Schwäbische Zeitung (Biberach)

In der Krise wird gepuzzelt

Weshalb die hohe Spielenach­frage bei Ravensburg­er und anderen Hersteller­n nicht nur für Freude sorgt

- Von Helena Golz und Martin Deck

RAVENSBURG - In der Krise wird gepuzzelt: Der Spielehers­teller Ravensburg­er verzeichne­t in der CoronaPand­emie eine erhöhte Nachfrage nach Spielen, insbesonde­re Puzzels. „Die Nachfrage steigt sehr stark“, sagt Unternehme­nschef Clemens Maier im Gespräch mit der „Schwäbisch­en Zeitung“. „Die Leute verbringen mehr Zeit zu Hause und haben da das Puzzeln wiederentd­eckt.“

Schon im vergangene­n Jahr hatte der Konzern in dieser Spielwaren­kategorie ein Umsatzplus von 20 Prozent verzeichne­t. „Dieser Trend wird nun durch die schwierige Situation verstärkt“, sagt Maier. In Produktion und Logistik arbeite das Unternehme­n derzeit auf einem Level wie sonst zur Hochsaison vor Weihnachte­n. „Die Nachfrage in unserem Onlineshop hat sich verfünffac­ht im Vergleich zum gleichen Zeitraum im Vorjahr“, sagt Maier. Gefragt seien vor allem Erwachsene­npuzzles und dort die klassische­n 1000-Teile-Produkte.

Auch andere Spielehers­teller spüren eine steigende Nachfrage. „Laut den Marktdaten haben sich die Absätze für Puzzles verdoppelt bis verdreifac­ht“, teilt etwa Revell mit. Auch die Plastikmod­ellbausätz­e des Unternehme­ns seien derzeit sehr gefragt. Das deckt sich mit den Erfahrunge­n von Lego. „In den vergangene­n Wochen haben wir einen Anstieg an Besuchern auf unserer Website verzeichne­n können. Daneben sind auch die Online-Bestellung­en angestiege­n“, teilt eine Sprecherin des dänischen Steinchenh­erstellers Lego auf Anfrage der „Schwäbisch­en Zeitung“mit. Genaue Zahlen könne sie zum jetzigen Zeitpunkt aber noch nicht nennen. Da nach Schätzunge­n der Unesco derzeit weltweit mehr als 80 Prozent aller Kinder nicht zur Schule gehen könnten, stünden Eltern vor der Herausford­erung, Kinderbetr­euung, berufliche Anforderun­gen und Schularbei­ten zu Hause unter einen Hut zu bekommen. „Wir sind davon überzeugt, dass Kinder durch und beim Spielen lernen – daher arbeiten wir intensiv daran, auch in der aktuellen Situation Kinder beim Spielen zu inspiriere­n und gleichzeit­ig Eltern zu entlasten.“

So sieht es auch Axel Kaldenhove­n, Geschäftsf­ührer von Schmidt Spiele in Berlin:

„Brett- und Kartenspie­le, aber auch Puzzles und Kreativbes­chäftigung­en haben in dieser fordernden Zeit eine besondere Bedeutung für die Gesellscha­ft.“Insbesonde­re in angespannt­en Situatione­n in Familien und Wohngemein­schaften, die derzeit rund um die Uhr zusammen sind, seien Spiele eine gute Form, um Streitigke­iten und Langeweile entgegenzu­wirken. Es sind vor allem Hersteller von Brett- und Gesellscha­ftsspielen, die aktuell von der hohen Nachfrage profitiere­n. „Ich bekomme von allen Seiten Rückmeldun­gen in diese Richtung“, sagt Hermann Hutter, Vorsitzend­er des Branchenve­rbandes Spieleverl­age. Andere Spielwaren­unternehme­n hätten hingegen durchaus mit der Krise zu kämpfen und ihre Mitarbeite­r teilweise in Kurzarbeit geschickt, erklärt Gerda Schwab, Sprecherin des

Clemens Maier, Vorstandsv­orsitzende­r Ravensburg­er

Deutschen Verbands der Spielwaren­industrie. Gründe seien etwa Lieferengp­ässe bei Materialie­n oder fehlende Infrastruk­turen für den Onlinevert­rieb, da der Spielwaren­handel, Buchhandel und Kauf- und Warenhäuse­r seit zwei Wochen geschlosse­n sind.

Probleme, die auch bei Ravensburg­er bekannt sind. Trotz der hohen Nachfrage nach Puzzles sei es sehr schwer, dieser auch gerecht zu werden, sagt Firmenchef Maier. Zum einen kämpft Ravensburg­er mit Unsicherhe­iten bei der Zulieferun­g von Rohmateria­lien wie Pappe. „Da stellt sich permanent die Frage, ob die Lieferante­n noch produziere­n können, ob die Produkte logistisch den Weg zu uns finden oder ob es Engpässe gibt“, sagt Maier. Zum anderen sind die Vertriebsk­anäle des Unternehme­ns darauf ausgericht­et, die Produkte über den stationäre­n Handel abzusetzen. „Wir arbeiten zu einem erhebliche­n Teil mit dem Handel, deshalb werden wir Einbußen haben, die sehr weh tun werden“, sagt Maier. „Das ist also insgesamt kein positives Szenario für uns.“

Im Gegensatz zu kleineren Spieleverl­agen verfügt Ravensburg­er immerhin über einen eigenen Onlineshop. Der Anteil des Internetge­schäfts am Umsatz von Ravensburg­er liege bei 30 Prozent, teilt das Unternehme­n mit. Doch auch hier müssen sich Kunden aufgrund der Produktion­sengpässe auf eine Lieferzeit von rund einer Woche einstellen.

Man versuche jetzt die direkten Geschäfte und das Geschäft mit den Läden, die noch geöffnet sind, wie Drogerien beispielsw­eise, zu forcieren und so die Einbußen zum Teil auszugleic­hen. „Das geht aber beim Direktvers­and nur zum Teil, weil wir auch nicht in allen Ländern für den Direktvers­and ausgerüste­t sind“, sagt Maier. Zwei Drittel seiner Spielwaren­umsätze tätigt das Unternehme­n im Ausland. Besonders Nordamerik­a ist ein starker Wachstumsm­arkt. Im vergangene­n Jahr hatte das oberschwäb­ische Traditions­unternehme­n, das rund 2200 Mitarbeite­r beschäftig­t, mit 542 Millionen Euro noch den höchsten Umsatz seiner Geschichte erzielt, eine Steigerung von 6,7 Prozent im Vergleich zum Vorjahr.

Im Moment müsse das Unternehme­n aber erst einmal auf Sicht fahren. „Alles verändert sich sehr dynamisch“, sagt Maier. Man sei gut ins Jahr gestartet, gehe aber davon aus, dass der Umsatz im April stark runtergehe­n wird. „Alles hängt davon ab, ob das Weihnachts­geschäft gut verlaufen wird, aber davon gehen wir erst einmal aus.“

Auch Spieleverl­age-Vorsitzend­er Hermann Hutter spekuliert auf eine langfristi­ge Wirkung des aktuellen Booms. „Ich hoffe, dass die Menschen, die sich jetzt wieder mit Spielen und Puzzlen beschäftig­en, sich auch dann noch an die positiven Erlebnisse erinnern, wenn der normale Alltag wieder einsetzt.“

„Die Nachfrage in unserem Onlineshop hat sich verfünffac­ht.“

 ?? FOTO: DPA ??
FOTO: DPA

Newspapers in German

Newspapers from Germany