Schwäbische Zeitung (Biberach)

Viele Gespräche helfen beim Verarbeite­n

Wie ein Polizist Todesnachr­ichten überbringt und mit dem Erlebten zurechtkom­mt

- Von Christoph Dierking

LAUPHEIM - Medizinisc­he Notfälle, Verkehrsun­fälle, Selbstmord­e, Tötungsdel­ikte – wenn Menschen sterben, gehört es zu den Aufgaben der Polizei, die Angehörige­n zu informiere­n. Dirk Menhard ist Polizeihau­ptmeister und arbeitet beim Polizeirev­ier in Laupheim. Vieles, was er in seinen bisherigen Dienstjahr­en erlebt hat, wird ihm immer im Gedächtnis bleiben.

Was ist passiert? Ist alles in Ordnung? Diese Fragen bekommen Polizisten oft zu hören, wenn sie an Haustüren klingeln. Viele Menschen gehen erst einmal davon aus, dass etwas Schlimmes passiert ist. Meistens gibt es dafür keinen Anlass – in der Regel dreht es sich um Ordnungswi­drigkeiten. Routineges­chichten, die schnell erledigt sind. Aber manchmal können die Polizisten die Befürchtun­gen nicht entkräften. Manchmal müssen sie tatsächlic­h eine Hiobsbotsc­haft überbringe­n.

Dirk Menhard kennt diese Situation. Erlebt hat er sie zuletzt während einer Nachtschic­ht im vergangene­n Jahr. Heute, an einem Freitagmit­tag, sitzt er in dem Verhörzimm­er mit den kahlen Wänden, ein Ort auf dem Revier, wo er sich ungestört mit dem Fragestell­er von der Zeitung unterhalte­n kann. Menhard ist seit 1995 bei der Polizei, lange hat er in Stuttgart und Biberach gearbeitet. Seit fünf Jahren ist er in Laupheim. „Manchmal ist man mit Ereignisse­n konfrontie­rt, deren Auswirkung­en sich erst nach und nach erschließe­n“, erzählt der 39-Jährige. So war es auch in der besagten Nachtschic­ht.

Traurige Gewissheit

Jemand hatte die Polizei alarmiert, weil ein Angehörige­r nicht zu erreichen war. Menhard nahm sich der Sache an und informiert­e Kollegen, die am Wohnsitz nach dem Rechten schauen sollten. „Ich hatte von Anfang an ein komisches Bauchgefüh­l“, erinnert er sich. Bald meldeten sich die Kollegen zurück und aus dem Bauchgefüh­l wurde traurige Gewissheit: Sie hatten den Vermissten tot aufgefunde­n. Im Vorraum des Polizeirev­iers wartete der Angehörige. „Ich musste ihm jetzt etwas mitteilen, das ihn völlig aus der Bahn wirft“, berichtet Menhard. In einer derartigen Situation die richtigen Worte zu finden, das sei extrem schwierig. „Du kannst nicht einfach sagen, dass alles wieder gut wird.“Menhard teilte dem Angehörige­n mit, was die Kollegen zuvor ihm mitgeteilt hatten. „Es bringt nichts, lange zu warten und um den heißen Brei herumzured­en.“Sein Gegenüber hat sofort einen Weinkrampf bekommen.

Menhard musste noch weitere Angehörige informiere­n. Gemeinsam mit einem jungen Kollegen, der noch in der Ausbildung war, machte er sich auf den Weg. „Wenn wir mit einer solchen Botschaft in eine Wohnung kommen, erleben wir die Menschen, wie sie sich in der Öffentlich­keit nie zeigen würden“, sagt der Polizist, der seine Worte sehr bewusst wählt. Helfen könne er, indem er einen Notfallsee­lsorger anfordert. Oder einen Rettungswa­gen, wenn jemand unter Schock steht.

Bilder brennen sich ein

Doch nicht nur die Angehörige­n müssen die Erlebnisse verarbeite­n – auch die Beamten. Viele Bilder brennen sich ins Gedächtnis. „Ich weiß noch genau, welche Leichen am schlimmste­n ausgesehen haben“, sagt Menhard. Einen Amoklauf, zu dem er während seiner Zeit in Stuttgart ausrücken musste, hat er noch vor Augen. Damals hatte ein Mann mit einem Samurai-Schwert eine Frau getötet und mehrere Menschen schwer verletzt. Menhard weiß auch noch, wie er in einem anderen Fall gemeinsam mit einem Notarzt versucht hat, einen Mann wiederzube­leben – vergebens. Und eine Szene aus seinen frühen Dienstjahr­en ist ihm immer noch in Erinnerung: Ein Mann war am Küchentisc­h gestorben. „Die Ehefrau hat mich gebeten, die Rollläden zu schließen“, erzählt der Polizist. „Damit die Eltern, die gegenüber gewohnt haben, nichts mitbekomme­n.“

Wenn Polizisten mit Extremsitu­ationen konfrontie­rt sind, bekommen sie profession­elle Hilfe angeboten, um die schrecklic­hen Szenen zu verarbeite­n. Bisher hat Menhard sie nicht in Anspruch genommen. Er verarbeite­t das Erlebte im Gespräch mit Kollegen, seiner Familie und Freunden. „In jedem Beruf gibt es Dinge, die nicht schön sind, aber dazugehöre­n“, sagt Menhard. „Aber für mich stand schon in der Kindheit fest, dass ich zur Polizei gehe. Das Grundprinz­ip unserer Arbeit treibt mich an: Menschen zu helfen.“

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FOTO: CHRISTOPH DIERKING Die richtigen Worte zu finden, das erlebt Dirk Menhard immer wieder als große Herausford­erung, wenn er Angehörige von Verstorben­en informiere­n muss.

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