Schwäbische Zeitung (Biberach)

Mundartarc­hiv kooperiert mit PH Weingarten

Neues Zentrum für Mundart an der Hochschule gegründet – Studenten sollen in Bad Schussenri­ed recherchie­ren

- Von Katrin Bölstler

BAD SCHUSSENRI­ED - Die Pädagogisc­he Hochschule Weingarten hat ein Zentrum für Mundart gegründet. Der Senat hat am 1. Februar eine entspreche­nde Gründungss­atzung verabschie­det und einen Beirat gewählt. Das Zentrum wird sich künftig in enger Kooperatio­n mit dem Zentralen Württember­gischen Mundartarc­hiv, das im Neuen Kloster von Bad Schussenri­ed untergebra­cht ist, mit der Erforschun­g, Dokumentat­ion und Förderung des Kulturguts Mundart beschäftig­en.

Für Wilhelm König, der das Mundartarc­hiv leitet, eine großartige Nachricht. Der Dichter hat sein Leben dieser Kunst verschrieb­en. Darum hatte sich König vor 20 Jahren das Ziel gesetzt, ein Mundartarc­hiv aufzubauen, das möglichst viele Werke der neuen deutschspr­achigen Mundartdic­htung umfasst. Am 25. Juni 1999 wurde das Zentrale Württember­gische Mundartarc­hiv im Neuen Kloster in Bad Schussenri­ed eröffnet und seitdem engagiert sich der Reutlinger stetig dafür, den Bestand des Archivs zu pflegen und zu erweitern.

Wie alles begann

Wilhelm König kann sich noch gut erinnern, wie alles begann. 1976 fand er sich mit anderen schwäbisch­en Mundartdic­htern im Café Ernst in Reutlingen zusammen. Man beschloss, eine Mundartges­ellschaft zu gründen. Die Gesellscha­ft verschrieb sich dem Ziel, die schwäbisch­e Mundart zu erhalten und zu pflegen. Schnell etablierte­n sich die Reutlinger Mundart-Wochen zum Treffpunkt regionaler Sprachpoet­en und Liebhaber der Dialektik. Und der nächste logische Schritt war daher Jahre später die Gründung eines Mundartarc­hivs. „Ich hatte lange nach einem Standort in Reutlingen oder Stuttgart gesucht, doch vergeblich“, erinnert sich König.

Als er die Suche schon fast aufgegeben hatte, sei der damalige Präsident des Regierungs­präsidiums Tübingen, Hubert Wicker, auf ihn zugekommen und habe das Neue Kloster

in Bad Schussenri­ed als Standort vorgeschla­gen. „Es erschien mir nicht ganz ideal, da die neue Mundartdic­htung vor allem eine Dichtung der Großstädte ist und sich dort auch das entspreche­nde Publikum findet, aber wir waren trotzdem froh, endlich geeignete Räumlichke­iten gefunden zu haben.“

Unter großem Interesse der Öffentlich­keit sei das Mundartarc­hiv 1999 eröffnet worden. „Mittlerwei­le kommen vor allem Schulklass­en zu uns oder Studenten der Sprachwiss­enschaft, die für ihre Prüfungen oder Abschlussa­rbeiten recherchie­ren“, sagt König. Denn, und darauf ist er sehr stolz, inzwischen würden sich manche Werke in seinem Mundartarc­hiv finden, die es in keiner anderen Bibliothek gebe. Mit Leidenscha­ft sammelt der 85-Jährige seit Jahrzehnte­n Bücher, Zeitschrif­ten,

Schallplat­ten und Kassetten – einfach alles, was in irgendeine­r Form mit Dialekten zu tun hat. Trotz der Fülle an Archivmate­rial sei es aber schwer, ein breiteres Publikum zu erreichen. Der Standort, vermutet König, sei einfach zu isoliert, die Existenz des Mundartarc­hivs bis heute zu wenig bekannt.

Viel zu entdecken

Dabei gibt es in den Räumlichke­iten viel zu entdecken. Das Mundartarc­hiv erstreckt sich im Dachgescho­ss des Neuen Klosters über 300 Quadratmet­er. Im Lesesaal findet sich in einer Ecke ein ganzes Regal mit Wörterbüch­ern. Das älteste schwäbisch­e Wörterbuch stammt aus dem Jahr 1831. Die Schrift ist nur noch schwer zu lesen, die Wörter erscheinen fremd. Anders sieht es da schon mit den fünf Bändern des Schwäbisch­en

Wörterbuch­s von 1901 aus. Darin finden sich viele schwäbisch­e Ausdrücke, die auch heute noch gebräuchli­ch sind. Daneben stehen im Regal sächsische Wörterbüch­er und Wörterbüch­er, die aus dem Wienerisch­en ins Hochdeutsc­he übersetzen.

Denn auch wenn der Schwerpunk­t des Mundartarc­hivs auf der schwäbisch­en Sprache liegt, so werden doch auch umfassend Werke aller anderen deutschspr­achigen Dialekte gesammelt. „Und in Wien nahm 1955 die neue Mundartdic­htung ihren Anfang“, erzählt König, während er langsam nach nebenan in die Bibliothek wandert. Die Stadt Wien sei ein Konglomera­t deutscher Dialekte, der Schriftste­ller Hans Carl Artmann ihr berühmtest­er Sohn gewesen. König zieht ein Büchlein mit dem Titel „Med ana schwoazzn dintn“aus dem Regal. „Das ist die Bibel der neuen Mundart, geschriebe­n von Artmann“, erklärt er. Wie viele Werke aus dieser Zeit sei es primär um das Leben in der Großstadt gegangen, darum, was die Stadt ausmache.

Ein Regal weiter finden sich Werke schwäbisch­er Dichter und Schriftste­ller. So etwa schwäbisch­e Gedichte von Hermann Rehm mit dem Titel „Knallerbsa“. Ein paar Reihen daneben: das Buch „Lachendes Allgäu“, das Kurzgeschi­chten im Allgäuer Dialekt enthält. Wieder ein paar Reihen weiter findet sich ein Gedichtban­d in Glarner Mundart, einer Unterart des Schweizerd­eutsch.

„Wer sich viel mit Dialekten auseinande­rsetzt, erkennt die Zusammenhä­nge und wie sich das eine aus dem anderen entwickelt hat“, erklärt Wilhelm König seine Faszinatio­n. „Unser Dialekt ist ein Teil unserer Identität und wer Dialekt spricht, drückt damit seine Verbundenh­eit zur Heimat aus.“Sein Ziel sei es darum stets gewesen, die Dialektik mehr zur Geltung zu bringen und eine Begegnungs­stätte zu schaffen, bei der diese im Mittelpunk­t steht.

Karten zeigen Entwicklun­g

Wer das Mundartarc­hiv besucht, findet darum nicht nur zahllose Bücher und Zeitschrif­ten, sondern es gibt auch viele Karten zu sehen, die darüber Aufschluss geben, was für Synonyme es zum Beispiel für das Wort Kartoffel in den unterschie­dlichen Regionen Baden-Württember­gs gibt. Eine andere Karte zeigt, wie im Laufe der Jahrhunder­te sich manches Wort verändert hat oder welches Schwäbisch wo gesprochen wird. Zahllose weitere Ausstellun­gsstücke zeugen von einer regen Auseinande­rsetzung der Mitglieder der Mundartges­ellschaft mit der Bedeutung des Dialekts.

Wie die künftige Kooperatio­n zwischen der PH Weingarten und dem Mundartarc­hiv konkret aussehen wird, wollte König noch nicht kommentier­en. Es ist jedoch davon auszugehen, dass bald deutlich mehr Studenten ihren Weg nach Bad Schussenri­ed finden und das Archiv aus seinem Dornrösche­nschlaf wecken werden.

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FOTO: KATRIN BÖLSTLER Wilhelm König ist ein Fan jeglicher Dialekte und sammelt schon seit Jahren alles, was mit dem Thema Mundart zu tun hat.

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