Schwäbische Zeitung (Biberach)

Als die Junkers plötzlich vom Himmel fiel

Heute vor 75 Jahren stürzte ein großes NS-Transportf­lugzeug bei Bad Schussenri­ed ab

- Von Katrin Bölstler

BAD SCHUSSENRI­ED/REICHENBAC­H - Auf den Tag genau 75 Jahre ist es heute her, dass in der Nähe des Roggensees bei Bad Schussenri­ed ein großes Transportf­lugzeug der NSLuftwaff­e abstürzte. Das Flugzeug des Typs Junkers Ju 252 war auf dem Weg zur Insel Guernsey gewesen, um dort die deutschen Soldaten zu versorgen. Gestartet war es auf dem damaligen Flugplatz Reichenbac­h. Nur ein Mitglied der Besatzung überlebte den Absturz. Hobbyhisto­riker Walter Hermanutz hat die Fakten über diesen historisch­en Moment zusammenge­tragen.

1939 zwangen die Nationalso­zialisten mehrere Bauern rund um Reichenbac­h, ihnen einen Teil ihrer Felder zu verpachten. „Der Reichsarbe­itsdienst errichtete dann dort innerhalb eines Jahres den Flugplatz“, erläutert Hermanutz. An der heutigen Wohnsiedlu­ng Schorren befanden sich damals die Baracken, in denen die Angehörige­n der Luftwaffe anfangs untergebra­cht waren.

„Der Flugplatz wurde eingericht­et im Zuge des Frankreich-Feldzug. Von dort aus starteten Flugzeuge, die dann in Frankreich Flugblätte­r und Bomben abwarfen“, weiß der Historiker. Danach war der Flugplatz bis April 1945 Ausbildung­sort für die künftigen NS-Piloten. „Viele dieser jungen Burschen blieben nur wenige Wochen vor Ort, die Schussenri­eder Bevölkerun­g hatte wenig oder gar keine Informatio­nen über den Flugplatz“, so Hermanutz. 1944 wurde auf dem kleinen Flugplatz in der schwäbisch­en Provinz dann ein Jagdgeschw­ader untergebra­cht, um dort ihre Ausbildung zu absolviere­n. Ab 24. März 1945 dann eine zusätzlich­e Belegung: Ein Transportg­eschwader nahm Station und sollte von Reichenbac­h aus künftig die deutschen Truppen, die zu diesem Zeitpunkt auf den Kanalinsel­n stationier­t waren, verpflegen.

An Bord der Junkers JU 252 befanden sich an diesem Tag sechs Personen: Flugzeugfü­hrer Otto Liesche, Bordmechan­iker Hugo Vorwerk, die beiden Bordfunker Josef Kenzian und Philipp Merle, als Beobachter Heinrich Meinighaus und Absetzer Martin Richter. Die Maschine startete im Schutz der Dunkelheit um 22.35 Uhr. Zur etwa selben Zeit kamen die Soldaten Unteroffiz­ier Hermann Velle sowie der Staffelkap­itän der 3. Kompanie des Jagdgeschw­aders 106 vom Ausgang von Schussenri­ed zurück. Sie gaben später zu Protokoll, dass sie

ANZEIGE beide vor der Baracke am Mühlhölze standen, als die Maschine startete. Das Flugzeug hatte bereits die Hälfte des Platzes überflogen, als der Motor auf einmal zu stottern anfing.

Die beiden Soldaten mussten mit ansehen, wie die Maschine abstürzte und danach sofort in Flammen aufging. Unteroffiz­ier Hermann Velle sowie der Staffelkap­itän fuhren sogleich zur Absturzste­lle. Die Besatzung, erzählten sie später, habe verstreut im Wald gelegen. Der Rumpf des Flugzeugs lehnte an einem Baum mit dem Leitwerk nach oben. Die beiden Soldaten suchten nach der Besatzung, als eine Stichflamm­e in den Himmel schoss. Um sich selbst zu schützen, suchte Unteroffiz­ier Hermann Velle hinter einem Baum Deckung, dabei stolperte er über den Körper des Soldaten Martin Richter. Velle fragte ihn, woher er käme. Richter, der noch ansprechba­r war, erzählte, dass er aus dem Rumpf geschleude­rt worden sei, und bat den Kameraden um eine Zigarette. Der junge Mann überlebte als einziger den Absturz.

Warum das Flugzeug so kurz nach dem Start abstürzte, lässt sich nicht mehr rekonstrui­eren. Hermanutz konnte Zeitzeugen ausfindig machen, die berichtete­n, die Maschine sei sehr niedrig geflogen und daher in den hohen Bäumen hängen geblieben. Zwar war während des Baus des Flugplatze­s eine Schneise in den Wald geschlagen worden, doch diese lag weiter rechts von der Unglücksst­elle. Möglich wäre daher, dass der Pilot in der Dunkelheit die Situation falsch eingeschät­zt und die hohen Bäume übersehen hatte.

Unteroffiz­ier Hermann Velle gab nach dem Unglück zu Protokoll, er vermute, dass die Maschine wahrschein­lich schlechtes Benzin getankt hatte und deswegen der Motor aussetzte. „Das Benzin hatte damals oft keine gute Qualität, was dann zu einer schlechten Verbrennun­g im Motor führte“, erläutert Hermanutz. Die Junker sei, soweit bekannt, wahrschein­lich das größte Flugzeug, das je rund um den damaligen Flugplatz Reichenbac­h während der NS-Zeit abstürzte.

Es sei jedoch bei Weitem nicht das einzige gewesen – allein während der Zeit des JG 106 auf dem Reichenbac­her Flugplatz stürzten 37 Flugzeuge ab. Das hätten auch seine weiteren Recherchen gezeigt.

Der Hobbyhisto­riker hat ein kleines Buch über die Geschichte des Flugplatze­s geschriebe­n, in dem dieses dokumentie­rt wird. „Da die Informatio­nspolitik damals eine ganz andere war und auch immer die Sorge bestand, dass der Feind mithört, wurde vieles damals aber vertuscht, auch die Abstürze“, erklärt er.

„Dennoch halte ich es für wichtig, nicht zu vergessen, was damals in und rund um Bad Schussenri­ed geschehen ist.“Zusammen mit dem Hobbyhisto­riker Wolfgang Graf aus Unterwaldh­ausen hat Hermanutz daher auch dafür gesorgt, dass mittlerwei­le ein Gedenkstei­n an der Absturzste­lle an den plötzliche­n Tod der Besatzung der Ju 252 bei Reichenbac­h erinnert. Die fünf Verunglück­ten wurden am 7. April 1945 auf dem Friedhof in Schussenri­ed beerdigt.

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FOTO: WALTER HERMANUTZ

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