Schwäbische Zeitung (Biberach)
Neben dem Dixi-Klo ein Tisch mit Keksen
Lkw-Fahrer gehören für viele gerade zu den Helden des Alltags – doch auch so ein Heldenstatus hilft nicht durch jede Widrigkeit, mit der die Logistikbranche in Zeiten von Covid-19 zu kämpfen hat
DETTINGEN/RAVENSBURG - Nein, sagen will Ralf eigentlich nichts. Nicht seinen Nachnamen, nicht, welche Tour seinen Sattelzug und ihn an diesem Gründonnerstagabend auf dem Lkw-Parkplatz der Autobahn-Rastanlage Illertal-West Station machen lässt, nicht, was er von A nach B transportiert. Helden des Corona-Alltags? Sie, die gut 574 000 Berufskraftfahrer hierzulande, die Lieferketten und Grundversorgung aufrechterhalten? Ralf, schwarze Jeans, graues Shirt, dichtes braunes Haar, winkt ab. „Kennen Sie“, ruft er im Gehen dem Fragenden zu, „eigentlich BauKlos?“
Dirk Engelhardt kennt mobile Toiletten, kennt das
Thema. Dirk Engelhardt ist Vorstandssprecher des Bundesverbandes Güterkraftverkehr Logistik und Entsorgung
(BGL), der Interessenvertretung von rund 7000 mittelständischen deutschen Transportlogistikunternehmen. Interessen zu vertreten kann ein zehrender Job sein in diesen Zeiten – denn Heldenstatus hilft wenig, wenn die Furcht vor dem Virus ausgrenzt. Dirk Engelhardt: „Das momentan größte Problem bei unseren Lkw-Fahrern ist, dass sie bei ganz vielen Industrieund Handelsfirmen, wo sie Waren anliefern und abholen, nicht mehr die Sanitäranlagen benutzen, ja sich nicht einmal mehr die Hände waschen dürfen. Manche Firmen stellen stattdessen ein Dixi-Klo hin. Wie das nach 20 oder 30 Benutzungen aussieht, wenn es nicht sauber gemacht wird, kann man sich vorstellen, und Hände waschen kann man sich da auch nicht. Einzelne meinen es besonders gut und stellen neben das Dixi-Klo einen Tisch mit Keksen und Kaffeekanne, wo jeder hinfassen kann – so hatten es sich die Virologen vermutlich nicht vorgestellt. Um es klar zu sagen: Viele Lkw-Fahrer fühlen sich wie Aussätzige behandelt.“
„Wir liefern Waren, nicht Viren“, hielt der Landesverband Bayerischer Spediteure schon in der letzten
„Sie sorgen für eine stabile Versorgung. Dafür müssen sie selbst gut versorgt werden.“
Märzwoche dagegen. Auch das mit den Waren allerdings ist heikel angesichts Covid-19: Wenn in vielen Industriezweigen die Bänder stillstehen (Metall-, Elektroindustrie, Automobilbranche samt Zulieferern), bleiben auch deren Transportaufträge aus. Zahlen des Statistischen Bundesamts und des Bundesamts für Güterverkehr belegen: Die Fahrleistung mautpflichtiger Lastkraftwagen mit mindestens vier Achsen auf deutschen Autobahnen ist im März im Vergleich zum Februar um 5,9 Prozent zurückgegangen. Ein Rekordwert. Andererseits: In einigen, den (über-)lebenswichtigen Bereichen wie der Lebensmittelund der Pharmaproduktion hat die Corona-Krise ein massives Mehr an Tonnenkilometern zur Folge; das Transportaufkommen im Lebensmittelsektor liegt dieser Tage rund 20 Prozent über dem normalen saisonalen Niveau.
Ralf hat, wenn man so will, also trotz BauKlos noch Glück: Er fährt. Seine Firma fährt. Andernorts stehen 40-Tonner unbewegt auf dem Hof. Notgedrungen unbewegt; wirklich gut geht es gerade nicht vielen Logistikunternehmen. Wer kann, schichtet Fahrzeuge um, setzt sie ein, wo der Bedarf gewachsen ist – wo indes längst ein Überangebot an LkwKapazität die Preise drückt. So sehr, dass die Südschiene des BGL „Teile des deutschen Marktes bereits in die Illegalität abgerutscht“sieht. Auf „teilweise weniger als 50 Prozent der gängigen Frachtentgelte bei innerdeutschen Transporten“beliefen sich die „Dumpingangebote“. Wie da deutscher Mindestlohn plus Sozialabgaben plus Treibstoffkosten bezahlt werden sollen, bleibt rätselhaft. Gerade für Dirk Engelhardt: „Unsere Branche besteht nahezu ausschließlich aus familiengeführten Betrieben mit durchschnittlich 14 Mitarbeitern. Für die sind solche ,Wildwestmethoden‘ existenzbedrohend.“
Also braucht es den Schulterschluss mit der Politik. Einer Politik, deren Ressortverantwortlicher, Bundesverkehrsminister Andreas Scheuer (CSU), gerne auf das Wort
Bundesverkehrsminister
Andreas Scheuer von den „echten Helden des Alltags“zurückgreift. Denn: „Ich weiß, dass die Lkw-Fahrer natürlich gerade jetzt – normalerweise 365 Tage, aber besonders jetzt – einen ultraharten Job haben.“Gesagt, so darf Ralfs Reaktion am Rand der A 7 gedeutet werden, ist so was schnell: Lippenbekenntnisse! Getan aber ...
... hat sich auch etwas im Heldenalltag der Alltagshelden. Den Eintritt zur Raststätte Illertal-West verwehren Hinweisschilder und verschlossene Türen, Corona gibt die Nichtöffnungszeiten vor im April 2020: 24 Stunden am Tag, sieben Tage die Woche. Hieße für Ralf und seine – auf den sich mehr und mehr füllenden Lkw-Stellplätzen zumeist polnischen – Kollegen am Gründonnerstagabend: hungrig bleiben, verschwitzt bleiben. Ist aber nicht so: Den Schlüssel zur Fernfahrerdusche gibt es in der durchgehend geöffneten Tankstelle, die Toiletten sind ebenfalls (und bis auf Weiteres kostenfrei) zugänglich. Und die Tankstellenshops entlang der Autobahnen der Republik haben ihr Angebot an Snacks ausgeweitet. Gesellschaft leisten der altbewährten Bockwurst jetzt Leberkäse, Frikadelle, Chili con Carne und Currywurst. Zum Einheitspreis.
Hier muss noch einmal Andreas Scheuer zitiert werden, der postulierte, dass die, die eine „stabile Versorgung“gewährleisten, „selbst ebenfalls gut versorgt werden“müssten. Den BGL wusste der Minister mit einem umfänglichen Forderungskatalog an seiner Seite, die Autobahn Tank & Rast Gruppe sah sich in der Pflicht. Der Bonner Dienstleister betreibt mit seinen Franchisepartnern im deutschen Autobahnnetz rund 360 Tankstellen und 400 Raststätten – das Gros, bei etwa 430 bewirtschafteten Anlagen insgesamt. Mitte März schon öffnete er dort die sanitären Einrichtungen, Markenname Sanifair, ausgestattet mit Kontaktlos-Armaturen, samt Fernfahrerduschen. Bald legte, nein: hielt Tank & Rast nach, kontrollierte Pächter und Sauberkeit und orderte, wo nötig, „umgehend zusätzlich Reinigungsdienstleister“.
Jetzt empfindet auch BGL-Vorstandssprecher Dirk Engelhardt die Situation als „deutlich verbessert“, was nicht zuletzt die „rückläufige Anzahl der bei uns eintreffenden Beschwerden“belege. Dietmar Thomas, Leiter Corporate Communications
Laut Bundesagentur für Arbeit befanden sich in Deutschland am Ende des Jahres 2018 insgesamt 573 849 Berufskraftfahrer im Güterverkehr in einem sozialversicherungspflichtigen Arbeitsverhältnis. Der Anteil der Frauen betrug – bei leicht steigender Tendenz – 1,8 Prozent (10 495 Fahrerinnen). Fachkräfte mit ausländischer Staatsbürgerschaft machten gut ein Fünftel (20,7 Prozent) der in Deutschland angestellten Lkw-Lenker aus, das Gros kam aus Polen (4,8 Prozent) und Rumänien (4,1 Prozent).
Den Durchschnittslohn in der Branche hat BirdieMatch, eine Internet-Jobvermittlungsplattform für Logistikberufe, in ihrem „Gehaltsreport 2020“ ermittelt; Grundlage war die anonymisierte Auswertung von 25 000 Datensätzen. Ergebnis: ein Verdienst von monatlich 2614 Euro brutto.
Die Beförderungsleistung durch Lkw (deutsche und ausländische) in Deutschland lag 2018 bei 507 Milliarden Tonnenkilometern (und damit anteilig bei 71,5 Prozent), die Beförderungsmenge bei 3,75 Milliarden Tonnen (78,9 Prozent). Auch in Baden-Württemberg werden derzeit fast 80 Prozent aller Güter auf der Straße transportiert. Die Logistik ist in Deutschland drittgrößter Wirtschaftsbereich, rund 279 Milliarden Euro Umsatz wurden 2019 dort erwirtschaftet. (lin)
& Digital Media bei Tank & Rast, spricht von einer „positiven Resonanz – alles wird gut angenommen“. Die „BrummiHotline“inklusive, eingerichtet für Anregungen und Feedback. Dietmar Thomas: „Wir haben in den letzten Wochen rund 200 Rückmeldungen erhalten. Darunter auch zahlreiche Anrufe von Lkw-Fahrern, die uns einfach nur danken wollten.“
Lkw-Fahrer, die stärker und anders gefordert sind als sonst. Nicht nur, weil ihr einsamer Beruf noch einsamer wird, sich ihr Leben unterwegs noch mehr auf die zwei, zweieinhalb Meter Höhe, Breite und Tiefe der Fahrerkabine beschränkt. Seit knapp vier Wochen ist auch die Lenk- sprich: Hauptarbeitszeit (neben jener für etwa Be- und Entladen, Reinigung, Wartung, gesetzliche Formalitäten) nach oben flexibilisiert. Waren bislang neun Stunden je Tag und maximal zweimal die Woche per Ausnahmeregelung zehn Stunden die Norm, so ist nun – nach einer Lockerung der einschlägigen Bestimmungen durch das Bundesverkehrsministerium – für den Transport ausgewählter Waren eine Verlängerung auf fünfmal zehn Stunden Lenkzeit je Woche möglich.
Diese Mehrarbeit, sagt Dirk Engelhardt, sei „nur vorübergehend, zeitlich auf die Dauer der CoronaKrise begrenzt“; in dieser befristeten Form begrüße sie der BGL genauso wie die Aussetzung des Sonn- und Feiertagsfahrverbotes zur Sicherstellung der Versorgung. Freitag dieser Woche ist der vorerst letzte Tag, an dem Artikel 6 Absatz 1 der Verordnung (EG) Nr. 561/ 2006, an dem die Sozialvorschriften im Straßenverkehr derart modifiziert gelten. Fristverlängerung? Ist vom Ministerium bei der Europäischen Kommission für weitere 30 Tage beantragt.
Ralf wird so oder so hinterm Lenkrad sitzen. Er und wahrscheinlich all die anderen, die mittlerweile die Gardinen zugezogen, die ihr Führerhaus abgedunkelt haben am Rand der A 7. Gründonnerstagabend im Transitland Baden-Württemberg. Ob Helden in Berufskraftfahrerträumen vorkommen? Oder doch eher saubere Toiletten – ohne Kaffee und Kekse zwar, aber mit fließend Wasser, mit Seife, Papierhandtüchern und Desinfektionsmittel?