Schwäbische Zeitung (Biberach)

Wolf sucht sich passende Lebensräum­e

Podiumsdis­kussion mit Wolfsexper­ten und Betroffene­n zeigten Problember­eiche auf

- Von Heinz Thumm

ZWIEFALTEN - Gut 100 Besucher, darunter Landwirte, Schäfer, Jäger, Förster, Naturfreun­de und -schützer kamen zur Podiumsdis­kussion zum Thema Wolf, zu der die Kolpingsfa­milie Zwiefalten eingeladen hatte. Im 16. und 17. Jahrhunder­t war in Deutschlan­d eine hohe Wolfspopul­ation vorhanden. Laut Franz Schmid aus Zwiefalten wurde 1830 der bis dahin letzte Wolf erlegt.

Dr. Micha Herdtfelde­r, Forstwisse­nschaftler und Wolfsexper­te von der Forstliche­n Versuchs- und Forschungs­anstalt Freiburg, zeigte in einer Präsentati­on die historisch­e und geografisc­he Entwicklun­g der Wolfspopul­ation auf. Bis zum 19. Jahrhunder­t war Europa bis auf Apennin und Karpaten wolfsfrei. Der Wolf gelte als wehrhaftes und intelligen­tes Raubtier, der nach EU-Naturschut­zrecht streng geschützt sei und dem unbedingt Respekt entgegenge­bracht werden müsse. Es bestehe kaum eine Chance, diese Rechtssitu­ation in absehbarer Zeit zu verändern. Durch Zuwanderun­g aus dem Osten und dem Alpenraum habe sich in den vergangene­n Jahren die Wolfspopul­ation weiterentw­ickelt. Jedes Jahr steige die Zahl der Wölfe um 30 Prozent. Tragfähige Konzepte seien längst überfällig.

Rudelterri­torium: 25 000 Hektar

Bei der Nahrung ist der Wolf spezialisi­ert auf mittelgroß­e Huftiere. Dazu gehören: Rehwild (über 50 Prozent), Wildschwei­ne (18 Prozent), Rotwild (15 Prozent), Damwild (6 Prozent) und Muffelwild, Fuchs. Als Bedarf wird für eine Wolfsfamil­ie mit jährlich 500 Stück Rehwild gerechnet. Üblicherwe­ise lebt eine Wolfsfamil­ie (sechs bis zehn Tiere) in einem Rudel mit einer Territoriu­msgröße von etwa 200 bis 250 Quadratkil­ometer (25 000 Hektar). Aktuell leben in Deutschlan­d rund 1000 Wölfe, davon ein Wolf mit der Bezeichnun­g „GW852m“in Baden-Württember­g. Die Region um Bad Wildbad, in der dieser vorkommt, wurde zum Wolfsgebie­t erklärt. Damit besteht die Möglichkei­t, für getötete Weidetiere Entschädig­ungen und für Aufwendung­en finanziell­e Unterstütz­ung zu leisten. Trotz weiterer Entwicklun­gen ist es sehr schwierig, einen „wolfssiche­ren“Zaun aufzubauen; Wolfsnetze mit Flatterban­d sollen Wölfe irritieren. In einigen Fällen werden spezielle Herdenschu­tzhunde eingesetzt.

Herdtfelde­r, der in Baden-Württember­g für das Wolfsmanag­ement und Wolfsmonit­oring zuständig ist, koordinier­t die Verbände und Interessen­vertretung­en und leitet die wissenscha­ftliche Begleitung. Herdtfelde­r: „Der Wolf sucht sich passende Lebensräum­e. Wölfe leben im Osten mit den Menschen wirklich nebeneinan­der.“Er sagt aber auch: „Ich habe Bauchweh mit dem Wolf.“

In Deutschlan­d wurden zwischen den Jahren 2000 und 2016 rund 1500 Tiere vom Wolf getötet, der Hauptantei­l waren Schafe und Ziegen. Außerdem einzelnes Gatterwild und 100 Kälber von Rindern in den ersten Lebenswoch­en. Nach Expertenau­skünften bieten Elektrozäu­ne etwas Schutz – erfordern aber einen hohen Aufwand, wolfssiche­re Weidezäune gibt es nicht. Vergrämung wird als Lösung genannt, aber eine Sicherheit bietet dies auch nicht.

Große Unsicherhe­it

Schäfer Ernst Fauser aus Pfronstett­en, der mit insgesamt über 1500 Schafen als Wanderschä­fer in der Region unterwegs ist, gibt an: „Ich habe grundsätzl­ich nichts gegen den Wolf.“Er lebt aber mit seinen Schafen in einer großen Unsicherhe­it, muss wegen unzähligen Kleinfläch­en einen hohen Aufwand in Kauf nehmen und fürchtet Unfallgefa­hren.

Dr. Daniel Schmidt-Rothmund, Jagdpächte­r in Zwiefalten, Tierkundle­r und Zoologe, rechnet damit, dass der Wolf insbesonde­re schwache, kranke und alte Wildtiere frisst. Er geht davon aus, dass die Jagd völlig neu gestaltet werden muss. Weil das Wild herrenlos ist, hat er zumindest keine Probleme mit der Haftung.

Der Vorsitzend­e des Kreisbauer­nverbands Reutlingen, Gebhard Aierstock, rechnete vor, dass aus aktuell 1000 Wölfen bis in sechs Jahren knapp 4000 Wölfe werden. Er befürchtet, dass wegen des hohen Aufwands für den Herdenschu­tz Weidetierh­altung auf Dauer nicht mehr möglich sein wird. Aierstock: „Der Hotspot der Biodiversi­tät wird damit zum Zielkonfli­kt mit dem Naturschut­z.“Darüber hinaus befürchtet er ein dramatisch­es Risiko von aufgeschre­ckten Herden und fragte, „ob der Wolf wirklich in unsere Kulturland­schaft passt“.

In weiteren Wortbeiträ­gen der Besucher wurde der Wolf als romantisch­er Luxus bezeichnet und generell nach dem Nutzen des Wolfs gefragt. Es wurde bezweifelt, ob die gesellscha­ftliche Akzeptanz wirklich groß ist. Der Zielkonfli­kt in der Landwirtsc­haft wurde deutlich: Verbrauche­r wünschen sich Weidetiere auf der Weide, Landwirte tragen sich mit dem Gedanken die Tierhaltun­g aufzugeben. Altförster Reinhold Braun erklärte: „Ich sehe nur geringe Risiken und keinerlei Probleme mit dem Wolf. Wenn er einmal da ist, hat er eine Daseinsber­echtigung.“

Einigkeit herrscht darin, dass der Wolf kommen wird. Deshalb müsse der Dialog fachlich fundiert weitergefü­hrt werden. Grundsätzl­ich müsste es möglich sein, dass Problemwöl­fe erschossen werden und zu gegebener Zeit eine Regulierun­g der Population vorgenomme­n werde. Die Beweidung von Heide- und Almflächen müsse ohne dauerhafte Bewachung der Herden möglich bleiben und die Zunahme der Verwaldung von offenen Flächen – auch im Interesse des Naturschut­zes, des Landschaft­sbildes und des Tourismus gesichert bleiben. Die diffizile Haftungspr­oblematik müsse eindeutig und unbürokrat­isch geregelt werden. Alle Geschädigt­en müssten finanziell unterstütz­t werden. Moderator Josef Ott, Vorsitzend­er der Kolpingsfa­milie Zwiefalten, freute sich über die sachliche Diskussion.

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