Schwäbische Zeitung (Biberach)
Als die Junkers plötzlich vom Himmel fiel
Heute vor 75 Jahren stürzte ein großes NS-Transportflugzeug bei Bad Schussenried ab
BAD SCHUSSENRIED/REICHENBACH - Auf den Tag genau 75 Jahre ist es heute her, dass in der Nähe des Roggensees bei Bad Schussenried ein großes Transportflugzeug der NSLuftwaffe abstürzte. Das Flugzeug des Typs Junkers Ju 252 war auf dem Weg zur Insel Guernsey gewesen, um dort die deutschen Soldaten zu versorgen. Gestartet war es auf dem damaligen Flugplatz Reichenbach. Nur ein Mitglied der Besatzung überlebte den Absturz. Hobbyhistoriker Walter Hermanutz hat die Fakten über diesen historischen Moment zusammengetragen.
1939 zwangen die Nationalsozialisten mehrere Bauern rund um Reichenbach, ihnen einen Teil ihrer Felder zu verpachten. „Der Reichsarbeitsdienst errichtete dann dort innerhalb eines Jahres den Flugplatz“, erläutert Hermanutz. An der heutigen Wohnsiedlung Schorren befanden sich damals die Baracken, in denen die Angehörigen der Luftwaffe anfangs untergebracht waren.
„Der Flugplatz wurde eingerichtet im Zuge des Frankreich-Feldzug. Von dort aus starteten Flugzeuge, die dann in Frankreich Flugblätter und Bomben abwarfen“, weiß der Historiker. Danach war der Flugplatz bis April 1945 Ausbildungsort für die künftigen NS-Piloten. „Viele dieser jungen Burschen blieben nur wenige Wochen vor Ort, die Schussenrieder Bevölkerung hatte wenig oder gar keine Informationen über den Flugplatz“, so Hermanutz. 1944 wurde auf dem kleinen Flugplatz in der schwäbischen Provinz dann ein Jagdgeschwader untergebracht, um dort ihre Ausbildung zu absolvieren. Ab 24. März 1945 dann eine zusätzliche Belegung: Ein Transportgeschwader nahm Station und sollte von Reichenbach aus künftig die deutschen Truppen, die zu diesem Zeitpunkt auf den Kanalinseln stationiert waren, verpflegen.
An Bord der Junkers JU 252 befanden sich an diesem Tag sechs Personen: Flugzeugführer Otto Liesche, Bordmechaniker Hugo Vorwerk, die beiden Bordfunker Josef Kenzian und Philipp Merle, als Beobachter Heinrich Meinighaus und Absetzer Martin Richter. Die Maschine startete im Schutz der Dunkelheit um 22.35 Uhr. Zur etwa selben Zeit kamen die Soldaten Unteroffizier Hermann Velle sowie der Staffelkapitän der 3. Kompanie des Jagdgeschwaders 106 vom Ausgang von Schussenried zurück. Sie gaben später zu Protokoll, dass sie
ANZEIGE beide vor der Baracke am Mühlhölze standen, als die Maschine startete. Das Flugzeug hatte bereits die Hälfte des Platzes überflogen, als der Motor auf einmal zu stottern anfing.
Die beiden Soldaten mussten mit ansehen, wie die Maschine abstürzte und danach sofort in Flammen aufging. Unteroffizier Hermann Velle sowie der Staffelkapitän fuhren sogleich zur Absturzstelle. Die Besatzung, erzählten sie später, habe verstreut im Wald gelegen. Der Rumpf des Flugzeugs lehnte an einem Baum mit dem Leitwerk nach oben. Die beiden Soldaten suchten nach der Besatzung, als eine Stichflamme in den Himmel schoss. Um sich selbst zu schützen, suchte Unteroffizier Hermann Velle hinter einem Baum Deckung, dabei stolperte er über den Körper des Soldaten Martin Richter. Velle fragte ihn, woher er käme. Richter, der noch ansprechbar war, erzählte, dass er aus dem Rumpf geschleudert worden sei, und bat den Kameraden um eine Zigarette. Der junge Mann überlebte als einziger den Absturz.
Warum das Flugzeug so kurz nach dem Start abstürzte, lässt sich nicht mehr rekonstruieren. Hermanutz konnte Zeitzeugen ausfindig machen, die berichteten, die Maschine sei sehr niedrig geflogen und daher in den hohen Bäumen hängen geblieben. Zwar war während des Baus des Flugplatzes eine Schneise in den Wald geschlagen worden, doch diese lag weiter rechts von der Unglücksstelle. Möglich wäre daher, dass der Pilot in der Dunkelheit die Situation falsch eingeschätzt und die hohen Bäume übersehen hatte.
Unteroffizier Hermann Velle gab nach dem Unglück zu Protokoll, er vermute, dass die Maschine wahrscheinlich schlechtes Benzin getankt hatte und deswegen der Motor aussetzte. „Das Benzin hatte damals oft keine gute Qualität, was dann zu einer schlechten Verbrennung im Motor führte“, erläutert Hermanutz. Die Junker sei, soweit bekannt, wahrscheinlich das größte Flugzeug, das je rund um den damaligen Flugplatz Reichenbach während der NS-Zeit abstürzte.
Es sei jedoch bei Weitem nicht das einzige gewesen – allein während der Zeit des JG 106 auf dem Reichenbacher Flugplatz stürzten 37 Flugzeuge ab. Das hätten auch seine weiteren Recherchen gezeigt.
Der Hobbyhistoriker hat ein kleines Buch über die Geschichte des Flugplatzes geschrieben, in dem dieses dokumentiert wird. „Da die Informationspolitik damals eine ganz andere war und auch immer die Sorge bestand, dass der Feind mithört, wurde vieles damals aber vertuscht, auch die Abstürze“, erklärt er.
„Dennoch halte ich es für wichtig, nicht zu vergessen, was damals in und rund um Bad Schussenried geschehen ist.“Zusammen mit dem Hobbyhistoriker Wolfgang Graf aus Unterwaldhausen hat Hermanutz daher auch dafür gesorgt, dass mittlerweile ein Gedenkstein an der Absturzstelle an den plötzlichen Tod der Besatzung der Ju 252 bei Reichenbach erinnert. Die fünf Verunglückten wurden am 7. April 1945 auf dem Friedhof in Schussenried beerdigt.