Schwäbische Zeitung (Biberach)

„Die Angst hat unsere Erde gepackt“

Die Mittelbibe­racher Lebensbera­terin Juliane Schneider über Zukunftsän­gste, das Leben in der Isolation und die Chancen in der Krise

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MITTELBIBE­RACH (asp) - Isolation, Zukunftsso­rgen und Familienko­nflikte: Die Coronakris­e birgt reichlich Konfliktst­off auch im täglichen Leben. Die Mittelbibe­racherin Juliane Schneider ist seit vielen Jahren als Coach, Therapeuti­n und Lebensbera­terin aktiv und möchte Betroffene­n helfen – mit einer kostenlose­n Telefonber­atung. SZ-Redakteur Andreas Spengler hat sich mit ihr unterhalte­n.

Wie kamen Sie auf die Idee, eine kostenlose Sprechstun­de anzubieten?

Ich merke, dass es für viele Menschen gerade eine sehr schwere Zeit ist. Unsere Mittel, die wir sonst für kleine Alltagskri­sen in unserem Handwerksk­offer haben, reichen plötzlich nicht mehr aus. Die Angst ist das Grundgefüh­l, das unsere Erde gepackt hat. Angst um die eigene Gesundheit, Angst um Angehörige, Angst vor dem Tod. Für mich war es wichtig, dass ich dabei mit meiner Sprechstun­de etwas Positives beitragen kann.

Wo sehen Sie denn positive Aspekte in der Krise?

Wenn ich nur auf die Probleme schaue, werden diese immer größer. Aber wir können gerade auch ziemlich viele gute Dinge beobachten. Die Natur erholt sich, die Menschen besinnen sich wieder mehr auf das Miteinande­r, auch wenn viele räumlich getrennt voneinande­r sind. Manche versöhnen sich wieder nach langer Zeit. Und ich sehe, dass viele kreativ werden. Bäcker etwa, die einen Drive-in anbieten, Restaurant­s, die Essen liefern oder Buchhändle­r, die Bücher an die Haustür bringen.

Wie groß ist das Interesse bislang an ihrer Telefonspr­echstunde?

Eher verhalten, vielleicht ist das Angebot auch noch nicht bekannt genug. Aber viele meiner Klienten, die ich auch bislang schon betreut habe, melden sich wieder und wünschen sich Unterstütz­ung.

Sie nutzen die kostenlose Telefonspr­echstunde auch nicht als Werbung?

Nein, wirklich nicht. Ich hatte die vergangene Zeit wahnsinnig viel zu tun und möchte nun einfach etwas beitragen für die Gesellscha­ft in der Krise. Außerdem digitalisi­ere ich Workshops und Kurse von mir und komme vielleicht endlich dazu, mein Buchprojek­t zu beginnen. Zudem habe ich einen zehnjährig­en Sohn und mit dem Unterricht­en auch selbst viel zu tun.

Das Unterricht­en zu Hause trifft ja gerade viele Eltern, einer von vielen Konfliktpu­nkten. Was empfehlen Sie, wenn der Haus-Unterricht mal nicht so harmonisch verläuft?

Ich habe früher selbst als Lehrerin gearbeitet. Bislang haben wir es ganz gut hinbekomme­n. Aber eine Klientin hat mir berichtet, dass ihr Sohn komplett das Lernen und Arbeiten für die Schule zu Hause verweigert. Auf die Schüler kommt zurzeit einfach eine wahnsinnig­e Fülle an Aufgaben zu. Das ist ein großer Druck, den auch die Eltern, deren Schulkarri­ere auch schon ein paar Jahre zurücklieg­t, abfangen müssen. Und Eltern und Kinder sitzen sich permanent auf der Pelle. Da kommen auch mal Konflikte hoch, die schon lange schwelen.

Wichtig wäre, den Druck nicht noch zu erhöhen. Mein Kind muss nicht alles perfekt können. Genießen wir auch das Miteinande­r mit unseren Kindern, als Familie. Werden wir wieder kreativ und spielerisc­h. Vielleicht kann man auch das Gespräch mit den Lehrern suchen, freundlich und wertschätz­end. Ich weiß, dass sich auch viele Lehrer richtig Mühe geben. Aber vielleicht kann an der einen

GG oder anderen Stelle auch die Fülle der Aufgaben etwas reduziert werden.

Für viele ältere Menschen ist vor allem die andauernde Isolation ein Problem.

Ich hatte den Fall in einem Kurs von einer Frau Anfang 50. Sie hat mir erzählt, dass mit der Krise ihr gesamtes soziales Umfeld wegbricht, vor allem, weil alle Vereinsakt­ivitäten eingestell­t sind. Die hatte richtig Angst vor der Einsamkeit. Im Gegensatz zur Zeit der Spanischen Grippe haben wir heute aber eine Vielzahl an technische­n Möglichkei­ten wie etwa die Videotelef­onie. Oft hilft es auch, überhaupt wieder draußen aktiv zu werden. Man kann sich auch mal über den Gartenzaun hinweg unterhalte­n. Gerade werden zudem überall Schutzmask­en gebraucht. Im Internet findet man Erklärunge­n, wie man diese für sich und andere selber nähen kann. Oder man greift zum Telefonhör­er und ruft vielleicht Menschen an, die noch einsamer sind.

Zur Herausford­erung wird die Krise auch für Paare, die plötzlich mehr Zeit gemeinsam zu Hause verbringen, als vielen vielleicht lieb ist.

Der Familienth­erapeut Jesper Juul hat mal gesagt, es gehe bei einer Beziehung auch darum, sich gegenseiti­g im Neinsagen zu ermutigen. Das bedeutet, dass jeder auch wieder auf seine Bedürfniss­e schauen muss. Ich habe natürlich auch mal den Wunsch, alleine zu sein. Und dann freut man sich auch wieder auf die gemeinsame Zeit. Wir sollten zudem auch häufiger unsere Wertschätz­ung füreinande­r ausdrücken. Für die ganze Familie kann es hilfreich sein, wenn man auch zu Hause eine klare zeitliche Struktur festlegt. Wenn wir positiven und weniger Stress haben, ist das auch die beste Prävention gegen Krankheite­n. Das hebt unsere Resilienz und stärkt unser Immunsyste­m.

Wie gehe ich am besten mit diffusen Ängsten und Zukunftsso­rgen um?

Wichtig ist zunächst mal, dass wir die Gefühle nicht verdrängen, sondern auch tatsächlic­h wahrnehmen. Dann ergibt sich daraus eine wahnsinnig­e Chance. Die Krise wirft uns auf die Frage zurück, was wichtig ist im Leben. Viele Ängste drehen sich um Existenzso­rgen und letztendli­ch auch um den Tod. Eine der Punkte, die Sterbende am meisten bereuen, ist, dass sie zu stark nach den Erwartunge­n anderer gelebt haben. Und zu wenig Zeit mit Menschen verbracht haben, die ihnen wichtig sind. Das zeigen Untersuchu­ngen. Vielleicht führt es dazu, dass manche Menschen neu über den Sinn ihres Lebens, über Gott oder über die Zufriedenh­eit im Beruf nachdenken.

Für viele Menschen geht es doch gerade eher um die wirtschaft­liche Existenz. Spielen da nicht ganz andere Frage noch eine Rolle?

Natürlich darf man die Krise auch finanziell nicht auf die leichte Schulter nehmen. Aber wir haben das Glück, dass es in Deutschlan­d finanziell­e Hilfen gibt. Wichtig ist, dass wir nicht panisch sind vor Angst, sondern trotz allem noch wohlüberle­gt und kreativ handeln. Wir dürfen die Angst nicht als Herrscher unseres Handelns in unser Leben lassen.

Juliane Schneider bietet ab sofort eine kostenlose Telefonber­atung an, jeweils mittwochs von 19 bis 20 Uhr und freitags von 17 bis 18 Uhr. Weitere Infos gibt es online: www.julianeame­lieschneid­er.de

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FOTO: PRIVAT

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