Schwäbische Zeitung (Biberach)
Mundartarchiv kooperiert mit PH Weingarten
Neues Zentrum für Mundart an der Hochschule gegründet – Studenten sollen in Bad Schussenried recherchieren
BAD SCHUSSENRIED - Die Pädagogische Hochschule Weingarten hat ein Zentrum für Mundart gegründet. Der Senat hat am 1. Februar eine entsprechende Gründungssatzung verabschiedet und einen Beirat gewählt. Das Zentrum wird sich künftig in enger Kooperation mit dem Zentralen Württembergischen Mundartarchiv, das im Neuen Kloster von Bad Schussenried untergebracht ist, mit der Erforschung, Dokumentation und Förderung des Kulturguts Mundart beschäftigen.
Für Wilhelm König, der das Mundartarchiv leitet, eine großartige Nachricht. Der Dichter hat sein Leben dieser Kunst verschrieben. Darum hatte sich König vor 20 Jahren das Ziel gesetzt, ein Mundartarchiv aufzubauen, das möglichst viele Werke der neuen deutschsprachigen Mundartdichtung umfasst. Am 25. Juni 1999 wurde das Zentrale Württembergische Mundartarchiv im Neuen Kloster in Bad Schussenried eröffnet und seitdem engagiert sich der Reutlinger stetig dafür, den Bestand des Archivs zu pflegen und zu erweitern.
Wie alles begann
Wilhelm König kann sich noch gut erinnern, wie alles begann. 1976 fand er sich mit anderen schwäbischen Mundartdichtern im Café Ernst in Reutlingen zusammen. Man beschloss, eine Mundartgesellschaft zu gründen. Die Gesellschaft verschrieb sich dem Ziel, die schwäbische Mundart zu erhalten und zu pflegen. Schnell etablierten sich die Reutlinger Mundart-Wochen zum Treffpunkt regionaler Sprachpoeten und Liebhaber der Dialektik. Und der nächste logische Schritt war daher Jahre später die Gründung eines Mundartarchivs. „Ich hatte lange nach einem Standort in Reutlingen oder Stuttgart gesucht, doch vergeblich“, erinnert sich König.
Als er die Suche schon fast aufgegeben hatte, sei der damalige Präsident des Regierungspräsidiums Tübingen, Hubert Wicker, auf ihn zugekommen und habe das Neue Kloster
in Bad Schussenried als Standort vorgeschlagen. „Es erschien mir nicht ganz ideal, da die neue Mundartdichtung vor allem eine Dichtung der Großstädte ist und sich dort auch das entsprechende Publikum findet, aber wir waren trotzdem froh, endlich geeignete Räumlichkeiten gefunden zu haben.“
Unter großem Interesse der Öffentlichkeit sei das Mundartarchiv 1999 eröffnet worden. „Mittlerweile kommen vor allem Schulklassen zu uns oder Studenten der Sprachwissenschaft, die für ihre Prüfungen oder Abschlussarbeiten recherchieren“, sagt König. Denn, und darauf ist er sehr stolz, inzwischen würden sich manche Werke in seinem Mundartarchiv finden, die es in keiner anderen Bibliothek gebe. Mit Leidenschaft sammelt der 85-Jährige seit Jahrzehnten Bücher, Zeitschriften,
Schallplatten und Kassetten – einfach alles, was in irgendeiner Form mit Dialekten zu tun hat. Trotz der Fülle an Archivmaterial sei es aber schwer, ein breiteres Publikum zu erreichen. Der Standort, vermutet König, sei einfach zu isoliert, die Existenz des Mundartarchivs bis heute zu wenig bekannt.
Viel zu entdecken
Dabei gibt es in den Räumlichkeiten viel zu entdecken. Das Mundartarchiv erstreckt sich im Dachgeschoss des Neuen Klosters über 300 Quadratmeter. Im Lesesaal findet sich in einer Ecke ein ganzes Regal mit Wörterbüchern. Das älteste schwäbische Wörterbuch stammt aus dem Jahr 1831. Die Schrift ist nur noch schwer zu lesen, die Wörter erscheinen fremd. Anders sieht es da schon mit den fünf Bändern des Schwäbischen
Wörterbuchs von 1901 aus. Darin finden sich viele schwäbische Ausdrücke, die auch heute noch gebräuchlich sind. Daneben stehen im Regal sächsische Wörterbücher und Wörterbücher, die aus dem Wienerischen ins Hochdeutsche übersetzen.
Denn auch wenn der Schwerpunkt des Mundartarchivs auf der schwäbischen Sprache liegt, so werden doch auch umfassend Werke aller anderen deutschsprachigen Dialekte gesammelt. „Und in Wien nahm 1955 die neue Mundartdichtung ihren Anfang“, erzählt König, während er langsam nach nebenan in die Bibliothek wandert. Die Stadt Wien sei ein Konglomerat deutscher Dialekte, der Schriftsteller Hans Carl Artmann ihr berühmtester Sohn gewesen. König zieht ein Büchlein mit dem Titel „Med ana schwoazzn dintn“aus dem Regal. „Das ist die Bibel der neuen Mundart, geschrieben von Artmann“, erklärt er. Wie viele Werke aus dieser Zeit sei es primär um das Leben in der Großstadt gegangen, darum, was die Stadt ausmache.
Ein Regal weiter finden sich Werke schwäbischer Dichter und Schriftsteller. So etwa schwäbische Gedichte von Hermann Rehm mit dem Titel „Knallerbsa“. Ein paar Reihen daneben: das Buch „Lachendes Allgäu“, das Kurzgeschichten im Allgäuer Dialekt enthält. Wieder ein paar Reihen weiter findet sich ein Gedichtband in Glarner Mundart, einer Unterart des Schweizerdeutsch.
„Wer sich viel mit Dialekten auseinandersetzt, erkennt die Zusammenhänge und wie sich das eine aus dem anderen entwickelt hat“, erklärt Wilhelm König seine Faszination. „Unser Dialekt ist ein Teil unserer Identität und wer Dialekt spricht, drückt damit seine Verbundenheit zur Heimat aus.“Sein Ziel sei es darum stets gewesen, die Dialektik mehr zur Geltung zu bringen und eine Begegnungsstätte zu schaffen, bei der diese im Mittelpunkt steht.
Karten zeigen Entwicklung
Wer das Mundartarchiv besucht, findet darum nicht nur zahllose Bücher und Zeitschriften, sondern es gibt auch viele Karten zu sehen, die darüber Aufschluss geben, was für Synonyme es zum Beispiel für das Wort Kartoffel in den unterschiedlichen Regionen Baden-Württembergs gibt. Eine andere Karte zeigt, wie im Laufe der Jahrhunderte sich manches Wort verändert hat oder welches Schwäbisch wo gesprochen wird. Zahllose weitere Ausstellungsstücke zeugen von einer regen Auseinandersetzung der Mitglieder der Mundartgesellschaft mit der Bedeutung des Dialekts.
Wie die künftige Kooperation zwischen der PH Weingarten und dem Mundartarchiv konkret aussehen wird, wollte König noch nicht kommentieren. Es ist jedoch davon auszugehen, dass bald deutlich mehr Studenten ihren Weg nach Bad Schussenried finden und das Archiv aus seinem Dornröschenschlaf wecken werden.