Schwäbische Zeitung (Biberach)
Der Impfstoff gegen Egoismus
In Zeiten wie diesen hilft nur Solidarität
Solidarität. Ein viel genutztes Wort dieser Tage. Der Duden definiert den Begriff zwischen „Zusammengehörigkeitsgefühl“und „unbedingtem Zusammenhalten“, als ein „Eintreten füreinander“zur Erreichung „gleicher Ziele“.
Niemand kann bestreiten, dass es genau darum nun geht. Dass also die Solidarität der Kitt ist, der unsere Gesellschaft zusammenhält, während das Unsichtbare auseinanderreißt und trennt: krank von gesund, alt von jung, Bruder von Schwester, Eltern von Kindern, Nachbarn von Nachbarn, Freunden von Freunden und Staaten von Staaten.
Das Virus zwingt zur Abschottung, zur Distanz zwischen den Menschen. Die Herausforderung heißt nicht mehr nur SARS-CoV-2 allein, sondern „Social Distancing“.
Es ist diese Pflicht zur „sozialen Distanzierung“, die Gesellschaften nun herausfordert - und auf die viele Menschen mit Solidarität antworten.
Es bilden sich wie selbstverständlich lokale Hilfsgruppen, die jene unterstützen, die das Virus am meisten bedroht und betrifft: Ältere und Eltern. Solidarität von Einkaufen bis Kinderbetreuung.
Die „Schwäbische Zeitung“unterstützt dieses zivilgesellschaftliche Engagement mit der Aktion „Schwäbische bringt zusammen“. Solidarität als Impfstoff gegen Egoismus.
Jedoch gilt das nicht für alle. Viele Menschen, auch das zeigen die vergangenen Tage, haben eine unnatürliche Grundimmunität gegen Vernunft und Empathie entwickelt.
In den sozialen Medien schmücken sie zwar ihre Namen mit pathetischen Spruch-Schablonen, weil das nur einen Klick erfordert, aber viele Likes bringt - Solidarität zum Nulltarif. Doch im Supermarkt kaufen sie die Regale leer, als würden Nudelbauern massiven Ernteausfall erwarten und der Künstler Banksy das Klopapier handsignieren.
Solche Menschen glauben weniger an die Wirkkraft von Selbstlosigkeit und Solidarität, als an die Wahrhaftigkeit einer Zombie-Apokalypse. Auf Facebook gab's da ja schließlich so ein Video.
Und deshalb überversorgen sie sich mit all dem, was anderen nun fehlt. Jenen, die nicht nur an sich selbst denken, sondern auch an die Risikogruppe in der Nachbarschaft: „Tut mir leid, Frau Weber, ich habe heute kein Klopapier für Sie, die Deppen waren wieder schneller.“
Man mag sich gar nicht ausmalen, wie viel Haushaltsgeld gerade von Unmengen an 3- und 4-Lagigem wegen akuter asozialer Diarrhö aufgesogen wird.
Bei einem so offensichtlichen Mangel an Sozialkompetenz wird man auf diese Menschen nicht zählen können, wenn es nun schon sehr bald darum geht, sich nicht nur mit den medizinischen Risikogruppen solidarisch zu zeigen, sondern auch mit den ökonomischen.
Gerade hier bei uns im ländlichen Raum, wo sich die Menschen in der Regel nah sind - wenn die Ausnahme sie nicht gerade daran hindert.
Solidarität kann gegenwärtig in viele Bereiche des alltäglichen Lebens hineinwirken, so auch als Unterstützung für die zahlreichen Menschen, die trotz eines historischen Hilfspakets der Bundesregierung um ihre Existenzen bangen.
Das Ticket für die Kleinkunstbühne etwa, die Vorauszahlung für die Musiklehrerin, der Auftrag für den Handwerker, der Beitrag für den Sportverein, selbst das MonatsAbo für das lokale Fitnessstudio. In der Gemeinschaft der Gemeinden sollte Solidarität nicht am eigenen Geldbeutel enden.
Denn werden nun gleich Verträge gekündigt, Ticketpreise zurückgefordert und Monatsbeiträge eingefroren, weil man das alles gerade ja nicht nutzen kann, dann kann man es später vielleicht nie wieder nutzen. Dann gibt es nach der Krise keine Kleinkunstbühne mehr, keinen Musikunterricht und auch kein Fitnessstudio.
Gleiches gilt für die Gastronomie. Man könnte sich nach der Krise vornehmen, ein- oder zweimal mehr im Monat ins Restaurant, das Café oder die Bar zu gehen. Wenn die Lokalitäten die Krise denn überleben.
Natürlich, nicht jeder kann sich das leisten - aber sehr viele eben doch. Und schließlich werden bei Hamsterkäufen bisweilen Unsummen in Unsinn investiert, die locker einen Kabarettabend finanzieren könnten. Auch einen, den man nie besuchen wird.
Solidarität bedeutet dieser Tage also auch einmaligen Verzicht, um nicht vielleicht dauerhaft verzichten zu müssen. Ein finanzielles Opfer zum Erhalt einer ländlich-sozialen und kulturellen Infrastruktur.
Es geht eben nicht darum, dass ein jeder nun zusehen muss, wo er gegenwärtig bleibt. Es geht darum, dass wir alle nicht zusehen wollen, wie zukünftig vieles aus unserer Mitte verschwindet.
Was wäre das doch für eine gesellschaftliche Leistung, mit der nun Leistungen erbracht würden, für die es gerade keine Gegenleistung geben kann?
Es wäre eine Antwort auf die Krise. Es wäre Solidarität.