Schwäbische Zeitung (Biberach)
Werner Bahlsen lässt Schicksal der NS-Zwangsarbeiterinnen aufarbeiten
Firmenchef kritisiert mangelndes Verantwortungsbewusstsein - Klagen der Opfer waren wegen Verjährung abgewiesen worden
HANNOVER (dpa/kec) - Nach massiven Protesten hat der Chef des Keksherstellers Bahlsen, Werner M. Bahlsen, sich nun für eine schonungslose Aufarbeitung der NS-Geschichte des Unternehmens und seiner Familie ausgesprochen. „Es soll nichts verklärt, nichts weißgewaschen werden“, sagte der Inhaber und Chef des Verwaltungsrats des Familienunternehmens der „Bild am Sonntag“. „Es ist gut, dass jetzt alles auf den Tisch kommt.“Das Kapitel müsse ausführlich aufgearbeitet werden. Der damit beauftragte Historiker Manfred Grieger solle „alles aufdecken, auch die dunklen Seiten“. Auslöser der Debatte waren Äußerungen von Firmenerbin Verena Bahlsen zur Behandlung von Zwangsarbeitern. Dafür hatte sich die Tochter des Firmen-Patriarchen inzwischen entschuldigt. Die „Bild am Sonntag“konfrontierte nun Werner M. Bahlsen mit Schilderungen einer Zwangsarbeiterin, die laut Archiv-Unterlagen aus Kiew verschleppt und in Hannover zum Arbeiten bei Bahlsen gezwungen worden sein soll. Dazu sagte der Unternehmer: „Ich bin schockiert. Das höre ich heute zum ersten Mal, und das ist eine Katastrophe. Das geschilderte
Verbrechen macht mich sehr betroffen“, sagte der Chef.
Die Entschädigungsklagen von ehemaligen Zwangsarbeitern seien aufgrund von Verjährung abgewiesen worden, heißt es auf der Internetseite von Bahlsen. „Dabei haben wir unsere moralische Verantwortung vergessen“, sagte der Firmenchef im Interview. Er habe sich nur am Rande mit der Sache befasst. „Rückwirkend gesehen war das ein Fehler. Ich hätte das in die Chefetage holen müssen.“
Bereits in den 1990er-Jahren haben Wissenschaftler die Firmengeschichte – einschließlich der Zeit des Nationalsozialismus – untersucht. Das Unternehmen hatte dafür seine Archive geöffnet. Nach Firmenangaben waren bei Bahlsen in den Kriegsjahren zwischen 1943 und 1945 schätzungsweise 200 Zwangsarbeiter in der Produktion beschäftigt.
Trotz der abgewiesenen Klagen hatte sich das Unternehmen 1999 für den Eintritt in die Stiftungsinitiative der deutschen Wirtschaft für die
Bahlsen-Chef Werner M. Bahlsen über die Schilderungen einer ehemaligen Zwangsarbeiterin
Entschädigung ehemaliger Zwangsarbeiter in Deutschland entschieden. An diese Stiftung habe Bahlsen im Jahr 2000 eine Zahlung über eine Million D-Mark und 2001 eine Zahlung über 500 000 D-Mark gezahlt.
Die Stiftung „Erinnerung, Verantwortung und Zukunft“wurde von der deutschen Bundesregierung und der Stiftungsinitiative der deutschen Wirtschaft je zur Hälfte mit insgesamt 5,2 Mrd. Euro ausgestattet. Fast 5000 Firmen haben in den Fonds eingezahlt, darunter die Deutsche Bank, BMW und VW. Im Verbreitungsgebiet dieser Zeitung waren unter anderem die Allgäuer Brauerei Farny, ZF (Friedrichshafen) und die Schwäbischen Hüttenwerke (Aalen) dabei. Der Zigarettenpapierhersteller Efka aus Trossingen beteiligte sich erst nach öffentlichem Druck wegen der nationalsozialistischen Vergangenheit des Firmengründers Fritz Kiehn.
„Das geschilderte Verbrechen macht mich sehr betroffen.“