Samurai-Schwert eine Frau getötet und mehrere Menschen schwer verletzt. Menhard weiß auch noch, wie er in einem anderen Fall gemeinsam mit einem Notarzt versucht hat, einen Mann wiederzubeleben – vergebens. Und eine Szene aus seinen frühen Dienstjahren ist ihm immer noch in Erinnerung: Ein Mann war am Küchentisch gestorben. „Die Ehefrau hat mich gebeten, die Rollläden zu schließen“, erzählt der Polizist. „Damit die Eltern, die gegenüber gewohnt haben, nichts mitbekommen.“
Wenn Polizisten mit Extremsituationen konfrontiert sind, bekommen sie professionelle Hilfe angeboten, um die schrecklichen Szenen zu verarbeiten. Bisher hat Menhard sie nicht in Anspruch genommen. Er verarbeitet das Erlebte im Gespräch mit Kollegen, seiner Familie und Freunden. „In jedem Beruf gibt es Dinge, die nicht schön sind, aber dazugehören“, sagt Menhard. „Aber für mich stand schon in der Kindheit fest, dass ich zur Polizei gehe. Das Grundprinzip unserer Arbeit treibt mich an: Menschen zu helfen.“