Schwäbische Zeitung (Biberach)
SPD-Chefin nennt Kühnerts Forderungen „falsch“
Der Juso-Chef beharrt auf seinen Ideen zur Enteignung großer Unternehmen – Nahles kann Aufregung nicht nachvollziehen
LEIPZIG (dpa) - Nach zwei Tagen hat SPD-Chefin Andrea Nahles mit einer klaren Zurückweisung auf die umstrittenen Sozialismus-Thesen von Juso-Chef Kevin Kühnert reagiert. Allerdings könne sie „die Aufregung nicht ganz nachvollziehen“, sagte Nahles nach einer Klausur der SPDFraktionsvorsitzenden von Bund und Ländern am Freitag in Leipzig. Kühnert hatte zuvor nachgelegt. Die SPD solle die Debatte offensiv führen, forderte er im „Spiegel“. „Ich habe das sehr ernst gemeint, was ich formuliert habe.“
Nahles hielt Kühnert entgegen: „Ich finde, die Antworten, die er gibt, falsch. Das sind auch nicht die Positionen der SPD.“Sie räumte aber ein: „Die Frage dahinter, wie gerechte Verteilung von Reichtum organisiert werden kann, was man tun kann gegen die zunehmende Spaltung zwischen Arm und Reich – das sind richtige Fragen.“Man könne richtige Fragen stellen und falsch beantworten. Kühnert beharrte: „Ich habe keine Lust mehr darauf, dass wir wesentliche Fragen immer nur dann diskutieren, wenn gerade Friedenszeiten sind, und im Wahlkampf drum herumreden.“Man könne sich nicht immer auf die Zunge beißen. Der Kapitalismus sei „in viel zu viele Lebensbereiche vorgedrungen“: „So können wir auf keinen Fall weitermachen.“
Nahles ist nicht genervt
Der Vorsitzende des SPD-Nachwuchs’ hatte mit einem „Zeit“-Interview zum Thema Sozialismus am Mittwoch einen Aufschrei der Empörung hervorgerufen. Darin trat er für eine Kollektivierung großer Unternehmen „auf demokratischem Wege“ein – auch von BMW. Zudem sei es im Grunde nicht legitim, über die eigene Wohnung hinaus Wohneigentum zu besitzen.
Kritik an Ausformungen des Kapitalismus finde sich auch in der SPD und darüber hinaus, so Parteichefin Nahles. „Seitdem ich Parteivorsitzende bin, haben wir uns diesen Themen auch gewidmet.“Aber: „Ungleichheit kann man nur konkret bekämpfen.“ Auf die Frage, ob der Europawahlkampf der SPD durch Kühnert gestört werde, meinte die Partei- und Fraktionschefin: „Ich habe das nicht als Beitrag zum Wahlkampf verstanden, sondern eher als Grundsatzbeitrag, eine eher utopische Einlassung.“Genervt oder sauer sei sie nicht. Dann reiste Nahles von Leipzig nach Saarbrücken zum offiziellen Startschuss des SPD-Europawahlkampfs.
Es mehrten sich auch positivere Stimmen. So sagte der Chef des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung, Marcel Fratzscher, dem Portal n-tv: „Herr Kühnert trifft zu Recht einen Nerv.“Die Ungleichheit nehme zu – der Sozialismus sei aber der falsche Weg. SPD-Vize Ralf Stegner sagte: „Ich habe lieber zu viel Debatte als zu wenig.“Nicht nur über praktische Politik solle die SPD diskutieren, sondern ruhig auch über politische Utopien.