Schwäbische Zeitung (Biberach)
Fuhrerschein fur Bienen
Die Imker im Suden debattienren uber den Vorschlag ans Berlin
RAVENSBURG - Mit einem routinierten Handgriff zieht Raphael Buck eine Wabe aus dem Bienenkasten. Die gelbschwarzen Insekten krabbeln auf seiner Hand herum, doch während Laien Angst bekämen, bleibt der hochgewachsene Mann mit den langen braunen Haaren ganz ruhig. Die Tiere stechen ihn nicht, während er den Zustand des Bienenvolks überprüft. Einen „Bienenführerschein“braucht er als Berufsimker sicher nicht – doch für Hobbyimker fände Buck eine Prüfung, die derzeit in der Diskussion ist, angebracht.
Es ist Nachmittag, und die meisten Bienen sind zu dem an Wald und Wiese gelegenen Bienenstand in Brententann zwischen Amtzell und Niederwangen zurückgekehrt. Der vormittags noch blaue Himmel ist inzwischen bewölkt, und kurz nachdem Buck mit der Schwarmkontrolle fertig ist, fängt es an zu regnen. „Wenn alle Bienen schlagartig zurückkommen, kann man davon ausgehen, dass der Regen kommt“, sagt der 30-Jährige aus Vogt (Kreis Ravensburg), der seit 2017 hauptberuflich Imker ist. „Es ist der Wahnsinn, wie viel die Bienen uns über die Natur verraten können.“Buck begeistert sich nicht erst seit gestern für die Bienen, er ist seit 15 Jahren Imker. Das Interesse daran wurde schon zur Schulzeit geweckt, während seines Studiums der Agrarbiologie an der Uni Hohenheim baute er das Hobby zum Nebenerwerb aus. „Das kann man nicht halbherzig machen.“
Die Imkerei erlebt einen Andrang wie seit Jahrzehnten nicht mehr. Aktuellen Zahlen des Deutschen Imkerbundes zufolge gibt es derzeit etwas mehr als 120 000 Imker bundesweit – 2008 waren es noch rund 80 000. Allein in Baden-Württemberg kamen vergangenes Jahr 2000 Menschen neu dazu, innerhalb von zehn Jahren stieg die Zahl im Land von 15 000 auf 22 000. Die Biene hat Konjunktur, das sieht man auch in Bayern, wo das Volksbegehren für Artenvielfalt und den Schutz von Bienen von mehr als 1,7 Millionen Menschen oder 18,3 Prozent aller Stimmberechtigten unterschrieben wurde. Viele Menschen wollen etwas zur Rettung der Insekten, die mit ihrer Bestäubungsleistung ein unersetzlicher Faktor des Ökosystems sind, beisteuern. Doch manche sehen den Imker-Boom kritisch. So forderte der Berliner Imkerverband zum Schutz von Honigbienen jüngst eine Art „Bienenführerschein“, einen verpflichtenden Wissensnachweis für
Imker. „Bienen sind Lebewesen, die viel Pflege benötigen. Wer Fische angeln will, braucht auch einen Fischereischein“, sagte der Vorsitzende des Berliner Imkerverbands, Benedikt Polaczek. Auch in der Hauptstadt geht die Zahl der Imker steil nach oben. Doch nicht jeder Bienenhalter informiere sich richtig. Die Initiative „Deutschland summt“der Stiftung Mensch und Umwelt würde sogar in Kauf nehmen, durch einen „Bienenführerschein“die Hälfte der Hobbyimker zu verlieren, wie Mitbegründer Cornelis Hemmer sagt: „Das sind wir der Gesellschaft und den Bienen schuldig.“
Raphael Buck, der seinen Honig in der Region unter dem Namen „Goldstück Imkerei“vermarktet, findet die Idee, Imkern eine Prüfung abzuverlangen bevor sie tätig werden, absolut berechtigt. „Bei der Jagd braucht es auch einen Schein.“Das Wissen über Bienenvölker sei nicht weniger komplex. Er bekomme regelmäßig Anrufe von überforderten Imkern, die um Rat fragten. „Ich habe Angst vor einem Niveauverlust“, so Buck. Der Deutsche Berufsund Erwerbs-Imkerbund, für den Buck als Landesgeschäftsführer tätig ist, fordere seit 20 Jahren einen „Bienenführerschein“. Die Ausbildung zum Berufsimker dauert drei Jahre, kann aber unter bestimmten Voraussetzungen auch auf zwei Jahre verkürzt werden. Doch Hobbyund Nebenerwerbsimker kann jeder werden – ohne Prüfung. Vielen Neulingen sei anfangs nicht bewusst, welche Verantwortung sie trügen, so Buck: „Man hat nicht nur die Verantwortung für das eigene Bienenvolk, sondern auch für die anderen Bienenvölker.“So könne etwa ein infiziertes Bienenvolk andere Völker in Mitleidenschaft ziehen. Ein Beispiel: Wenn der Imker seine Bienen nicht gut vor der gefürchteten Varroamilbe schützt, kann nicht nur dieses
Frank Neumann vom Staatlichen Bienengesundheitsdienst sieht keine Notwendigkeit für mehr Bürokratie
Volk sterben: Einzelne Bienen, die spüren, dass es zu Ende geht, könnten sich dann zu anderen, gesunden Völkern retten und die dortige Population durch eingeschleppte Parasiten zugrunde richten. Und umgekehrt könnten gesunde Völker das sterbende Bienenvolk ausräubern und sich so infizieren.
Aber sollte man nicht davon ausgehen, dass jemand, der sich für die Imkerei interessiert, sich so viel Wissen wie möglich aneignet – und zwar nicht, weil er es muss, sondern weil er das Wissen braucht, wenn er seine Sache so gut wie möglich machen will? Doch, sagt Frank Neumann. Er ist Laborleiter des Bienengesundheitsdienstes am Staatlichen Tierärztlichen Untersuchungsamt Aulendorf. „Die meisten Imker sind sehr verantwortungsbewusst“, sagt er. Vor Ort böten Imkereivereine Kurse und Schulungen an, die auf freiwilliger Basis sehr gut angenommen würden. „Die Imker – darunter inzwischen immer mehr junge Frauen – sind sehr wissbegierig“, sagt Neumann, der selbst seit seiner Kindheit von den Insekten fasziniert ist und mehrere Bienenvölker hält. Von den Grundlagen über die Gesundheit der Insekten bis zur Honigproduktion reichten die Themen der Kurse. Dabei spielt auch die Landesanstalt für Bienenkunde der Universität Hohenheim eine Rolle: Einerseits vermittelt sie Wissen an die Imkervereine, zum anderen bietet sie selbst Jungimkerkurse an. Wer neu anfange, bekomme einen Paten an die Hand, der bei Fragen mit Rat und Tat zur Seite steht. Wer dieses anspruchsvolle und facettenreiche Hobby wähle, hätte in der Regel ein echtes Interesse an den Vorgängen in der Natur. „Noch mehr Bürokratie ist dabei nicht zielführend“, sagt Neumann.
Wenn es nach dem Landesverband Württembergischer Imker geht, wird es auf absehbare Zeit keinen „Bienenführerschein“geben. „Wir setzen auf intensive Schulungen“, sagt Vizepräsident Heinz-Dieter Klein. Während andere Vereine Nachwuchsprobleme haben, stellt das große Interesse die Imkervereine im Land vor Herausforderungen. „Wir wissen gar nicht wohin mit den Leuten“, sagt Klein. Die Kurse gerieten an ihre Kapazitätsgrenzen. Dass die Vermittlung von Wissen immens wichtig ist, steht für außer Frage. „Die Imkerei ist viel komplexer geworden.“Ohne Führung gingen die
Raphael Buck versteht nicht, dass Imker ohne Prüfung mit den Insekten arbeiten dürfen
Bienenvölker kaputt. In Süddeutschland gebe es im Durchschnitt zwischen 20 und 40 Prozent Winterverluste bei den Bienenvölkern. „Stellen Sie sich mal vor, ein Landwirt hält 100 Kühe und 30 davon sterben“, vergleicht Klein. Wer meine, dass das Imkern nebenher gehe, liege falsch. Es reiche nicht aus, aus ideologischen Beweggründen anzufangen. Die Bereitschaft, Arbeit in die Pflege des Bienenvolks zu investieren, müsse da sein – mit allem Zeitaufwand, der dahinterstecke. In drastischen Fällen greift der Verband auch ein: „Wenn die Bienenvölker eines Imkers drei Jahre hintereinander sterben, sprechen wir das Mitglied an.“
Buck hofft auf ein Umdenken. Es gehe gar nicht darum, jemandem etwas wegzunehmen, und sicher würden sowohl Unterrichtende als auch Teilnehmer in den zahlreichen Kursen nach bestem Wissen und Gewissen handeln. Doch aus Sicht des Oberschwaben wäre ein verpflichtender Wissensnachweis eben auch keine Hürde für Menschen, die ernsthaft Imker werden wollen. Vielmehr garantiere ein einheitlicher Lehrplan einen Qualitätsstandard. „Es geht nicht um die Imker, es geht um das Wohl der Bienen.“Die Insekten seien hochkomplexe Lebewesen, denen man nur mit viel Erfahrung gerecht werden könne. Für ihn ist der springende Punkt, dass die Menschen sich vor ihrer Entscheidung darüber klar werden müssten, was sie eigentlich wollen: Wer Imker wird, halte sich Nutztiere und erzeuge Honig – dazu brauche es entsprechendes Fachwissen. „Es kommt ja auch niemand auf die Idee, sich einfach so eine Ziege auf den Balkon zu stellen“, sagt Buck. Wenn es den Menschen hingegen um den Naturschutz geht, sei es sinnvoller, Blühstreifen anzulegen, ein Insektenhotel aufzuhängen und das eigene Konsumverhalten zu überdenken. „Damit ist den Wildbienen, die vom Insektensterben betroffen sind, viel mehr geholfen.“
„Die meisten Imker sind sehr verantwortungsbewusst.“
„Ich habe Angst vor einem Niveauverlust.“