Schwäbische Zeitung (Biberach)
Wettervorhersagen im Corona-Tief
Weil der Flugverkehr zum großen Teil eingestellt wurde, fehlen den Wetterstationen wichtige Messdaten
RAVENSBURG - Kaum ein Lebensbereich bleibt derzeit von den Auswirkungen der Corona-Pandemie unberührt – nicht einmal das Wetter. Denn durch das Virus müssen Wetterstationen mit deutlich weniger Messdaten als gewöhnlich auskommen. Und das hat Auswirkungen auf die Genauigkeit der Vorhersagen.
Millionen von Wetterdaten kommen täglich weltweit bei Wetterstationen an. Angaben etwa über Temperatur und Luftfeuchtigkeit von überall auf der Welt werden in Computersysteme eingespeist, um Vorhersagen zu berechnen. Doch eine wichtige Datenquelle ist den Meteorologen seit dem Beginn der CoronaKrise weggebrochen: der Flugverkehr. Denn der ist zum großen Teil eingestellt worden, fast 95 Prozent der Flugzeuge bleiben derzeit am Boden.
„Flugzeuge sind wichtige Lieferanten für meteorologische Daten“, sagt Uwe Kirsche vom Deutschen Wetterdienst (DWD). Sind die Maschinen in der Luft, zeichnen sie Wetterdaten wie Temperatur, Luftdruck, Winde oder Feuchtigkeit auf und senden sie über Satellit an die Wetterstationen. Doch fliegt kein Flugzeug, kommen auch keine Messwerte an. „Dadurch fällt eine deutliche Menge an Daten weg“, sagt Kirsche. „Aber wir versuchen, das durch zusätzliche Maßnahmen auszugleichen.“So setzt der Deutsche Wetterdienst derzeit zusätzliche Wetterballons ein, die Wetterdaten aus höheren Luftschichten liefern. Die steigen an insgesamt zehn Standorten in Deutschland in 30 Kilometer Höhe auf und sammeln Wetterdaten. Damit erhofft sich der Wetterdienst, zumindest einen Teil der wegfallenden Werte ausgleichen zu können.
Doch insgesamt werden die Vorhersagen wohl vorübergehend etwas ungenauer als gewohnt. „Bei Vorhersagen, wie sich beispielsweise die Temperatur verändern wird, gibt es vielleicht nicht mehr die hohe Trefferquote
wie sonst“, sagt Kirsche. Die Genauigkeit könne in dieser Zeit um bis zu 10 Prozent sinken. Darunter würden gerade alle Wetterdienste leiden.
Um ein möglichst genaues Bild der Wetterlage zu erhalten, sammeln Wetterdienste Daten über mehrere Quellen. Wettersatelliten, Bodenstationen, das Wetterradar und -ballons, aber eben auch mithilfe von Schiffen und Flugzeugen. Dabei komme es laut Kirsche nicht nur auf die Gesamtzahl der Daten an, sondern auch darauf, dass möglichst Daten von vielen verschiedenen Standorten in das Computermodell eingespeist werden. Durch den Wegfall der Flugzeugdaten fehlen auf einen Schlag so gut wie alle Daten aus der Atmosphäre.
„Erfreulich ist das natürlich nicht“, sagt Kirsche. Wetterereignisse, wie etwa ein Sturmtief, können so unter Umständen nicht mehr für drei, sondern nur noch für zwei Tage sicher vorausgesagt werden. Doch in den Wetterstationen würden nicht nur Computer rechnen, sondern auch erfahrene Meteorologen arbeiten, die die Ergebnisse der Modelle mit ihrer Erfahrung einordnen könnten, sagt Kirsche.
Roland Roth ist Leiter der Wetterwarte Süd und hat vor allem das Wetter für die Regionen Bodensee, Schwaben und Allgäu im Blick. „Für uns ist vor allem der Atlantik relevant“, sagt er. Denn dort entwickeln sich viele Wetterlagen, die später auch über den Südwesten Deutschlands ziehen. Deshalb sind die Flugzeugdaten besonders relevant. „Uns fehlen 70 Prozent der Messwerte“, sagt Roth. „Ich würde das aber nicht so gravierend sehen, wie sich die Zahl anhört.“
Zwar hätte auch er bereits festgestellt, dass sich beispielsweise die Langzeitvorhersagen der Computermodelle etwa für das Osterwetter verändert hätten, ob das allerdings eine Auswirkung der fehlenden Daten sei, ließe sich nicht sicher sagen. Dennoch hat auch Roth seine Arbeit an die Situation angepasst. Die Wetterkarten, von denen es alle sechs Stunden eine Aktualisierung gebe, prüfe der Meteorologe jetzt etwas genauer als sonst auf unerwartete Veränderungen. Doch grundsätzlich seien Vorhersagen und Prognosen immer mit Unsicherheiten belastet. Das sei schon immer so gewesen, nicht erst seit dem Ausbruch des Coronavirus.