Schwäbische Zeitung (Biberach)
Gericht spricht Ärztin in Sterbehilfeprozess frei
Die Angeklagte hat einer stark dementen Frau in den Niederlanden in den Tod geholfen
DEN HAAG (AFP) - Ein niederländisches Gericht hat eine Ärztin im Streit um Sterbehilfe für eine demenzkranke Frau freigesprochen. Alle Vorschriften im Zusammenhang mit der Sterbehilfe-Gesetzgebung in den Niederlanden seien eingehalten worden, sagte die Richterin Mariette Renckens beim Urteilsspruch. Es war der erste Prozess dieser Art in den Niederlanden, seitdem dort am 1. April 2002 Sterbehilfe legalisiert worden war – als erstes Land weltweit. Sie ist allerdings nur dann erlaubt, wenn der Patient den Antrag dafür bei vollem Bewusstsein stellt und unter einer unheilbaren Krankheit und unerträglichen Schmerzen leidet. Jeder Fall muss einzeln von einer Kommission geprüft und genehmigt werden.
Die inzwischen nicht mehr praktizierende Ärztin hatte der 74-jährigen Patientin, die in einem frühen Krankheitsstadium den Wunsch nach Sterbehilfe geäußert hatte, 2016 ein Schlafmittel verabreicht, um den Prozess der Sterbehilfe einzuleiten. Die Frau erwachte während des Vorgangs jedoch noch einmal; Angehörige mussten daraufhin mithelfen, damit die Ärztin die lebensbeendenden Medikamente spritzen konnte. Die Staatsanwaltschaft hatte argumentiert, die Patientin habe es sich womöglich noch einmal anders überlegt, und warf der Medizinerin vor, die 74-Jährige nicht noch einmal intensiv befragt zu haben.
Die Frau hatte 2014 eine Alzheimer-Diagnose erhalten und bereits damals schriftlich festgelegt, dass sie lieber Sterbehilfe erhalten würde, als in eine Pflegeeinrichtung zu kommen. Dem staatlichen Rundfunksender NOS zufolge erklärte sie damals: „Ich möchte selbst entscheiden (wann ich sterbe), solange ich bei Bewusstsein bin, und wenn ich denke, es ist der richtige Zeitpunkt.“Kurz nachdem sie in ein Pflegeheim kam, befand ein auf Altenpflege spezialisierter Arzt, dass sie ihrem Antrag entsprechend zur Sterbehilfe berechtigt war. Zwei unabhängige Ärzte bestätigten dies laut NOS.
Am Tag ihres Todes wurde ihr ein Beruhigungsmittel in den Kaffee getan, das sie bewusstlos werden ließ. Ihre Tochter und ihr Ehemann waren dabei. „Die Frau war in einem Zustand der Verwirrung, und die Ärztin sah keine Möglichkeit, sich mit ihr zu unterhalten“, berichtete NOS über den Fall.
Laut einer Sprecherin der Staatsanwaltschaft ging es insbesondere um die Frage, „wie lange ein Arzt einen Demenzpatienten beraten sollte, wenn der Patient in einem früheren Krankheitsstadium bereits um Sterbehilfe gebeten hat“.
„Wir glauben, dass angesichts der starken Demenz der Patientin die Ärztin ihren Wunsch nach Sterbehilfe nicht noch einmal verifizieren musste“, sagte die Richterin. Der Ärztin sei eine Beurteilung auf Basis eines weiteren Gesprächs nicht mehr möglich gewesen. Die Patientin sei so dement gewesen, dass sie sich sogar „vor ihrem Spiegelbild gefürchtet“habe. Ihr Wunsch nach Sterbehilfe müsse auf der Grundlage ihrer ursprünglichen Erklärung beurteilt werden.