Schwäbische Zeitung (Biberach)
Klimabilanz an der Ladenkasse
Welchen Einfluss Konsum auf die Umwelt hat
RAVENSBURG - Kartoffeln aus Ägypten, Zwiebeln aus Italien und Äpfel aus Neuseeland. Alles während der heimischen Erntezeit. Jedes Jahr das neueste Smartphone, zugesichert im Mobilfunkvertrag, und billige Wegwerfmode aus Textildiscountern. Kein Angebot ohne Nachfrage: Das lernt jedes Kind in der Schule. Dabei sagen knapp zwei Drittel der Deutschen, ihnen sei das Thema Nachhaltigkeit wichtig. So das Ergebnis der aktuellen Umweltbewusstseinsstudie des Umweltbundesamts (UBA).
Wem nachhaltiger Konsum tatsächlich wichtig ist, dem sind die Möglichkeiten hinlänglich bekannt: Umweltsiegel für Lebensmittel, Kleidung oder Elektronik geben eine Orientierung bei der Kaufentscheidung. Es gibt faire Modegeschäfte, Biomärkte und umweltverträglichere Alternativen für die gängigen Smartphonemodelle. Plastiktüten kosten im Supermarkt schon länger Geld, wodurch zur Wiederverwendung oder zum Mitbringen eigener Beutel angeregt werden soll. Unverpacktläden verkaufen ihre Waren gleich ganz ohne Verpackung. Und wer auf Wiederverwertung und Langlebigkeit Wert legt, der wird in Second-Hand-Geschäften fündig.
Nachhaltigkeit als Lebensweise
Für den Volkswirt Niko Paech von der Universität Siegen ist die Debatte um nachhaltigen Konsum jedoch Augenwischerei. „Es existieren per se keine nachhaltigen Produkte, sondern nur nachhaltige Lebensführungen“, sagt der Wirtschaftswissenschaftler. Ob ein Lebensstil nachhaltig ist, zeigt sich am ökologischen Fußabdruck. Laut Umweltschutzorganisation WWF bräuchten wir 2,6 Erden, wenn alle so leben würden wie die Deutschen. Vor jeder Kaufentscheidung müsste laut Paech daher die Frage stehen, ob der Gegenstand überhaupt gebraucht wird.
Paech argumentiert dabei nicht mit Verzicht, sondern mit Genügsamkeit. „Unsere Gesellschaft hat jede Disziplin und Tugend verloren, so zu handeln, wie es notwendig wäre.“Ein modernes Leben ohne Konsum sei zwar auch für ihn nicht möglich. Wie bei Medizin, komme es dabei aber auf die richtige Dosis an. Die Erziehung und das Bildungssystem der vergangenen Jahrzehnte hätten zu sehr auf Selbstverwirklichung und Freiheitsdrang gesetzt, sagt Paech. Die Notwendigkeit einer Selbstbegrenzung sei dabei zu kurz gekommen. „Was wir nun erleben, ist eine ökologische Verwahrlosung, die wir als Fortschritt feiern.“
Stefan Kooths, Konjunkturchef des Weltwirtschaftsinstituts in Kiel, widerspricht Paech entschieden: „Wir können und müssen den Menschen nicht vorschreiben, wie sie zu leben und konsumieren haben.“Innovationen und Verbesserungen im Alltag rechtfertigen laut Kooths Eingriffe in unsere Umwelt. Von Leitlinien für umweltschonenden Konsum hält er dagegen nichts. Verbraucher könnten ohnehin nie vollständig einsehen, wie umweltschonend ein Produkt hergestellt wurde. „Da helfen auch oberflächliche Siegel nichts.“
Industrie in der Verantwortung
Kooths plädiert viel mehr für eine Einbindung klimaschädlicher Gase, wie etwa CO2,, in die marktwirtschaftliche Preisgestaltung. Denn das Einzige, was Konsumenten beurteilen könnten, sei der Preis. Firmen, die bei der Herstellung ihrer Produkte mehr CO2 verursachen, müssten demnach mehr dafür zahlen. So würden Produzenten automatisch dazu gezwungen, sparsamer mit Ressourcen umzugehen, sagt Kooths.
Laut Öko Institut aus Freiburg können Konsumenten jedoch mehr fürs Klima tun, als nur über die Preisgestaltung mitzuentscheiden. Nachhaltigkeit könne demnach vieles bedeuten: ein Umstieg auf Ökostrom, häufiger Rad statt Auto zu fahren oder auf die Langlebigkeit und Energiebilanz elektronischer Geräten zu achten. „Jede individuelle Entscheidung, sich klimafreundlicher im Alltag zu verhalten, kann etwas bewirken“, sagt eine Sprecherin des Instituts.
Für den Nachhaltigkeitsforscher Paech muss da differenziert werden. Oftmals kompensierten Konsumenten ihr ökologisches Bewusstsein beim Einkaufen an anderer Stelle. Es bringe nichts, sagt er, im Biomarkt einzukaufen, wenn damit Langstreckenflüge oder das Fahren eines
SUV gerechtfertigt werden. Tatsächlich stagniert die konsumbedingte Ökobilanz in Deutschland laut UBA seit Jahren – trotz steigender Umsätze „grüner“Produkte mit Umweltlabeln.
Reparieren im Kollektiv
Noch klimafreundlicher als grün einkaufen ist das Reparieren alter Gegenstände. Denn besonders bei der Produktion von neuen Smartphones entstehen hohe CO2-Emissionen. Karin Bruker setzt deshalb auf Reparieren statt wegwerfen und neu kaufen. Vor gut vier Jahren hat sie mit ihren Kollegen das erste Repair-Café in Ravensburg eröffnet. Ein Ort, zu dem Menschen mit ihren defekten Haushaltsgeräten, Smartphones oder Tablets kommen können, um sie von ehrenamtlichen Tüftlern reparieren zu lassen. Auch Kleidungsstücke oder Möbel können in den Räumen des Mehrgenerationenhauses der Stiftung Liebenau instand gesetzt werden. Alles finanziert durch freiwillige Spenden.
„Es gibt viele Menschen, die es schade finden, wenn Dinge einfach weggeworfen werden, die man noch reparieren kann“, sagt Bruker. Dafür müssten Dinge jedoch auch so hergestellt werden, dass sie überhaupt repariert werden können, sagt sie mit Blick auf die Industrie. Im Reparaturcafé bieten etwa
30 Helfer an jedem dritten
Samstag im Monat ihre Fähigkeiten an. Dazu gibt es Kaffee und Kuchen.
Die einzigen
Regeln: Die Helfer machen keine Hausbesuche und es werden keine Großgeräte wie etwa Waschmaschinen angenommen.
Energiesektor größter Klimakiller
Laut aktueller Statistik des UBA werden in Deutschland rund 800 Millionen Tonnen CO2-Emissionen im Jahr verursacht. Negativrekord in Europa und Platz 32 der weltweiten ProKopf-Bilanz.
Mit rund 39 Prozent produziert die Energiewirtschaft hierzulande am meisten Kohlenstoffdioxid. Gewerbe und Industrie tragen zu etwa 23 Prozent der CO2-Emissionen bei, Verkehr zu knapp 21 und die privaten Haushalte zu 17 Prozent.
Da das UBA die Emissionen jedoch dort berechnet, wo sie entstehen, sind bei den Haushalten nur Heizen und Kochen mit Gas einbezogen. Strom, Autofahren oder Konsum verursachen an anderer Stelle CO2 und zählen daher nicht zu den anteiligen 17 Prozent der privaten Haushalte. Der tatsächliche CO 2Ausstoß privater Haushalte dürfte entsprechend deutlich höher sein.