Schwäbische Zeitung (Biberach)
In der Krise wird gepuzzelt
Weshalb die hohe Spielenachfrage bei Ravensburger und anderen Herstellern nicht nur für Freude sorgt
RAVENSBURG - In der Krise wird gepuzzelt: Der Spielehersteller Ravensburger verzeichnet in der CoronaPandemie eine erhöhte Nachfrage nach Spielen, insbesondere Puzzels. „Die Nachfrage steigt sehr stark“, sagt Unternehmenschef Clemens Maier im Gespräch mit der „Schwäbischen Zeitung“. „Die Leute verbringen mehr Zeit zu Hause und haben da das Puzzeln wiederentdeckt.“
Schon im vergangenen Jahr hatte der Konzern in dieser Spielwarenkategorie ein Umsatzplus von 20 Prozent verzeichnet. „Dieser Trend wird nun durch die schwierige Situation verstärkt“, sagt Maier. In Produktion und Logistik arbeite das Unternehmen derzeit auf einem Level wie sonst zur Hochsaison vor Weihnachten. „Die Nachfrage in unserem Onlineshop hat sich verfünffacht im Vergleich zum gleichen Zeitraum im Vorjahr“, sagt Maier. Gefragt seien vor allem Erwachsenenpuzzles und dort die klassischen 1000-Teile-Produkte.
Auch andere Spielehersteller spüren eine steigende Nachfrage. „Laut den Marktdaten haben sich die Absätze für Puzzles verdoppelt bis verdreifacht“, teilt etwa Revell mit. Auch die Plastikmodellbausätze des Unternehmens seien derzeit sehr gefragt. Das deckt sich mit den Erfahrungen von Lego. „In den vergangenen Wochen haben wir einen Anstieg an Besuchern auf unserer Website verzeichnen können. Daneben sind auch die Online-Bestellungen angestiegen“, teilt eine Sprecherin des dänischen Steinchenherstellers Lego auf Anfrage der „Schwäbischen Zeitung“mit. Genaue Zahlen könne sie zum jetzigen Zeitpunkt aber noch nicht nennen. Da nach Schätzungen der Unesco derzeit weltweit mehr als 80 Prozent aller Kinder nicht zur Schule gehen könnten, stünden Eltern vor der Herausforderung, Kinderbetreuung, berufliche Anforderungen und Schularbeiten zu Hause unter einen Hut zu bekommen. „Wir sind davon überzeugt, dass Kinder durch und beim Spielen lernen – daher arbeiten wir intensiv daran, auch in der aktuellen Situation Kinder beim Spielen zu inspirieren und gleichzeitig Eltern zu entlasten.“
So sieht es auch Axel Kaldenhoven, Geschäftsführer von Schmidt Spiele in Berlin:
„Brett- und Kartenspiele, aber auch Puzzles und Kreativbeschäftigungen haben in dieser fordernden Zeit eine besondere Bedeutung für die Gesellschaft.“Insbesondere in angespannten Situationen in Familien und Wohngemeinschaften, die derzeit rund um die Uhr zusammen sind, seien Spiele eine gute Form, um Streitigkeiten und Langeweile entgegenzuwirken. Es sind vor allem Hersteller von Brett- und Gesellschaftsspielen, die aktuell von der hohen Nachfrage profitieren. „Ich bekomme von allen Seiten Rückmeldungen in diese Richtung“, sagt Hermann Hutter, Vorsitzender des Branchenverbandes Spieleverlage. Andere Spielwarenunternehmen hätten hingegen durchaus mit der Krise zu kämpfen und ihre Mitarbeiter teilweise in Kurzarbeit geschickt, erklärt Gerda Schwab, Sprecherin des
Clemens Maier, Vorstandsvorsitzender Ravensburger
Deutschen Verbands der Spielwarenindustrie. Gründe seien etwa Lieferengpässe bei Materialien oder fehlende Infrastrukturen für den Onlinevertrieb, da der Spielwarenhandel, Buchhandel und Kauf- und Warenhäuser seit zwei Wochen geschlossen sind.
Probleme, die auch bei Ravensburger bekannt sind. Trotz der hohen Nachfrage nach Puzzles sei es sehr schwer, dieser auch gerecht zu werden, sagt Firmenchef Maier. Zum einen kämpft Ravensburger mit Unsicherheiten bei der Zulieferung von Rohmaterialien wie Pappe. „Da stellt sich permanent die Frage, ob die Lieferanten noch produzieren können, ob die Produkte logistisch den Weg zu uns finden oder ob es Engpässe gibt“, sagt Maier. Zum anderen sind die Vertriebskanäle des Unternehmens darauf ausgerichtet, die Produkte über den stationären Handel abzusetzen. „Wir arbeiten zu einem erheblichen Teil mit dem Handel, deshalb werden wir Einbußen haben, die sehr weh tun werden“, sagt Maier. „Das ist also insgesamt kein positives Szenario für uns.“
Im Gegensatz zu kleineren Spieleverlagen verfügt Ravensburger immerhin über einen eigenen Onlineshop. Der Anteil des Internetgeschäfts am Umsatz von Ravensburger liege bei 30 Prozent, teilt das Unternehmen mit. Doch auch hier müssen sich Kunden aufgrund der Produktionsengpässe auf eine Lieferzeit von rund einer Woche einstellen.
Man versuche jetzt die direkten Geschäfte und das Geschäft mit den Läden, die noch geöffnet sind, wie Drogerien beispielsweise, zu forcieren und so die Einbußen zum Teil auszugleichen. „Das geht aber beim Direktversand nur zum Teil, weil wir auch nicht in allen Ländern für den Direktversand ausgerüstet sind“, sagt Maier. Zwei Drittel seiner Spielwarenumsätze tätigt das Unternehmen im Ausland. Besonders Nordamerika ist ein starker Wachstumsmarkt. Im vergangenen Jahr hatte das oberschwäbische Traditionsunternehmen, das rund 2200 Mitarbeiter beschäftigt, mit 542 Millionen Euro noch den höchsten Umsatz seiner Geschichte erzielt, eine Steigerung von 6,7 Prozent im Vergleich zum Vorjahr.
Im Moment müsse das Unternehmen aber erst einmal auf Sicht fahren. „Alles verändert sich sehr dynamisch“, sagt Maier. Man sei gut ins Jahr gestartet, gehe aber davon aus, dass der Umsatz im April stark runtergehen wird. „Alles hängt davon ab, ob das Weihnachtsgeschäft gut verlaufen wird, aber davon gehen wir erst einmal aus.“
Auch Spieleverlage-Vorsitzender Hermann Hutter spekuliert auf eine langfristige Wirkung des aktuellen Booms. „Ich hoffe, dass die Menschen, die sich jetzt wieder mit Spielen und Puzzlen beschäftigen, sich auch dann noch an die positiven Erlebnisse erinnern, wenn der normale Alltag wieder einsetzt.“
„Die Nachfrage in unserem Onlineshop hat sich verfünffacht.“