Schwäbische Zeitung (Biberach)
Gänsehaut beim Einlaufen des Marineschiffs
Die Kirchbergerin Uta Burke lebt seit 25 Jahren in den USA – Ihre Corona-Erfahrungen sind gegensätzlich
KIRCHBERG - Ärzte am Limit, Tote in Kühlwagen und im Central Park ein Feldlazarett – mit mehr als 120 000 bestätigten Fällen hat sich die Corona-Lage in New York in eine dramatische Richtung entwickelt. Eine dreiviertel Stunde entfernt lebt die Kirchbergerin Uta Burke mit ihrer Familie. Trotz der beängstigenden Umstände hat sie ihr inneres Gleichgewicht wiedergefunden – was in den zurückliegenden Tagen durchaus schwer war.
„Ich wohne nun schon 25 Jahre in der Nähe von Manhattan und erlebe immer wieder, dass diese Stadt sich nicht unterkriegen lässt“, erzählt Uta Burke. New Yorker seien zähe und loyale Menschen – und das bewundere sie. Als sie die Bilder vom Einlaufen der „USNS Comfort“sah, habe sie eine Gänsehaut bekommen: „Das Schiff strahlt Hoffnung und Hilfsbereitschaft auf mich aus, vor allem als sie an der Freiheitsstatue vorbeizog.“Das Marineschiff soll die Situation in den überlasteten Krankenhäusern entschärfen.
Mit ihrem Mann Richard lebt Uta Burke außerhalb der Metropole in East Brunswick (New Jersey). Nachdem die beiden im Jahr 1990 geheiratet hatten, wanderte das Paar in die USA aus. Richard war einst in der Wiley Kaserne in Neu-Ulm stationiert. Ihr Leben in Amerika hat sich durch das Coronavirus mindestens so stark verändert wie das unsere hierzulande. Abgesagte Veranstaltungen, geschlossene Schulen und gesperrte Strandpromenaden sind ein paar wenige Beispiele. Doch es gibt auch Unterschiede.
Rückblick: Als die Krise vor ungefähr drei Wochen über die USA hereinbricht, seien viele Menschen regelrecht in Panik verfallen, sagt Uta Burke. „Es stimmt wirklich, dass sich viele nicht mehr trauen, Coronabier zu trinken, oder Italienisch und Chinesisch zu essen“, antwortete sie damals auf Nachfrage von Schwäbische.de. Geschäfte, welche eigentlich rund um die Uhr offen hätten, schlossen von Mitternacht bis 6 Uhr morgens, um die Regale aufzufüllen. Toilettenpapier, Desinfektionsmittel, Fleisch – alles leer gekauft.
Beruflich liefert ihr Mann Wasserflaschen aus. Vor der Krise waren es Bierfässer. „Das Wasser schaffte es fast nicht in den Laden, da ihn die Leute auf dem Parkplatz abfingen und es kaufen wollten“, berichtete die Auswanderin. Die Kunden hätten sich in den Läden um bestimmte Lebensmittel gestritten: „Polizisten mussten für Ruhe sorgen – also wie im Film.“Den gestiegenen Verkauf von Waffen und Munition bezeichnet sie als „typisch Ami“.
Auch ihr Mann ließ sich von der Panik anstecken: „Anfangs ging er jeden Tag Lebensmittel kaufen, hat Bargeld abgehoben, seine Anlagen auf dem Aktienmarkt ,geparkt’.“Im Vergleich dazu sei sie definitiv die Ruhigere im Haus. Trotzdem hatte auch sie Sorgen – und das insbesondere wegen der wirtschaftlichen Folgen: „Ich bin besorgt, was unsere Ersparnisse und Investitionen angeht.“Und in Anbetracht der wachsenden Arbeitslosigkeit fürchtete sie um den Job ihrer Tochter, die in der Logistikbranche
tätig ist. Zu allem Übel starb Katze Minka. „Komischerweise denkt man gleich, ob es mit dem Virus zusammenhängen könnte“, sagt die 55-Jährige. „Sie hatte aber ein anderes Gesundheitsproblem.“
Jetzt, drei Wochen später, haben alle noch Arbeit. Während ihr Mann weiterhin stark beunruhigt ist („Er trägt eine Maske, wäscht sich ständig die Hände und lässt sich von den Nachrichten verrücktmachen“), hat sie ihr inneres Gleichgewicht wiedergefunden. „Es ist alles abgefallen und ich sehe den Alltag leichter an“, sagt Burke. „Vielleicht spüre ich, dass alles gut wird.“Zuvor habe es ihr jeden Morgen gegraust, wenn sie aufs Handy blickte, ob Tochter oder Familie über Nacht eine schlechte Nachricht hinterließen.
Beigetragen haben zur inneren Gelassenheit dürften auch die hoffnungsvollen Momente in den vergangenen Tagen. Die Menschen seien viel hilfsbereiter und freundlicher geworden: „Die Leute sitzen auf der Veranda und lachen, Kinder und Eltern spielen Ball, und überall sind Spaziergänger unterwegs, wie man es sich eigentlich immer gewünscht hat in dieser hastigen Zeit, in der man nur noch so schnell wie möglich so viel wie möglich Geld anhäufen wollte.“Wie sie fragten viele bei alleinstehenden Nachbarn nach, ob sie etwas aus dem Supermarkt bräuchten.
„Die Luft und Gewässer sind weniger verschmutzt“, sagt sie. „Es entwickelt sich ja im Grunde alles sehr positiv – wenn die Gefahr nicht wäre.“Auch wenn in New York das Schlimmste noch zu erwarten ist, vertraut sie darauf, dass die Stadt die Krise meistern wird. „Wenn die Stadt untergehen soll, dann gehe ich eben mit ihr unter, aber sollten wir es überleben, mache auch ich gerne weiter, hoffentlich besser und stärker als zuvor.“