Schwäbische Zeitung (Biberach)
Eurobonds statt Marshallplan
Zwei wichtige EU-Kommissare widersprechen ihrer Chefin Ursula von der Leyen
BRÜSSEL - Die europäischen Finanzminister werden am Dienstag ein weiteres Mal per Videokonferenz über ein Post-Corona-Konjunkturprogramm beraten. Auf einen Vorschlag der EU-Kommission können sie sich dabei nicht stützen, denn die ist selbst uneins. Während die Chefin, Ursula von der Leyen, den Haushaltsentwurf für die kommenden sieben Jahre aufstocken und zu einem Marshallplan umbauen möchte, setzen einige ihrer Kommissare ganz offen auf Gemeinschaftsanleihen – die in Deutschland verpönten Eurobonds.
Eigentlich sollen Politiker, die ins Kommissionskollegium in Brüssel einziehen, ihre nationalen Erwägungen während der fünfjährigen Amtszeit ruhen lassen. In der Vergangenheit hat das in den meisten Fällen gut geklappt. Von der Leyens Vorgänger Jean-Claude Juncker machte sogar ein System daraus, die Posten gegen den Strich zu besetzen. Da die Deutschen besonders gern das Geld zusammenhalten, erhielt Günther Oettinger den Auftrag, ein großzügigeres Budget für die EU herauszuschlagen. Die Franzosen wiederum halten nicht viel vom Sparen und wurden deshalb von ihrem Landsmann Pierre
Moscovici dazu ermahnt, die Schuldengrenze einzuhalten. Im neuen Team scheint diese Methode aber nicht so gut zu funktionieren. Denn Moscovicis Nachfolger Paolo Gentiloni, von dem man sich erhofft hatte, er würde seinen italienischen Landsleuten ebenfalls das Sparen ans Herz legen, ist in der Coronakrise in eine ganz andere Richtung vorgeprescht. Gemeinsam mit seinem französischen Kollegen Thierry Breton forderte er im „Corriere della Sera“einen neuen Europäischen Fonds, „speziell dafür ausgelegt, langfristige Anleihen herauszugeben“.
Bei einer Fragerunde des Brüsseler Think Tanks Breughel wurde Gentilloni noch deutlicher. Mit Streitbegriffen wie Euro- oder Coronabonds wolle er sich nicht aufhalten, erklärte der Währungskommissar. Es gehe vielmehr darum, für die nun entstehenden Probleme die richtigen Werkzeuge zu finden. „Um unsere Wirtschaft wieder anzukurbeln, brauchen wir eine starke finanzpolitische Antwort. Wie bekommen wir die hin? Natürlich müssen wir dafür am Markt Geld aufnehmen.“
Die Debatten der Vergangenheit, wer besser und wer schlechter gewirtschaftet habe, müssten endlich ruhen. Nun gehe es um Europas Zukunft: den Aufbau des Gesundheitswesens, die Sicherung der Arbeitsplätze und genügend Liquidität für Unternehmen und Banken. Den von seiner Chefin ins Gespräch gebrachten Begriff Marshallplan hält Gentiloni für nicht angemessen. Nach dem Zweiten Weltkrieg habe es zwei Jahre gedauert, bis die zugesagten US-Kredite geflossen seien. „Diesmal sollten wir gleich 1945 starten, nicht erst 1947“, erklärte der Währungskommissar. Jedes Land sollte nach Bedarf auf diesen Fonds zugreifen können – so weit die Theorie. In der Praxis wären die Kredite für Länder attraktiv, die national deutlich höhere Zinsen bezahlen müssen. Das Konzept ist in Italien, Portugal, Spanien, Griechenland und Frankreich deshalb so beliebt, weil es nicht mit Brüsseler Eingriffen in die nationale Haushaltspolitik oder Sparauflagen verbunden wäre. Sollten die Bonds nicht kommen, würden die Volkswirtschaften des Nordens und des Südens auseinanderdriften, warnt Gentiloni – „und das wäre politisch sehr gefährlich“.
In einem Versuch, angesichts der dramatischen Lage in den Nachbarländern nicht als kleinliche Pfennigfuchser dazustehen, haben sich Finanzminister Olaf Scholz und Außenminister Heiko Maas in mehreren europäische Zeitungen an die Öffentlichkeit gewandt. Der Rettungsfonds ESM erlaube es schon jetzt, auf günstige Kredite zuzugreifen, ein neues Kreditinstrument sei dafür nicht erforderlich. Sparkontrolleure wie die gefürchtete „Troika“in der Finanzkrise werde es dann nicht geben. Doch Scholz wird bei der Videokonferenz Mühe haben, seine Kollegen davon zu überzeugen.
„Diesmal sollten wir gleich 1945 starten, nicht erst 1947.“
Paolo Gentiloni