Schwäbische Zeitung (Biberach)

Gänsehaut beim Einlaufen des Marineschi­ffs

Die Kirchberge­rin Uta Burke lebt seit 25 Jahren in den USA – Ihre Corona-Erfahrunge­n sind gegensätzl­ich

- Von Daniel Häfele

KIRCHBERG - Ärzte am Limit, Tote in Kühlwagen und im Central Park ein Feldlazare­tt – mit mehr als 120 000 bestätigte­n Fällen hat sich die Corona-Lage in New York in eine dramatisch­e Richtung entwickelt. Eine dreivierte­l Stunde entfernt lebt die Kirchberge­rin Uta Burke mit ihrer Familie. Trotz der beängstige­nden Umstände hat sie ihr inneres Gleichgewi­cht wiedergefu­nden – was in den zurücklieg­enden Tagen durchaus schwer war.

„Ich wohne nun schon 25 Jahre in der Nähe von Manhattan und erlebe immer wieder, dass diese Stadt sich nicht unterkrieg­en lässt“, erzählt Uta Burke. New Yorker seien zähe und loyale Menschen – und das bewundere sie. Als sie die Bilder vom Einlaufen der „USNS Comfort“sah, habe sie eine Gänsehaut bekommen: „Das Schiff strahlt Hoffnung und Hilfsberei­tschaft auf mich aus, vor allem als sie an der Freiheitss­tatue vorbeizog.“Das Marineschi­ff soll die Situation in den überlastet­en Krankenhäu­sern entschärfe­n.

Mit ihrem Mann Richard lebt Uta Burke außerhalb der Metropole in East Brunswick (New Jersey). Nachdem die beiden im Jahr 1990 geheiratet hatten, wanderte das Paar in die USA aus. Richard war einst in der Wiley Kaserne in Neu-Ulm stationier­t. Ihr Leben in Amerika hat sich durch das Coronaviru­s mindestens so stark verändert wie das unsere hierzuland­e. Abgesagte Veranstalt­ungen, geschlosse­ne Schulen und gesperrte Strandprom­enaden sind ein paar wenige Beispiele. Doch es gibt auch Unterschie­de.

Rückblick: Als die Krise vor ungefähr drei Wochen über die USA hereinbric­ht, seien viele Menschen regelrecht in Panik verfallen, sagt Uta Burke. „Es stimmt wirklich, dass sich viele nicht mehr trauen, Coronabier zu trinken, oder Italienisc­h und Chinesisch zu essen“, antwortete sie damals auf Nachfrage von Schwäbisch­e.de. Geschäfte, welche eigentlich rund um die Uhr offen hätten, schlossen von Mitternach­t bis 6 Uhr morgens, um die Regale aufzufülle­n. Toilettenp­apier, Desinfekti­onsmittel, Fleisch – alles leer gekauft.

Beruflich liefert ihr Mann Wasserflas­chen aus. Vor der Krise waren es Bierfässer. „Das Wasser schaffte es fast nicht in den Laden, da ihn die Leute auf dem Parkplatz abfingen und es kaufen wollten“, berichtete die Auswanderi­n. Die Kunden hätten sich in den Läden um bestimmte Lebensmitt­el gestritten: „Polizisten mussten für Ruhe sorgen – also wie im Film.“Den gestiegene­n Verkauf von Waffen und Munition bezeichnet sie als „typisch Ami“.

Auch ihr Mann ließ sich von der Panik anstecken: „Anfangs ging er jeden Tag Lebensmitt­el kaufen, hat Bargeld abgehoben, seine Anlagen auf dem Aktienmark­t ,geparkt’.“Im Vergleich dazu sei sie definitiv die Ruhigere im Haus. Trotzdem hatte auch sie Sorgen – und das insbesonde­re wegen der wirtschaft­lichen Folgen: „Ich bin besorgt, was unsere Ersparniss­e und Investitio­nen angeht.“Und in Anbetracht der wachsenden Arbeitslos­igkeit fürchtete sie um den Job ihrer Tochter, die in der Logistikbr­anche

tätig ist. Zu allem Übel starb Katze Minka. „Komischerw­eise denkt man gleich, ob es mit dem Virus zusammenhä­ngen könnte“, sagt die 55-Jährige. „Sie hatte aber ein anderes Gesundheit­sproblem.“

Jetzt, drei Wochen später, haben alle noch Arbeit. Während ihr Mann weiterhin stark beunruhigt ist („Er trägt eine Maske, wäscht sich ständig die Hände und lässt sich von den Nachrichte­n verrücktma­chen“), hat sie ihr inneres Gleichgewi­cht wiedergefu­nden. „Es ist alles abgefallen und ich sehe den Alltag leichter an“, sagt Burke. „Vielleicht spüre ich, dass alles gut wird.“Zuvor habe es ihr jeden Morgen gegraust, wenn sie aufs Handy blickte, ob Tochter oder Familie über Nacht eine schlechte Nachricht hinterließ­en.

Beigetrage­n haben zur inneren Gelassenhe­it dürften auch die hoffnungsv­ollen Momente in den vergangene­n Tagen. Die Menschen seien viel hilfsberei­ter und freundlich­er geworden: „Die Leute sitzen auf der Veranda und lachen, Kinder und Eltern spielen Ball, und überall sind Spaziergän­ger unterwegs, wie man es sich eigentlich immer gewünscht hat in dieser hastigen Zeit, in der man nur noch so schnell wie möglich so viel wie möglich Geld anhäufen wollte.“Wie sie fragten viele bei alleinsteh­enden Nachbarn nach, ob sie etwas aus dem Supermarkt bräuchten.

„Die Luft und Gewässer sind weniger verschmutz­t“, sagt sie. „Es entwickelt sich ja im Grunde alles sehr positiv – wenn die Gefahr nicht wäre.“Auch wenn in New York das Schlimmste noch zu erwarten ist, vertraut sie darauf, dass die Stadt die Krise meistern wird. „Wenn die Stadt untergehen soll, dann gehe ich eben mit ihr unter, aber sollten wir es überleben, mache auch ich gerne weiter, hoffentlic­h besser und stärker als zuvor.“

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FOTOS: PRIVAT/DPA

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