Schwäbische Zeitung (Biberach)
Empörung über Deichmann, Mediamarkt und Co.
Politiker der Regierungskoalition kritisieren vermeintliche Aussetzung von Mietzahlungen – Sportartikelhersteller Adidas weist Vorwürfe zurück
BERLIN/RAVENSBURG - Das kleine Restaurant um die Ecke zahlt mit Mühe weiter seine Miete, während Großkonzerne auf die Möglichkeit reagieren, Mietzahlungen in der Pandemie-Krise hinauszuzögern: Nach entsprechenden Ankündigungen in der vergangenen Woche schlug Unternehmen wie Adidas, H&M, Mediamarkt, Deichmann, Marc O‘Polo oder Puma am Wochenende Empörung entgegen. Politiker geißelten das Verhalten der Großunternehmen als unsolidarisch, Kunden drohten mit Boykott. „Wenn jetzt finanzstarke Unternehmen einfach ihre Mieten nicht mehr zahlen, ist dies unanständig und nicht akzeptabel“, sagte Bundesjustizministerin Christine Lambrecht (SPD). Die Regel gelte nur für Unternehmen, die sich wirklich in Zahlungsschwierigkeiten befinden.
Gesprochen hatte die SPD-Politikerin aber offenbar mit keinem der angegriffenen Unternehmen, die den Vorwurf zurückweisen und sich verteidigen. „Es geht uns nicht darum, die Miete für den April nicht zu bezahlen. Es geht lediglich um eine Stundung“, sagte Adidas-Kommunikationschef Jan Runau der „Schwäbischen Zeitung“. Zudem sei das Unternehmen
mit seinen Vermietern in engem Austausch. „Unsere Vermieter, große Immobilienvermarkter und Versicherungsfonds, haben für diese Maßnahme überwiegend Verständnis gezeigt“, erklärt Runau weiter. „Privatpersonen sind von dieser
Stundung ausgenommen und erhalten ihre April-Miete wie gewohnt.“Die Corona-Krise habe weite Teile der Wirtschaft lahmlegt. Auch Adidas sei davon stark betroffen. „Die Stundung der Miete ist nur eine von vielen Maßnahmen, die wir vorsorglich zum Schutz des Unternehmens und seiner 60 000 Mitarbeiter ergreifen müssen.“Auch Deichmann betonte, nur die „finanzielle Handlungsfähigkeit“des Unternehmens erhalten zu wollen.
Klar ist eines: Das Mieterschutzgesetz, das die Regierung in der vergangenen Woche im Rahmen der Corona-Hilfen auf den Weg gebracht hat, sieht im Wortlaut nur eine „Beschränkung der Kündigung“durch den Vermieter vor, keinen landesweiten Mietaufschub für alle Betroffenen. „Die Pflicht des Mieters oder Pächters zur fristgerechten Zahlung bleibt auch in dieser Zeit bestehen“, wie die Bundesregierung klargestellt hatte. Die Vermieter können die Geschäftsinhaber bloß nicht mehr so leicht hinauswerfen, wenn sie in Verzug geraten. Es geht also um den Fall, dass der Mieter so stark in Not gerät, dass er einen Monat später überweisen muss, weil er sonst komplett zahlungsunfähig wird. Außerdem müssen die Betroffenen nachweisen, dass ihre Probleme an der Pandemie liegen.
Nach Informationen der „Schwäbischen Zeitung“aus Branchenkreisen war es bei einigen Unternehmen auch der Fall, dass nicht sie als Mieter ein Aussetzen oder eine Stundung der Miete angefragt haben, sondern vielmehr der Vermieter auf die Unternehmen zugekommen ist. Hintergrund ist, dass Unternehmen wie H&M, Mediamarkt oder Deichmann in Einkaufszentren wichtige Ankermieter sind, die die Vermieter unbedingt halten wollen und deshalb Vergünstigungen anbieten.
Die Stundung einer Monatsmiete hilft den Finanzabteilungen von Großunternehmen immens. H&M betreibt in Deutschland 670 Filialen. Da kommt unterm Strich einiges an Miete zusammen. Und ein Aufschub für Zahlungen wirkt auch in normalen Zeiten günstig auf das laufende Verhältnis von Kapitalkosten, Einnahmen und Ausgaben. Wenn die Einnahmen wegbrechen, gilt das natürlich ganz besonders. Anders gesehen: Ein Mietaufschub wirkt so wie ein unfreiwilliges Darlehen des Vermieters an seinen Mieter.
Ökonomen befürchten erhebliche Folgeeffekte, wenn jetzt alle plötzlich ihre Miete zwei Monate später zahlen – schließlich geht die Krise an niemandem spurlos vorbei. Auch die Betreiber von Gewerbeimmobilien sind wichtige Wirtschaftsakteure, die auf Einnahmen angewiesen sind. Wenn ein Shopping-Zentrum mit Krediten finanziert ist und jetzt die Einnahmen ausbleiben, dann kann der Betreiber seinerseits seine Raten nicht zahlen. Wenn so etwas vielfach geschieht, bringt es die Banken in Bedrängnis.
Die Regierung betonte am Wochenende: Wer noch irgendwie zahlen kann, soll seinen Verpflichtungen nachkommen und Kompromisse suchen. Das haben Unternehmen wie Adidas nach eigenen Angaben getan – auch wenn das einige Politiker der Regierungskoalition, die das Gesetz verabschiedet haben, nicht wahrgenommen haben und betont empört reagierten. „Ich bin der Meinung, dass wir unser Gesetz nicht dafür beschlossen haben, dass sich Dax-Konzerne schadlos halten“, sagt der 38jährige SPD-Bundestagsabgeordnete Florian Post in einem Video, das er am Samstagabend auf Twitter gestellt hat. Darin verbrannte er symbolisch ein T-Shirt des Sportartikelherstellers. „Ich werde keine AdidasSachen mehr tragen.“Zuvor hatte sich CSU-Verkehrsminister Andreas Scheuer „sehr enttäuscht“gezeigt. Das Schlagwort #NieWiederAdidas ist am Wochenende in den sozialen Medien oft zu lesen gewesen.