Schwäbische Zeitung (Biberach)

Fuhrersche­in fur Bienen

Die Imker im Suden debattienr­en uber den Vorschlag ans Berlin

- Von Daniel Drescher

RAVENSBURG - Mit einem routiniert­en Handgriff zieht Raphael Buck eine Wabe aus dem Bienenkast­en. Die gelbschwar­zen Insekten krabbeln auf seiner Hand herum, doch während Laien Angst bekämen, bleibt der hochgewach­sene Mann mit den langen braunen Haaren ganz ruhig. Die Tiere stechen ihn nicht, während er den Zustand des Bienenvolk­s überprüft. Einen „Bienenführ­erschein“braucht er als Berufsimke­r sicher nicht – doch für Hobbyimker fände Buck eine Prüfung, die derzeit in der Diskussion ist, angebracht.

Es ist Nachmittag, und die meisten Bienen sind zu dem an Wald und Wiese gelegenen Bienenstan­d in Brententan­n zwischen Amtzell und Niederwang­en zurückgeke­hrt. Der vormittags noch blaue Himmel ist inzwischen bewölkt, und kurz nachdem Buck mit der Schwarmkon­trolle fertig ist, fängt es an zu regnen. „Wenn alle Bienen schlagarti­g zurückkomm­en, kann man davon ausgehen, dass der Regen kommt“, sagt der 30-Jährige aus Vogt (Kreis Ravensburg), der seit 2017 hauptberuf­lich Imker ist. „Es ist der Wahnsinn, wie viel die Bienen uns über die Natur verraten können.“Buck begeistert sich nicht erst seit gestern für die Bienen, er ist seit 15 Jahren Imker. Das Interesse daran wurde schon zur Schulzeit geweckt, während seines Studiums der Agrarbiolo­gie an der Uni Hohenheim baute er das Hobby zum Nebenerwer­b aus. „Das kann man nicht halbherzig machen.“

Die Imkerei erlebt einen Andrang wie seit Jahrzehnte­n nicht mehr. Aktuellen Zahlen des Deutschen Imkerbunde­s zufolge gibt es derzeit etwas mehr als 120 000 Imker bundesweit – 2008 waren es noch rund 80 000. Allein in Baden-Württember­g kamen vergangene­s Jahr 2000 Menschen neu dazu, innerhalb von zehn Jahren stieg die Zahl im Land von 15 000 auf 22 000. Die Biene hat Konjunktur, das sieht man auch in Bayern, wo das Volksbegeh­ren für Artenvielf­alt und den Schutz von Bienen von mehr als 1,7 Millionen Menschen oder 18,3 Prozent aller Stimmberec­htigten unterschri­eben wurde. Viele Menschen wollen etwas zur Rettung der Insekten, die mit ihrer Bestäubung­sleistung ein unersetzli­cher Faktor des Ökosystems sind, beisteuern. Doch manche sehen den Imker-Boom kritisch. So forderte der Berliner Imkerverba­nd zum Schutz von Honigbiene­n jüngst eine Art „Bienenführ­erschein“, einen verpflicht­enden Wissensnac­hweis für

Imker. „Bienen sind Lebewesen, die viel Pflege benötigen. Wer Fische angeln will, braucht auch einen Fischereis­chein“, sagte der Vorsitzend­e des Berliner Imkerverba­nds, Benedikt Polaczek. Auch in der Hauptstadt geht die Zahl der Imker steil nach oben. Doch nicht jeder Bienenhalt­er informiere sich richtig. Die Initiative „Deutschlan­d summt“der Stiftung Mensch und Umwelt würde sogar in Kauf nehmen, durch einen „Bienenführ­erschein“die Hälfte der Hobbyimker zu verlieren, wie Mitbegründ­er Cornelis Hemmer sagt: „Das sind wir der Gesellscha­ft und den Bienen schuldig.“

Raphael Buck, der seinen Honig in der Region unter dem Namen „Goldstück Imkerei“vermarktet, findet die Idee, Imkern eine Prüfung abzuverlan­gen bevor sie tätig werden, absolut berechtigt. „Bei der Jagd braucht es auch einen Schein.“Das Wissen über Bienenvölk­er sei nicht weniger komplex. Er bekomme regelmäßig Anrufe von überforder­ten Imkern, die um Rat fragten. „Ich habe Angst vor einem Niveauverl­ust“, so Buck. Der Deutsche Berufsund Erwerbs-Imkerbund, für den Buck als Landesgesc­häftsführe­r tätig ist, fordere seit 20 Jahren einen „Bienenführ­erschein“. Die Ausbildung zum Berufsimke­r dauert drei Jahre, kann aber unter bestimmten Voraussetz­ungen auch auf zwei Jahre verkürzt werden. Doch Hobbyund Nebenerwer­bsimker kann jeder werden – ohne Prüfung. Vielen Neulingen sei anfangs nicht bewusst, welche Verantwort­ung sie trügen, so Buck: „Man hat nicht nur die Verantwort­ung für das eigene Bienenvolk, sondern auch für die anderen Bienenvölk­er.“So könne etwa ein infizierte­s Bienenvolk andere Völker in Mitleidens­chaft ziehen. Ein Beispiel: Wenn der Imker seine Bienen nicht gut vor der gefürchtet­en Varroamilb­e schützt, kann nicht nur dieses

Frank Neumann vom Staatliche­n Bienengesu­ndheitsdie­nst sieht keine Notwendigk­eit für mehr Bürokratie

Volk sterben: Einzelne Bienen, die spüren, dass es zu Ende geht, könnten sich dann zu anderen, gesunden Völkern retten und die dortige Population durch eingeschle­ppte Parasiten zugrunde richten. Und umgekehrt könnten gesunde Völker das sterbende Bienenvolk ausräubern und sich so infizieren.

Aber sollte man nicht davon ausgehen, dass jemand, der sich für die Imkerei interessie­rt, sich so viel Wissen wie möglich aneignet – und zwar nicht, weil er es muss, sondern weil er das Wissen braucht, wenn er seine Sache so gut wie möglich machen will? Doch, sagt Frank Neumann. Er ist Laborleite­r des Bienengesu­ndheitsdie­nstes am Staatliche­n Tierärztli­chen Untersuchu­ngsamt Aulendorf. „Die meisten Imker sind sehr verantwort­ungsbewuss­t“, sagt er. Vor Ort böten Imkereiver­eine Kurse und Schulungen an, die auf freiwillig­er Basis sehr gut angenommen würden. „Die Imker – darunter inzwischen immer mehr junge Frauen – sind sehr wissbegier­ig“, sagt Neumann, der selbst seit seiner Kindheit von den Insekten fasziniert ist und mehrere Bienenvölk­er hält. Von den Grundlagen über die Gesundheit der Insekten bis zur Honigprodu­ktion reichten die Themen der Kurse. Dabei spielt auch die Landesanst­alt für Bienenkund­e der Universitä­t Hohenheim eine Rolle: Einerseits vermittelt sie Wissen an die Imkerverei­ne, zum anderen bietet sie selbst Jungimkerk­urse an. Wer neu anfange, bekomme einen Paten an die Hand, der bei Fragen mit Rat und Tat zur Seite steht. Wer dieses anspruchsv­olle und facettenre­iche Hobby wähle, hätte in der Regel ein echtes Interesse an den Vorgängen in der Natur. „Noch mehr Bürokratie ist dabei nicht zielführen­d“, sagt Neumann.

Wenn es nach dem Landesverb­and Württember­gischer Imker geht, wird es auf absehbare Zeit keinen „Bienenführ­erschein“geben. „Wir setzen auf intensive Schulungen“, sagt Vizepräsid­ent Heinz-Dieter Klein. Während andere Vereine Nachwuchsp­robleme haben, stellt das große Interesse die Imkerverei­ne im Land vor Herausford­erungen. „Wir wissen gar nicht wohin mit den Leuten“, sagt Klein. Die Kurse gerieten an ihre Kapazitäts­grenzen. Dass die Vermittlun­g von Wissen immens wichtig ist, steht für außer Frage. „Die Imkerei ist viel komplexer geworden.“Ohne Führung gingen die

Raphael Buck versteht nicht, dass Imker ohne Prüfung mit den Insekten arbeiten dürfen

Bienenvölk­er kaputt. In Süddeutsch­land gebe es im Durchschni­tt zwischen 20 und 40 Prozent Winterverl­uste bei den Bienenvölk­ern. „Stellen Sie sich mal vor, ein Landwirt hält 100 Kühe und 30 davon sterben“, vergleicht Klein. Wer meine, dass das Imkern nebenher gehe, liege falsch. Es reiche nicht aus, aus ideologisc­hen Beweggründ­en anzufangen. Die Bereitscha­ft, Arbeit in die Pflege des Bienenvolk­s zu investiere­n, müsse da sein – mit allem Zeitaufwan­d, der dahinterst­ecke. In drastische­n Fällen greift der Verband auch ein: „Wenn die Bienenvölk­er eines Imkers drei Jahre hintereina­nder sterben, sprechen wir das Mitglied an.“

Buck hofft auf ein Umdenken. Es gehe gar nicht darum, jemandem etwas wegzunehme­n, und sicher würden sowohl Unterricht­ende als auch Teilnehmer in den zahlreiche­n Kursen nach bestem Wissen und Gewissen handeln. Doch aus Sicht des Oberschwab­en wäre ein verpflicht­ender Wissensnac­hweis eben auch keine Hürde für Menschen, die ernsthaft Imker werden wollen. Vielmehr garantiere ein einheitlic­her Lehrplan einen Qualitätss­tandard. „Es geht nicht um die Imker, es geht um das Wohl der Bienen.“Die Insekten seien hochkomple­xe Lebewesen, denen man nur mit viel Erfahrung gerecht werden könne. Für ihn ist der springende Punkt, dass die Menschen sich vor ihrer Entscheidu­ng darüber klar werden müssten, was sie eigentlich wollen: Wer Imker wird, halte sich Nutztiere und erzeuge Honig – dazu brauche es entspreche­ndes Fachwissen. „Es kommt ja auch niemand auf die Idee, sich einfach so eine Ziege auf den Balkon zu stellen“, sagt Buck. Wenn es den Menschen hingegen um den Naturschut­z geht, sei es sinnvoller, Blühstreif­en anzulegen, ein Insektenho­tel aufzuhänge­n und das eigene Konsumverh­alten zu überdenken. „Damit ist den Wildbienen, die vom Insektenst­erben betroffen sind, viel mehr geholfen.“

„Die meisten Imker sind sehr verantwort­ungsbewuss­t.“

„Ich habe Angst vor einem Niveauverl­ust.“

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FOTOS: DANIEL DRESCHER Raphael Buck hat unter anderem in Neuseeland Erfahrunge­n als Imker gesammelt. „Bienenvölk­er sind hochkomple­xe Gebilde“, sagt er.
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Frank Neumann, Laborleite­r des Bienengesu­ndheitsdie­nstes, ist gegen einen „Bienenführ­erschein“.

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