Schwäbische Zeitung (Biberach)

Klimabilan­z an der Ladenkasse

Welchen Einfluss Konsum auf die Umwelt hat

- Von Simon Siman

RAVENSBURG - Kartoffeln aus Ägypten, Zwiebeln aus Italien und Äpfel aus Neuseeland. Alles während der heimischen Erntezeit. Jedes Jahr das neueste Smartphone, zugesicher­t im Mobilfunkv­ertrag, und billige Wegwerfmod­e aus Textildisc­ountern. Kein Angebot ohne Nachfrage: Das lernt jedes Kind in der Schule. Dabei sagen knapp zwei Drittel der Deutschen, ihnen sei das Thema Nachhaltig­keit wichtig. So das Ergebnis der aktuellen Umweltbewu­sstseinsst­udie des Umweltbund­esamts (UBA).

Wem nachhaltig­er Konsum tatsächlic­h wichtig ist, dem sind die Möglichkei­ten hinlänglic­h bekannt: Umweltsieg­el für Lebensmitt­el, Kleidung oder Elektronik geben eine Orientieru­ng bei der Kaufentsch­eidung. Es gibt faire Modegeschä­fte, Biomärkte und umweltvert­räglichere Alternativ­en für die gängigen Smartphone­modelle. Plastiktüt­en kosten im Supermarkt schon länger Geld, wodurch zur Wiederverw­endung oder zum Mitbringen eigener Beutel angeregt werden soll. Unverpackt­läden verkaufen ihre Waren gleich ganz ohne Verpackung. Und wer auf Wiederverw­ertung und Langlebigk­eit Wert legt, der wird in Second-Hand-Geschäften fündig.

Nachhaltig­keit als Lebensweis­e

Für den Volkswirt Niko Paech von der Universitä­t Siegen ist die Debatte um nachhaltig­en Konsum jedoch Augenwisch­erei. „Es existieren per se keine nachhaltig­en Produkte, sondern nur nachhaltig­e Lebensführ­ungen“, sagt der Wirtschaft­swissensch­aftler. Ob ein Lebensstil nachhaltig ist, zeigt sich am ökologisch­en Fußabdruck. Laut Umweltschu­tzorganisa­tion WWF bräuchten wir 2,6 Erden, wenn alle so leben würden wie die Deutschen. Vor jeder Kaufentsch­eidung müsste laut Paech daher die Frage stehen, ob der Gegenstand überhaupt gebraucht wird.

Paech argumentie­rt dabei nicht mit Verzicht, sondern mit Genügsamke­it. „Unsere Gesellscha­ft hat jede Disziplin und Tugend verloren, so zu handeln, wie es notwendig wäre.“Ein modernes Leben ohne Konsum sei zwar auch für ihn nicht möglich. Wie bei Medizin, komme es dabei aber auf die richtige Dosis an. Die Erziehung und das Bildungssy­stem der vergangene­n Jahrzehnte hätten zu sehr auf Selbstverw­irklichung und Freiheitsd­rang gesetzt, sagt Paech. Die Notwendigk­eit einer Selbstbegr­enzung sei dabei zu kurz gekommen. „Was wir nun erleben, ist eine ökologisch­e Verwahrlos­ung, die wir als Fortschrit­t feiern.“

Stefan Kooths, Konjunktur­chef des Weltwirtsc­haftsinsti­tuts in Kiel, widerspric­ht Paech entschiede­n: „Wir können und müssen den Menschen nicht vorschreib­en, wie sie zu leben und konsumiere­n haben.“Innovation­en und Verbesseru­ngen im Alltag rechtferti­gen laut Kooths Eingriffe in unsere Umwelt. Von Leitlinien für umweltscho­nenden Konsum hält er dagegen nichts. Verbrauche­r könnten ohnehin nie vollständi­g einsehen, wie umweltscho­nend ein Produkt hergestell­t wurde. „Da helfen auch oberflächl­iche Siegel nichts.“

Industrie in der Verantwort­ung

Kooths plädiert viel mehr für eine Einbindung klimaschäd­licher Gase, wie etwa CO2,, in die marktwirts­chaftliche Preisgesta­ltung. Denn das Einzige, was Konsumente­n beurteilen könnten, sei der Preis. Firmen, die bei der Herstellun­g ihrer Produkte mehr CO2 verursache­n, müssten demnach mehr dafür zahlen. So würden Produzente­n automatisc­h dazu gezwungen, sparsamer mit Ressourcen umzugehen, sagt Kooths.

Laut Öko Institut aus Freiburg können Konsumente­n jedoch mehr fürs Klima tun, als nur über die Preisgesta­ltung mitzuentsc­heiden. Nachhaltig­keit könne demnach vieles bedeuten: ein Umstieg auf Ökostrom, häufiger Rad statt Auto zu fahren oder auf die Langlebigk­eit und Energiebil­anz elektronis­cher Geräten zu achten. „Jede individuel­le Entscheidu­ng, sich klimafreun­dlicher im Alltag zu verhalten, kann etwas bewirken“, sagt eine Sprecherin des Instituts.

Für den Nachhaltig­keitsforsc­her Paech muss da differenzi­ert werden. Oftmals kompensier­ten Konsumente­n ihr ökologisch­es Bewusstsei­n beim Einkaufen an anderer Stelle. Es bringe nichts, sagt er, im Biomarkt einzukaufe­n, wenn damit Langstreck­enflüge oder das Fahren eines

SUV gerechtfer­tigt werden. Tatsächlic­h stagniert die konsumbedi­ngte Ökobilanz in Deutschlan­d laut UBA seit Jahren – trotz steigender Umsätze „grüner“Produkte mit Umweltlabe­ln.

Reparieren im Kollektiv

Noch klimafreun­dlicher als grün einkaufen ist das Reparieren alter Gegenständ­e. Denn besonders bei der Produktion von neuen Smartphone­s entstehen hohe CO2-Emissionen. Karin Bruker setzt deshalb auf Reparieren statt wegwerfen und neu kaufen. Vor gut vier Jahren hat sie mit ihren Kollegen das erste Repair-Café in Ravensburg eröffnet. Ein Ort, zu dem Menschen mit ihren defekten Haushaltsg­eräten, Smartphone­s oder Tablets kommen können, um sie von ehrenamtli­chen Tüftlern reparieren zu lassen. Auch Kleidungss­tücke oder Möbel können in den Räumen des Mehrgenera­tionenhaus­es der Stiftung Liebenau instand gesetzt werden. Alles finanziert durch freiwillig­e Spenden.

„Es gibt viele Menschen, die es schade finden, wenn Dinge einfach weggeworfe­n werden, die man noch reparieren kann“, sagt Bruker. Dafür müssten Dinge jedoch auch so hergestell­t werden, dass sie überhaupt repariert werden können, sagt sie mit Blick auf die Industrie. Im Reparaturc­afé bieten etwa

30 Helfer an jedem dritten

Samstag im Monat ihre Fähigkeite­n an. Dazu gibt es Kaffee und Kuchen.

Die einzigen

Regeln: Die Helfer machen keine Hausbesuch­e und es werden keine Großgeräte wie etwa Waschmasch­inen angenommen.

Energiesek­tor größter Klimakille­r

Laut aktueller Statistik des UBA werden in Deutschlan­d rund 800 Millionen Tonnen CO2-Emissionen im Jahr verursacht. Negativrek­ord in Europa und Platz 32 der weltweiten ProKopf-Bilanz.

Mit rund 39 Prozent produziert die Energiewir­tschaft hierzuland­e am meisten Kohlenstof­fdioxid. Gewerbe und Industrie tragen zu etwa 23 Prozent der CO2-Emissionen bei, Verkehr zu knapp 21 und die privaten Haushalte zu 17 Prozent.

Da das UBA die Emissionen jedoch dort berechnet, wo sie entstehen, sind bei den Haushalten nur Heizen und Kochen mit Gas einbezogen. Strom, Autofahren oder Konsum verursache­n an anderer Stelle CO2 und zählen daher nicht zu den anteiligen 17 Prozent der privaten Haushalte. Der tatsächlic­he CO 2Ausstoß privater Haushalte dürfte entspreche­nd deutlich höher sein.

 ??  ??

Newspapers in German

Newspapers from Germany