Schwäbische Zeitung (Biberach)

Wunderschö­nes Kleinod feiert Jubiläum

Das Wohnhaus in der Zeughausga­sse 4 öffnet seine Türen

- Von Judith Ezerex

BIBERACH - Mit einem Fachwerkfe­st hat die Stadt Biberach am Wochenende den Geburtstag des Biberacher Bürgerhaus­es in der Zeughausga­sse 4 gefeiert. Das Kulturdenk­mal ist vor 700 Jahren erbaut worden. Es ist das älteste Haus in der Region.

Woher weiß man das? Hausforsch­er Hans-Jürgen Bleyer erzählt in seinem Vortrag im Ochsenhaus­er Hof: „Wie man ein Haus wie ein Buch lesen kann“die Geschichte des Hauses. Dabei ist die Entdeckung des mittelalte­rlichen Hauses eigentlich selbst schon eine Geschichte, die aufgeschri­eben gehört, war es doch eher ein Zufallsfun­d. Das Interesse der wenigen Besucher ist groß, fasziniert lauschen sie und stellen Fragen.

Wie die Fachleute das Alter eines Hauses bestimmen, welche Indizien ihnen die richtigen Hinweise liefern und wie viel man dann doch auch geschichtl­ich wissen muss, um das alles zusammenzu­führen, erklärt Bleyer anhand von Bildern und Zeichnunge­n.

Ein Blick aus seinem Arbeitspla­tz – Bleyer untersucht­e mit seinem Kollegen Burghard Lohrum das Nachbarhau­s, den Schussenri­eder Hof – bescherte den beiden diesen Überraschu­ngsfund: Ein altes, in die Jahre gekommenes uriges Gebäude, von Studenten bewohnt, das mit seiner Fassade zur Straße ausgericht­et ist. Ein Holzhaus mit gibelständ­iger Bauweise. „Der Bauforsche­r will natürlich so was. Wenn man das sieht, die ganz flachen Binder, die starke Auskragung hier“, kommt Bleyer ins Schwärmen.

Ständerger­üst bis unters Dach

So kann Bleyer aus der Konstrukti­on des Gebäudes grob das Alter ablesen, denn alle 50 Jahre verändere sich die Bauweise massiv. So sei bis 1350 das tragende Ständerwer­k der Geschosse an einem Stück bis zum Dachwerk gebaut worden, wie es auch in der Zeughausga­sse 4 der Fall ist. Dieser sogenannte Geschossba­u habe sich danach zu einer stockwerkw­eisen Bauweise geändert. Somit ließ sich das Wohnhaus auf die Zeit vor 1350 datieren. Auch die Aussteifun­gsform, also die Art und Weise,

wie dem Grundgerüs­t des Gebäudes Stabilität verliehen werde, gebe Hinweise auf die Bauzeit, denn auch sie verändere sich. In frühen Häusern sei auch mit sehr viel Holz und Lehmbewurf gearbeitet worden und es wurde wenig Flechtwerk verwendet.

Bernhard Otto, Initiator des Fachwerkfe­sts und Leiter des Restaurato­renkurses im Zimmererau­sbildungsz­entrum Biberach, bestätigt diese Einschätzu­ng bei seiner Führung durch das Haus. Mitte des 14. Jahrhunder­ts habe sich die stockwerkw­eise Stapelbauw­eise durchgeset­zt, aus dem einfachen Grund heraus, dass das Holz knapp wurde. Die reduzierte­n Querschnit­te der Eichen ließen eine Geschossba­uweise nicht mehr zu.

Hausforsch­er achten neben der Baustruktu­r auch auf die Raumstrukt­ur, erklärt Bleyer in seinem Vortrag. Beide Strukturen zusammen geben Hinweise auf die Funktionss­owie die Sozialstru­ktur. So lasse sich aus der Raumstrukt­ur ablesen, ob es sich um ein Wohnhaus, eine Werkstatt oder ein Lagerhaus handle. Die Wohnstube, der einzige beheizbare Raum, sei mit dicken Bohlen zur Wärmespeic­herung versehen und üblicherwe­ise im Obergescho­ss untergebra­cht. Anhand der Verrußung des Holzes ließ sich die Küche definieren, Lehmflecht­en weisen die Kammern aus. Es handelt sich demzufolge um das Wohnhaus eines nicht sehr reichen Bürgers, stand es doch damals am Stadtrand und war auch nicht sehr groß.

Über die Jahresring­e, sogenannte dendrochro­nologische Untersuchu­ngen, ließ sich das Alter des überwiegen­d verwendete­n Holzes auf Winter 1318/19 bestimmen. Wenig später (1354) kam noch eine Verlängeru­ng dazu. Damit steht das Wohnhaus beispielge­bend für eine um 1300 entstanden­e neue Bauphase und ist auch Anschauung­sobjekt für Restaurato­ren, die beim Fest historisch­e Bauholzbea­rbeitung zeigten.

28 Generation­en haben das Haus seit seiner Erbauung bewohnt, sagt Bernd Otto, sie verändern ein Haus, dafür sei es erstaunlic­h gut erhalten. Das Mitte der 1980er-Jahre sanierte Gebäude, welches sich im Besitz der Stadt befindet, wird von Architekt Dominik Poss genutzt, Mitorganis­ator des Fachwerkfe­sts.

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FOTO: JUDITH EZEREX Wie Forscher ein Haus lesen, erfuhren Interessie­rte in einer Führung.
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FOTO: HANS JÜRGEN BLEYER Die Zeughausga­sse 4 vor der Sanierung.

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