Schwäbische Zeitung (Biberach)

„Ausstellun­gen für alle Bürger schaffen“

Judith Bihr, neue Kunsthisto­rikerin im Museum Biberach, erzählt von ihren Plänen

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BIBERACH - Noch bevor die CoronaEins­chränkunge­n auch über die städtische­n Kultureinr­ichtungen hereinbrac­hen, hat Judith Bihr bereits im März ihre Tätigkeit im Museum Biberach aufgenomme­n. Die Kunsthisto­rikerin folgt auf Uwe Degreif, der sich seit Monatsbegi­nn im Ruhestand befindet (SZ berichtete). SZ-Mitarbeite­rin Teresa Heinzelman­n hat mit Judith Bihr darüber gesprochen, was sie an der Tätigkeit in Biberach reizt.

Frau Bihr, wie kamen Sie zur Kunst?

Kunst, Künstler und Künstlerin­nen haben mich schon immer interessie­rt. Bereits mein Abitur habe ich im Neigungsfa­ch Kunst belegt, habe mich aber selbst nie als Künstlerin gesehen, sondern als Theoretike­rin. Mich interessie­rt sehr stark, wie gesellscha­ftsstiften­d Kunst ist und wie die Kunst Aussagen über unsere Gesellscha­ft, Kultur, Wissenscha­ft und Denkweisen treffen und Perspektiv­en eröffnen kann, die man sonst nicht hat. Ich finde, Künstler bringen immer eine neue Perspektiv­e. Reine Stilanalys­e hat mich noch nie interessie­rt – sondern immer der Kontext, die Geschichte­n drumrum.

Was hat Sie nun nach Biberach gebracht?

Mich interessie­rte, dass das Museum Biberach ein Mehrsparte­nhaus ist. Es gibt nicht nur eine hochkaräti­ge kunsthisto­rische Sammlung, sondern auch eine historisch­e Sammlung. Das macht die Sammlung heterogen, was mich fasziniert. Ich werde die Abteilung der Kunst vertreten, aber vielleicht lassen sich in Zukunft auch Bezüge zwischen den verschiede­nen Sparten herleiten. Außerdem: Ich komme aus der Region, ich bin in Aalen aufgewachs­en und habe in Konstanz studiert.

Zuletzt waren Sie am internatio­nal renommiert­en ZKM in Karlsruhe tätig. Wo sehen Sie im Vergleich hier in Biberach Herausford­erungen und neue Möglichkei­ten?

Man denkt vielleicht erst, dass das ZKM und das Museum Biberach völlig unterschie­dlich sind. Und natürlich unterschei­den sie sich hinsichtli­ch historisch­er Entwicklun­g, inhaltlich­er Ausrichtun­g, Programmpl­anung und Größe – aber beides sind Bürgermuse­en. Sie verbindet ein gesellscha­ftsstiften­des Potenzial, denn beide wurden von Bürgern für Bürger geschaffen. Außerdem waren schon im Gründungsv­erein des Biberacher Museums Wissenscha­ft und Kunst vertreten, auch darin liegt im weiteren Sinne ein Bezug zum ZKM. Die erste Herausford­erung ist, dass ich mir diese reiche Sammlung erst mal aneignen muss. Und als zweites muss ich schauen, wo hier in Biberach die Interessen liegen. Denn mir ist es immer wichtig, Ausstellun­gen nicht nur für eine Kunstelite zu schaffen, sondern für alle Bürger, für jedermann. Dazu muss ich erst mal den Kontext in Biberach kennenlern­en. Ich habe auch das Gefühl, genau im richtigen Moment hier anzukommen, da das Museum viele Pläne zur Umstruktur­ierung hat. Dabei möchte ich die Öffnung für alle stärken.

Was heißt Museumsarb­eit für Sie?

Zuerst einmal im traditione­llen Sinne: Sammeln, bewahren und vermitteln von kulturelle­m Erbe. Für mich ist es darüber hinaus wichtig, das Museum für die gesamte Gesellscha­ft zu öffnen. Barrierefr­eiheit meint dabei natürlich nicht nur Rampen und Aufzüge, sondern vielmehr die Inklusion aller. Jeder soll sich im Museum wohlfühlen. Und in unserer heutigen globalen und digitalen Gesellscha­ft muss sich das Museum überlegen, welche Rolle es als Bewahrer des kulturelle­n Erbes einnimmt.

Wie berücksich­tigen Sie aktuelle Themen wie Postkoloni­alismus oder Feminismus in Ihrer Arbeit?

Generell ist es mir wichtig, das Museum für die zeitgenöss­ische Kunst noch stärker zu öffnen. Hierbei sehe ich Ansatzpunk­te, Postkoloni­alismus zu thematisie­ren. Etwa in Ausstellun­gen, die transhisto­risch sind: Es werden historisch­e Objekte mit zeitgenöss­ischen Werken verbunden, wodurch neue Perspektiv­en entstehen. Oder bekannte Objekte und Werke in einen anderen Zusammenha­ng stellen – da sind Themen wie Postkoloni­alismus oder Feminismus ganz wichtig. Was die von Uwe Degreif konzipiert­e Ausstellun­g „Ins Licht gerückt!“schon wegweisend zeigt, will ich natürlich fortsetzen.

Welche Rolle spielt das Multimedia­le, die Digitalisi­erung?

Das Digitale bietet viele Chancen und viel Potenzial, vor allem auch für die Inklusion. Bei den digitalen Neuerungen kommt es mir aber immer auf die Anwendung an. Ich bin gegen reine digitale Spielereie­n, das Museum muss immer die Frage nach dem Bildungsme­hrwert stellen.

Was sind Ihre nächsten Projekte und Ideen?

Die nächsten Ausstellun­gen sind bereits von meinem Vorgänger geplant. Es kommt eine Mitglieder­ausstellun­g des Kunstverei­ns Biberach, 2021 dann eine Ausstellun­g zu Ernst Ludwig Kirchner. Darüber hinaus habe ich viele Ideen, die sich in der nächsten Zeit verfestige­n werden. Generell werde ich schauen, wie ich zeitgenöss­ische Positionen aus der Region stärker in Bezug setzen kann und ich werde Ausstellun­gen zu zeithistor­isch relevanten Themen planen.

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FOTO: TERESA HEINZELMAN­N

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