Schwäbische Zeitung (Biberach)
Spannung in der SPD vor Auszählung
Am Samstagabend wird klar, welche Duos im Rennen um Parteivorsitz vorn liegen
BERLIN - Im Willy-Brandt-Haus steigt die Spannung. Am Samstag werden alle Stimmen im SPD-Mitgliederentscheid ausgezählt, gegen 18 Uhr soll in der Berliner Parteizentrale das Ergebnis verkündet werden. Dass eines der sechs Duos schon über 50 Prozent erhält, daran glaubt kaum jemand. Als wahrscheinlicher gilt, dass sich die beliebtesten Bewerber abzeichnen und die Basis erneut das Wort bekommt, sich zwischen den ersten beiden Teams bis 29. November zu entscheiden.
Alle Genossen sollten durch dieses sehr aufwendige Verfahren mit seinen 23 Regionalkonferenzen, „eine Hochphase der Demokratie“, wie SPD-Generalsekretär Lars Klingbeil meinte, mitgenommen werden. Doch nicht wenige finden, es sei vielleicht doch ein zu langatmiger Prozess geworden. Und die Beteiligung scheint noch Wünsche offenzulassen. Vor einer Woche hatten von 430 000 SPD-Mitgliedern erst 130 000 ihre Stimmen abgegeben. Beim Mitgliedervotum über die Große Koalition waren es 2018 über 78 Prozent.
Walter-Borjans sehr beliebt
Wer aber hat die Nase vorn? Da gehen die Einschätzungen auseinander. Fast alle Genossen vermuten aber drei Kandidatenteams vorne. Norbert Walter-Borjans und Saskia Esken, Olaf Scholz und Klara Geywitz und Christina Kampmann und Michael Roth.
Finanzminister Olaf Scholz ist der bundesweit prominenteste Kandidat, und es wäre schon eine Demütigung, wenn er nicht in die Stichwahl käme. Bei den Regionalkonferenzen wurden allerdings kritische Fragen an Scholz gestellt, der in Schröders Agenda-Zeiten Generalsekretär der Partei war. Viele haben sich trotzdem über seine Kandidatur gefreut, weil am Anfang überhaupt kein prominenter SPD-Politiker der ersten Reihe ins Rennen gehen wollte. Weder die Ministerpräsidenten Manuela Schwesig, Malu Dreyer oder Stephan Weil noch die beliebte Familienministerin Franziska Giffey.
NorbertWalter-Borjans hatten die wenigsten auf dem Schirm. Er wurde von der baden-württembergischen SPD-Politikerin Saskia Esken geworben. Der Politiker gilt als Robin Hood der Partei, nachdem er als nordrheinwestfälischer Finanzminister Steuer CDs aus der Schweiz gekauft hatte. Die haben 19 Millionen gekostet und dem Staat 7,2 Milliarden eingebracht, freut sich Walter-Borjans heute noch.
Juso-Chef Kevin Kühnert hat für Walter-Borjans geworben; der nordrhein-westfälische Landesvorstand hat sich mit seinen 40 Stimmen einstimmig hinter Walter-Borjans gestellt – und damit die anderen Paarungen aus dem Land, Karl Lauterbach und Nina Scheer sowie Michael Roth und Christina Kampmann, vor den Kopf gestoßen. Roth und Kampmann sind das jüngste Duo, das an die Spitze will, sie führen einen sehr modernen Wahlkampf und treten als Paar auf Augenhöhe auf. Die frühere Düsseldorfer Familienministerin Kampmann und der Staatssekretär im Auswärtigen Amt, Michael Roth, erhielten bei den Regionalkonferenzen viel Beifall.
Die Urgesteine
Auch der Parteilinke Ralf Stegner und die frühere Präsidentschaftskandidatin Gesine Schwan konnten in diesen Konferenzen punkten, sie gelten als SPD-Urgesteine und als glaubwürdige, wenn auch sehr spezielle Persönlichkeiten. Boris Pistorius, der niedersächsische Innenminister und die sächsische Integrationsministerin Petra Köpping sind dagegen ein eher traditionelles Duo.
Schon vor der Wahl einen Rückzieher hatten Simone Lange und Alexander Ahrens gemacht und auch Karl-Heinz Brunner als Einzelkandidat. Sehr spät zogen auch Hilde Mattheis und Dierk Hirschel sich zurück, um für andere linke Teams Platz zu machen. Für wen, verrieten sie allerdings nicht.