Schwäbische Zeitung (Biberach)
ZF soll Standorte sichern
Betriebsrat fordert Bekenntnis zu deutschen Werken
FRIEDRICHSHAFEN (ben) - ZF-Betriebsratschef Achim Dietrich fordert vom Vorstand Sicherheiten für die deutschen Fabriken des Zulieferers vom Bodensee. Hintergrund ist die sich immer weiter abschwächende Konjunktur in der Autoindustrie.
„Ich erwarte ein Bekenntnis des Vorstands zu den 50 000 Jobs in Deutschland“, sagte Dietrich im Interview mit der „Schwäbischen Zeitung“. „Die Kollegen haben jetzt acht Jahre Vollgas gegeben. Da kann man nicht sagen: Ihr bleibt jetzt alle daheim.“ Anstatt über Kurzarbeit, Entlassungen, Standortschließungen oder Produktionsverlagerungen ins Ausland nachzudenken, habe das Unternehmen die Verpflichtung, die Belegschaft zu qualifizieren, um gerüstet zu sein, wenn die Konjunktur wieder anspringt. Es sei besser, „im Abschwung zu qualifizieren“.
ZF wollte sich inhaltlich nicht zu den Forderungen Dietrichs äußern und verwies darauf, dass die Themen an allen Standorten zuerst intern besprochen werden.
FRIEDRICHSHAFEN - Es ist ein Horrorszenario, das ZF-Betriebsratschef Achim Dietrich zurzeit umtreibt. Die gute Auftragslage in den deutschen Werken des Friedrichshafener Autozulieferers könnte sich in den nächsten Wochen verschlechtern, die Arbeit seiner Kollegen an den Produktionsbändern überall in der Republik weniger werden – und der Traditionskonzern vom Bodensee im Zuge der stockenden Konjunktur erstmals eine Fabrik auf deutschem Boden schließen. Und zugleich muss der oberste Arbeitnehmervertreter des fünftgrößten Zulieferers der Welt vor die deutschen ZF-Arbeiter treten und erklären, warum der Konzern im Ausland investiert, Fabriken baut und Produktionskapazitäten schafft.
Dass das alles theoretische Gedankenspiele sind, daran lässt der Arbeitnehmervertreter keinen Zweifel. „Wir hatten in der Automobilindustrie acht außerordentlich gute Jahre in Deutschland. Wenn sich das jetzt normalisiert, sprechen wir als Betriebsräte nicht von einer Krise, sondern von der Normalität“, sagt Achim Dietrich im Interview mit der „Schwäbischen Zeitung“. „Ich möchte davor warnen, Panik zu verbreiten.“
Doch bei aller Sachlichkeit, der 51-Jährige ist angesichts der Entwicklung seiner Branche beunruhigt. „Die Nervosität ist spürbar, die Anzeichen für eine Stagnation sind sichtbar“, erklärt Dietrich. In Deutschland arbeiten rund 50 000 Menschen für ZF, sie alle verlassen sich darauf, dass der gebürtige Oberschwabe gegenüber Vorstandschef Wolf-Henning Scheider und dessen Team ihre Belange vertritt – und dafür streitet, dass das Horrorszenario nicht Realität wird.
Die Sorgen sind nicht unbegründet, die schlechten Nachrichten in der deutschen und baden-württembergischen Automobilindustrie häufen sich. Da sind die Gewinnwarnungen des Daimler-Konzerns, beim Rivalen Bosch sind Jobs in der Dieselsparte bedroht, der Stuttgarter
Zylinder- und Kolbenhersteller Mahle entlässt Mitarbeiter und schließt ein Werk, in Markdorf geht der Zulieferer Weber in die Insolvenz, in Rietheim-Weilheim verlagert Marquardt Arbeitsplätze ins Ausland. Und auch ZF musste reagieren: Vor drei Wochen korrigierte Finanzchef Konstantin Sauer die Erwartungen für 2019 nach unten. Das Unternehmen strebt nun noch einen Umsatz zwischen 36 und 37 Milliarden Euro an, eine Milliarde weniger als geplant. Die Umsatzrendite werde nur noch zwischen 4,0 und 5,0 Prozent liegen, eigentlich anvisiert waren 5,0 bis 5,5 Prozent.
Angesichts dieser Nachrichten fordert Achim Dietrich ein Bekenntnis von der ZF-Unternehmensführung um Wolf-Henning Scheider. „Ich erwarte, dass der Vorstand ein Bekenntnis abgibt zu allen Standorten“, erklärt Dietrich. Und: „Ich erwarte ein Bekenntnis des Vorstands zu den 50 000 Jobs in Deutschland.“Der Arbeitnehmervertreter hat auch eine klare Vorstellung, wie der Vorstand von ZF dieses Bekenntnis abgeben könnte – und sollte. Sollte ZF mit der Autoindustrie in eine längere und schwerwiegende Krise rutschen, dann muss die Unternehmensführung
Geld in die Hand nehmen und die Zeit der wenigen Arbeit für die Qualifizierung der Mitarbeiter nutzen. „Die Kollegen haben jetzt acht Jahre Vollgas gegeben. Da kann man nicht sagen: Ihr bleibt jetzt alle daheim“, sagt Dietrich. Gerade in Zeiten der Stagnation „brauchen wir die Bereitschaft zum Aufbruch, zur Qualifizierung, zur Fortbildung, zur Innovation, zu Ideen, zu Begeisterung, zu Engagement. Es ist doch besser, im Abschwung zu qualifizieren.“
Vor allem warnt Dietrich den Vorstand davor, in Zeiten der Krise möglicherweise im Ausland Werke zu bauen, wenn an den deutschen Standorten die Arbeit ausgeht. „Es wundert uns schon, dass ZF im Ausland groß investiert. Wozu schaffen wir zusätzliche Kapazitäten, wenn wir die vorhandenen Kapazitäten im Moment nicht voll auslasten“, fragt der Arbeitnehmervertreter – und kündigt an, dass der Betriebsrat ein solches Vorgehen nicht ohne Widerstand hinnehmen werde. „Für uns hört’s aber dann auf, wenn hier einer gehen muss und dort einer an Bord geholt wird“, erklärt Dietrich.
Der Vorstand von ZF wollte sich auf Anfrage der „Schwäbischen Zeitung“
inhaltlich nicht zu den Forderungen des Betriebsrats äußern. „Wie gewohnt werden Themen rund um die Beschäftigung für alle deutschen und internationalen Standorte intern mit allen unseren Partnern besprochen“, sagte ein Sprecher lediglich. „Zur aktuellen wirtschaftlichen Lage und unseren Umsatz- und Gewinnzielen haben wir uns erst unlängst geäußert. Daran hat sich nichts geändert.“
In welcher Atmosphäre die Partner, der Betriebsrat auf der einen und der Vorstand auf der anderen Seite, in den nächsten Monaten miteinander sprechen werden, hängt nicht zuletzt von der konjunkturellen Entwicklung ab. Entspannt sich die wirtschaftliche Lage, entspannt sich auch die Gesprächsatmosphäre der Partner. Und Achim Dietrichs Horrorszenario bleibt ein Gedankenspiel.