Schwäbische Zeitung (Biberach)
Feuerprobe für Europas Green Deal
Klimaschutz könnte unter der Corona-Krise leiden
BRÜSSEL/BERLIN (dpa) - Doch, doch, versichert dieser Tage tapfer die EU-Kommission, man arbeite trotz Corona-Krise weiter am Green Deal. Der Plan für ein klimaneutrales Europa 2050 ist das zentrale Projekt von Kommissionschefin Ursula von der Leyen. Doch es ist längst nicht ausgemacht, ob die Viruskrise den Klimaschutz voranbringt oder lähmt.
„Europa sollte den Green Deal jetzt vergessen und sich stattdessen auf das Coronavirus konzentrieren“, verlangt der tschechische Ministerpräsident Andrej Babis. Für die polnische Regierung fordert Vizeminister Janusz Kowalski Ausnahmen beim Emissionshandel, um Geld für den Kampf gegen die Corona-Krise freizumachen.
In Deutschland gibt es ähnliche Angriffe auf die Klimaschutzpläne der schwarz-roten Koalition, die sich bereits hinter das europäische Ziel gestellt hat. FDP-Politiker fordern, die Erhöhung der Flugticketsteuer und die für 2021 geplante Einführung des CO2-Preises auf Sprit und Heizöl aufzuschieben und begründen das mit der Corona-Krise. Sie waren freilich schon immer dagegen.
Andererseits schafft der Kampf gegen das Virus täglich Fakten – auch für den Ausstoß an Treibhausgasen. Wenn Autos stillstehen, fast keine Flüge mehr gehen, Unternehmen weniger produzieren, hat das Folgen. Die Denkfabrik Agora Energiewende rechnet kurzfristig mit einem massiven Rückgang bei den deutschen CO2-Emissionen: zwischen 50 und 120 Millionen Tonnen weniger Treibhausgase.
Das eigentlich schon abgeschriebene deutsche Klimaziel, in diesem Jahr 40 Prozent Kohlendioxid weniger auszustoßen als 1990, scheint wieder erreichbar. Wie stark die Emissionen langfristig sinken, lasse sich aber noch nicht abschätzen, erklärt das Umweltministerium: „In der aktuellen Lage einen ,Gewinn‘ für den Klimaschutz zu sehen, wäre falsch und zynisch“. Es helfe nichts, wenn Emissionen kurzfristig mit der Konjunktur einbrechen, dann aber wieder nach oben schnellten.
Die Klimaexperten des Wuppertal-Instituts plädieren deshalb dafür, beide Krisen gemeinsam zu sehen und die Gegenmaßnahmen zu verknüpfen. Wirtschaftshilfen und Konjunkturprogramme seien sinnvoll, schreiben die Professoren Manfred Fischedick und Uwe Schneidewind. „Sie dürfen aber nicht nach dem Gießkannenprinzip verteilt werden. Finanzielle Unterstützung muss zukunftsgerichtet für dringend notwendige Investitionen erfolgen.“Will sagen: grüne Investitionen.
Die langfristige Umstellung etwa der Stahlindustrie auf klimafreundliche Produktion, abgasarme Autos, neue Heizungen – all das hat sich durch Corona ja nicht erledigt. Umweltschützer mahnen fast täglich, die Konjunkturprogramme „grün“zu gestalten. Nicht die kurzfristigen Hilfen, die Unternehmen vor der Pleite retten sollen, aber das, was danach kommt – Anreize, um die Wirtschaft wieder auf Trab zu bringen. So warnt die Agora Energiewende: Wenn Investitionen in klimafreundliche Technologien und Ökostrom ausbleiben, schade die Krise dem Klima mehr, als sie vielleicht kurzfristig bringe.
Praktisch lahmt die Klimapolitik vorerst sowohl in Berlin als auch in Brüssel. Die deutsche Arbeitsgruppe zum Ökostrom-Ausbau kommt im Schatten der Pandemie im Streit über Mindestabstände für Windräder nicht ins Arbeiten. In Brüssel tagen Europaparlament und Ministerräte nur in Notformaten. Selbst die EU-Kommission musste zugeben, dass sich die Prioritäten in diesen Tagen verschoben haben.