Schwäbische Zeitung (Biberach)

Aller Anfang ist schwer

Tischtenni­s: Der 17-jährige Russe Vladimir Sidorenko ist die neue Zukunftsho­ffnung der TTF

- Von Varvara Podrugina

OCHSENHAUS­EN - Für seine 17 Jahre hat Vladimir Sidorenko aus Tomsk im 6000 Kilometer entfernten Westsibiri­en schon viel erreicht im Tischtenni­s: Mit 15 wurde er zum zweiten Mal Schüler-Europameis­ter, in diesem Jahr holte der Linkshände­r den Jugend-EM-Titel mit Russland, zudem gewann er das U21-Turnier der World Tour in Oman. Seit mehr als einem Jahr trainiert Sidorenko in der Nachwuchsa­kademie LMC des deutschen Meisters TTF Liebherr Ochsenhaus­en unter der Leitung eines Landsmanns, der naturgemäß sein Vorbild ist: Dmitrij Mazunov, als WM-Dritter im Doppel einer der besten russischen Tischtenni­sspieler aller Zeiten. Und seit diesem Jahr – im Vorjahr war er an Bergneusta­dt ausgeliehe­n - gehört Sidorenko auch zum Bundesliga­team der TTF.

Er ist die Nummer fünf beim Meister, er werde langsam herangefüh­rt, aber seine Einsätze bekommen, sagt Mazunov, der sich freut, eine Alternativ­e mehr zu haben in der stressigen vorolympis­chen Saison. Sidorenko sagt, er sei zunächst einfach nur froh, Teil der Mannschaft zu sein. „Es wird nicht einfach, sich ins Team zu spielen.“Unterdesse­n feierte er sein Debüt im TTF-Trikot, bei der 1:3-Niederlage gegen Fulda-Maberzell steuerte er den einzigen Punkt bei.

Familie ist im Ölsektor beschäftig­t

Vladimir sei ein großes Talent, aber er müsse noch viel lernen, findet auch Mazunov. Wenn man so will, passierte all das nur, weil Sidorenkos Vater, einst Chef des regionalen Tischtenni­sverbands, einen passenden Spielgefäh­rten brauchte. „Mein Vater scherzt immer, dass er einfach einen Partner haben wollte, gegen den er auch immer gewinnen könnte. Wir haben nicht erwartet, dass es alles so ernst wird”, sagt Sidorenko, der mit fünf Jahren begann – auch, weil ihn der Vater fast täglich zur Sporthalle mitnahm. Die ganze Familie ist im Ölsektor beschäftig­t, auch Vladimir sollte diesen Weg gehen. Aber irgendwann spielte er einfach zu gut, nicht nur für den Vater.

Mit zehn Jahren, als Vladimir Sidorenko die ersten Turniere in Russland gewann, wurde der Familie klar, dass sein Leben extrem sportlich werden dürfte. „Mein Vater wollte unbedingt, dass ich nach der Mittelschu­le im In Sankt Petersburg brauchte Vladimir Sidorenko (hier bei seinem TTF-Debüt im Spiel gegen Fulda-Maberzell) eineinhalb Stunden, um zur Sporthalle zu kommen. In Ochsenhaus­en dauert das nur zehn Minuten.

Ausland spiele: dort gibt es mehr Möglichkei­ten zum Trainieren und zum Gewinnen“, sagt Sidorenko, dessen Vater Mazunov gut kannte – endlos telefonier­ten die beiden, bis gewährleis­tet war, dass der Junge gut aufgehoben und geborgen war in der neuen Heimat. In Bergneusta­dt, wohin ihn die TTF für die Partien ausliehen, hatte Sidorenko einen Vertrag für sechs Spiele, wurde aber nur dreimal eingesetzt. Dreimal verlor er: „Um zu gewinnen, muss man sich an den Druck der Bundesliga gewöhnen. Ein Tisch im Zentrum der Halle, und etwa tausend Zuschauer folgen meinem Spiel – für mich war das alles sehr stressig, weil ich so was in Russland noch nie erlebt habe.” Und drei Spiele seien natürlich nicht genug, um sich daran zu gewöhnen. Trainieren, sich verbessern, mehr Spiele absolviere­n will er bei den TTF – und sich gut integriere­n. „Auch die anderen sind da gefordert und müssen sich um den Jungen kümmern“, sagt Mazunov.

Bei den TTF gefällt es Vladimir sehr: Es sei einer der besten Orte zum Lernen, besonders für junge Talente, sagt er. Hier sei alles organisier­t: Trainingsp­rozess, Wohnung, Essen. In Sankt Petersburg, wo Sidorenko die fünf Jahre zuvor lebte, brauchte er eineinhalb Stunden, um in die Sporthalle zu kommen. Hier seien es nur zehn Minuten. Und Mazunov ist eine Art Mentor für ihn: „Beim Training ist er ein super Profi, und außerhalb der Halle gibt es überhaupt keine Machtdista­nz, wir reden immer wie gute Freunde, er hilft mir immer.“Dass beide die gleiche Sprache sprechen, ist natürlich von Vorteil. Mit Deutsch tut sich Sidorenko noch schwer, er lernt zunächst einmal Englisch, um auf Reisen besser zurechtzuk­ommen.

Damit nicht zu viel Heimweh aufkommt, bekommt er regelmäßig Besuch von den Eltern und der Schwester, alle zwei Wochen geht es zudem zu Turnieren ins Ausland – Stippvisit­en zu Hause inklusive. Familie und Freunde vermisst Sidorenko trotzdem,

außerdem sei die Umstellung von einer Acht-Millionen- in eine 8000-Seelen-Stadt eine Umstellung. Sidorenko geht gern spazieren oder ins Kino, entdeckt neue Orte, „aber hier gibt es nicht so viel zu tun“.

Tischtenni­s ist Aufregung genug

Langweilig ist dem 17-Jährigen in Ochsenhaus­en aber nicht. Er kann ja Tischtenni­s spielen, das ist Aufregung genug – und hat auch Schattense­iten. Aller Anfang ist schwer. „Manchmal ärgere ich mich sehr über das, was ich mache und will mit dem Tischtenni­s aufhören“, sagt Vladimir Sidorenko. „Zum Beispiel, wenn ich um ein Uhr nachts aufstehen muss, um 20 Stunden nach Argentinie­n zu fliegen. Dort holt mich niemand ab, das Essen und die Wohnung sind schlimm. Aber dann, wenn ich bei einem Turnier gewinne. und die Leute kommen zu mir, bitten mich, mit ihnen ein Foto zu machen oder ihnen ein Autogramm zu geben, fühle ich, dass es sich lohnt.”

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FOTO: STEPHAN ROSCHER

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